Berufsbetreuerinnen berichten„Meine Klientin war Mitte 30 und lebte in der Familie wie eine Elfjährige“

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Die Kölner Berufsbetreuerinnen Susanne Harries und Claudia Jakobs stehen auf einer Straße in Sülz.

Die Kölnerinnen Susanne Harries (links) und Claudia Jakobs übernehmen rechtliche Angelegenheiten für Menschen, die sich nicht selbst darum kümmern können.

 Susanne Harries und Claudia Jakobs berichten über ihren Alltag aus Köln. „Wir erleben Suizide, Tod auf viele Weisen und manchmal auch Gefahr.“

Die erste Klientin von Susanne Harries sah vor ihrer Tür nur noch Krokodile. Deshalb ging die ältere Frau nicht mehr raus. Verständlich, das ist beängstigend. Nur waren da gar keine Krokodile, die gab es bloß in ihrem Kopf. Aber zum Arzt, zur Bank, zum Amt musste trotzdem jemand für die Frau gehen. Das war Harries' Job. Sie ist Berufsbetreuerin, seit 30 Jahren, und eine von 340 Menschen in Köln mit diesem Job. „Ich habe gelernt, mit den Eigenheiten der Menschen umzugehen“, sagt sie heute. Und sie weiß: „Alles, was wir für selbstverständlich halten, ist gar nicht so normal.“

Harries betreut Menschen, die sich selbst nicht um ihre Angelegenheiten kümmern können. Oft werden Angehörige dieser Betroffenen ihre ehrenamtlichen Betreuer, per Vollmacht. Aber manchmal gibt es niemanden im Umfeld einer Person, der diese Funktion übernehmen kann. Und manchmal ist es auch gar nicht die beste Lösung, wenn Angehörige zu Betreuern werden.

Sie erzählt von einem anderen Fall: „Meine Klientin war Mitte 30 und lebte in der Familie wie eine Elfjährige.“ Die Eltern hätten ihre Tochter mit Behinderung nicht eigenständig leben lassen, ihr kaum Geld gegeben. Dabei hätte die junge Frau vielmehr machen können. Irgendwann haben Kollegen in einer Behindertenwerkstatt nachgehakt und Harries übernahm. „Oft sind die Angehörigen dann auch dankbar“, sagt sie. „Wenn meine Arbeit den Betroffenen guttut, lösen sich Vorbehalte schnell auf.“

Kölner Berufsbetreuerin unterstützt vor allem Menschen mit psychischen Krankheiten

Zumal sich Harries auskennt. Sie studierte Soziale Arbeit, ist aber im Grunde auch Schuldnerberaterin, Psychologin, kennt das Gesundheitssystem und eignete sich Mietrecht an. Die Berufsbetreuerin nennt aktuell 55 Menschen ihre Klienten, einige betreut sie schon seit 30 Jahren. Zu ihnen zählen nicht nur ältere Menschen, auch viele in anderen Lebenslagen, zum Beispiel mit psychischen Erkrankungen. „Es gibt viele junge Menschen, die durchs Raster fallen“, sagt sie. Trotz ihrer Erfahrung kämen immer neue Situationen auf sie zu, die sie noch nicht erlebt habe. „Wir erleben Suizide, Tod auf viele Weisen und manchmal auch Gefahr.“

Deshalb betont Harries immer wieder, wie wichtig ihr der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ist, auch wenn sie alle selbstständig arbeiten. Ihr Büro teilt sie sich auch mit Kollegen, dann sei man nicht allein, wenn aufgebrachte Personen sie aufsuchen. Und sie gründete vor 30 Jahren den Verein Kölner Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer mit.

Berufsbetreuer begleiten Menschen durch schwierigen Lebenslagen

Vorsitzende der 70 Mitglieder ist heute Claudia Jakobs. „Ich wollte einen Job haben, der nie langweilig wird“, sagt sie. Ihr Anliegen sei es, die Zusammenarbeit mit Einrichtungen und Institutionen in Köln zu verbessern. Auch sie war bei der Gründung in den 1990ern dabei. Damals galt noch das alte Vormundschaftsrecht, das Betroffene direkt geschäftsunfähig erklärte. Zum Glück, sagt Jakobs, änderte sich die Einstellung in Deutschland. Aber die Gesetzgebung befinde sich heute im anderen Extrem.

Nun sei ihre Arbeit eine Gratwanderung. Sie müsse Klienten bei Entscheidungen begleiten, auch wenn sich damit keinen Gefallen täten. „Manche unserer Klienten entziehen sich jedem Herausholen, dann sind wir machtlos“, sagt sie. Das könne belasten. „Eine Herausforderung des Berufs ist es, empathisch zu sein, aber die professionelle Distanz zu den Klienten zu wahren“, sagt Jakobs. „Ich muss mich privat auch aus allem ausklinken können, obwohl eine Situation schlimm ist. Man muss für diesen Job gebaut sein.“

Welche Aufgaben sie als gesetzliche Betreuerin übernimmt, und welche eher soziale Einrichtungen übernehmen, ist gar nicht so eindeutig. „Von der Anlage des Berufs haben wir eigentlich wenig Begleitungen, in der Praxis sieht das anders aus“, sagt sie. „Wenn es anders nicht klappt, dann gehen wir halt mit“, müsste sie eigentlich aber nicht.

Welche Klienten die zwei Betreuerinnen annehmen, suchen sie sich aus. Dabei schützen sie sich zum Teil selbst vor zu vielen belastenden Situationen. Sie müssen aber auch den Aufwand und die Pauschale gegenrechnen, nach der sie bezahlt werden, berichten die Frauen. Pro Fall bekommen sie je nachdem, ob der Betroffene betreut oder allein lebt und nach eigener Ausbildung um die 100 bis 200 Euro.

Die Betreuungsbehörde der Stadt Köln stellt den freien Willen der Betroffenen hervor

Potenzielle Klienten trägt zum Beispiel Sonja Goedeke an sie heran. Sie ist Koordinatorin der Betreuungsbehörde der Stadt Köln. Nachdem Betroffene einen Antrag gestellt oder das Umfeld eine gesetzliche Betreuung angeregt hat, eröffnet das Amtsgericht ein Verfahren. Dann nehmen Goedeke und ihre Kollegen das soziale Umfeld auf.

Die meisten Betroffenen, mit denen sie arbeitet, sind Senioren mit Demenz oder anderen kognitive Einschränkungen, sagt sie. Auch mit Menschen mit Behinderungen habe sie häufig zu tun, die einen Betreuer bekommen, sobald sie volljährig sind. Dazu kommen psychisch kranke Menschen, denen etwa der Antrieb fehlt, sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern.

Ob die Betroffenen einen gesetzlichen Betreuer oder eine Betreuerin bekommen und wer die Aufgabe übernimmt, entscheidet das Gericht. „Wenn ein ehrenamtlicher Betreuer zur Verfügung steht, schlagen wir dem Gericht vor, diesen auch einzusetzen“, sagt Goedeke. „Wir fragen nach der Sicht der Betroffenen“, sagt sie. Ansonsten sucht sie einen Berufsbetreuer. „Der freie Wille der Betroffenen spielt eine sehr wichtige Rolle.“


12.500 Kölnerinnen und Kölner leben in gesetzlicher Betreuung. Laut Amtsgericht Köln übernehmen in 20 Prozent der fälle Familienmitglieder die Betreuung, in zehn Prozent andere Ehrenamtler. Die restlichen 8700 Fälle übernehmen Sozialarbeiter, Rechtsanwälte und Berufsbetreuer. Eine Sprecherin des Amtsgericht teilt mit, dass die Betreuungsfälle im Jahr stark schwanken, weil das Gericht ständig Betreuungen neu anregt oder beendet und ehrenamtliche und Berufsbetreuer wechselt.

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