Kölner PhilharmonieEine spektakuläre Uraufführung im Gürzenich-Konzert

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Enno Poppe sitzt in den Stuhlreihen der Kölner Philharmonie.

Der Komponist Enno Poppe in der Kölner Philharmonie. Sein Stück „Strom“ erlebte im Rahmen des Acht-Brücken-Festivals seine Uraufführung.

Beim aktuellen Kölner Gürzenich-Konzert stehen Enno Poppe und die Mezzo-Sopranistin Anna Lucia Richter im Zentrum. Die Konzertkritik. 

Eine Uraufführung im Kontext des Acht Brücken-Festivals, Oper auf der Bühne, Überraschendes zum Muttertag – das jüngste Gürzenich-Konzert war so überreich an Ereignissen und Aspekten, dass der Berichterstatter kaum weiß, womit er anfangen soll. Nun gut, am spektakulärsten dürfte die Uraufführung nach der Pause gewesen sein – nicht zuletzt, weil der (am Sonntag in persona anwesende) Komponist, Enno Poppe, auch Porträtkünstler der diesjährigen Acht Brücken ist.

Poppe und seine Interpreten schaffen es, den Hörer durchweg bei der Stange zu halten

Sein neues Werk, das der Meister „Strom“ nennt – was nicht besonders verbindlich sein, aber immerhin auf die Klänge und Geräusche des Fließens, Rauschens, Tropfens und Gurgelns verweisen mag, die hier schon auszumachen sind; das neue Werk also entfaltet sich, wie bereits in vorangegangenen Kompositionen Poppes, als eine Art musikalische Kosmogonie: Am Anfang steht ein Sekundpendel, von einer Achse aus erst nach oben, dann nach unten, das von seiner Umgebung dann harmonisch „verschmutzt“ wird. Die Pendelbewegung der kleinen Terz tritt hinzu, und allmählich entfaltet sich ein dissonanter, durch Mikrotonalität „verstimmter“ Klangraum. Fragmentarische Melodien tauchen auf und verschwinden wieder, und sukzessiv entfaltet sich eine sehr spezifische Aura. Und selbstredend auch die Aura des hier zur Riesenformation aufgestockten Gürzenich-Orchesters, das unter der Leitung von François-Xavier Roth seine ganze Klasse auffährt.

Eine halbe Stunde ist für ein zeitgenössisches Orchesterwerk eine ziemlich lange Dauer. Poppe und seine Interpreten schaffen es allerdings, den Hörer durchweg bei der Stange zu halten. Denn zur Aufführung gelangt eine durchaus dem Publikum zugewandte Musik mit einem starken sinnlichen Appeal. Auf der Basis von wiederkehrenden Figuren – Pendelbewegungen, „Orgelpunkten“ – kommt immer wieder Neues um die Ecke. Wobei man zuweilen auch guten, alten Bekannten begegnet, so am Schluss noch, sehr markant, dem aufsteigenden Ausschnitt aus einer Moll-Tonleiter mit ausgelassener zweiter Stufe, der an das Scherzo aus Bruckners Achter gemahnt.

Anna Lucia Richter ließ die Kölner Philharmonie auf suggestive Weise finster werden

Aber wenn man sich bei den großen Steigerungen vage an das „Rheingold“-Vorspiel oder den „Bolero“ erinnert fühlen kann, dann ist die Ursache dafür mitnichten epigonale Einfallsarmut. Letztlich ist Poppes Dramaturgie dann doch eine ganz andere, die den Abbruch und Neuansatz genauso kennt wie, am Ende, das Versickern und Verdämmern der Gestalten im Nichts.

Der Muttertag wurde durch den Auftritt des „Chores“ einer Meschenicher Grundschule im Block Z adressiert, der den ersten Satz von Mozarts Sinfonie KV 201 mit rhythmisch passendem Muttertagstext begleitete – dies, wie Roth erläuterte, ein Schmankerl zum 25-jährigen Bestehen des Gürzenich-Musikvermittlungsprogramms „Ohren auf!“. Mit der kompletten Sinfonie hatte das Konzert begonnen, ein leichter, schwebender Einstieg, der freilich die ganze Genialität des 18-jährigen Komponisten offenbart – jedenfalls dann, wenn man es so wie Roth macht: Der dämpfte gleich zu Beginn die führende Stimme der ersten Violinen ab, so dass die wunderbar-polyphone Mittelstimmen-Textur vernehmbar wurde. Kammermusik in Sinfoniegestalt!

Die Oper hielt auf dem philharmonischen Podium mit der in Köln gebürtigen und hier immer noch sehr präsenten, seit vielen Jahren freilich international gefeierten Mezzo-Sopranistin Anna Lucia Richter Einzug. Sie legte mit Mozarts großer Szene „Ch´io mi scordi di te?“ KV 505 (mit obligatem Klavier, das hier einfühlsam von Ammiel Bushakevitz versehen wurde) und Haydns Londoner „Berenice“-Konzertszene einen glänzenden Auftritt hin. Da war eine lodernde Dramatik des Hier und Jetzt, eine unmittelbare Ansprache jenseits gepflegt-routinierter Distinktion am Werk, die spontan für sich einzunehmen und zu fesseln vermochte. Richter ist vor Jahren vom Sopran auf den Mezzo umgestiegen – was wohl eine goldrichtige Entscheidung war. Nicht dass sie die Spitzen nicht mit voller Attacke liefern kann, aber an einer Stelle wie Haydns „tutte funeste adombra“ lässt Richters klangvoll-gesättigte Altlage die Szene allein mit gesangstechnischen Mitteln auf suggestive Weise wahrhaft finster werden.

Ein herzhafter Publikumshuster in einer Generalpause (bei Haydn) provozierte unterdrückte Heiterkeit im Saal – vielleicht weil sich da in den Gehirnen assoziativ eine bekannte Redewendung einstellte: Wollte da etwa jemand der Sängerin „etwas husten“?

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