Bescheiden und skandalfreiWolfgang Overath gab in Kall-Steinfeld Einblicke in sein Leben

Lesezeit 5 Minuten
Sven Pistor und Wolfgang Overath sitzen auf einer Bühne und unterhalten sich.

Im Gespräch mit WDR-Journalist Sven Pistor (l.) erzählte Wolfgang Overath aus seinem Fußballerleben.

FC-Legende Wolfgang Overath war im Rahmen der Lit.Eifel zu Gast in Steinfeld. Mit Sven Pistor hat er ein Buch geschrieben.

Seine 81 Jahre sieht man Wolfgang Overath nicht an. Die Fußball-Legende kam jetzt in die Aula des Hermann-Josef-Kollegs zu einem Autorengespräch mit WDR-Sportjournalist Sven Pistor im Rahmen der Lit-Eifel. Das Duo hat ein Interviewbuch veröffentlicht.

„Alleine kannst du nicht gewinnen“ lautet der Titel des Buches, in dem Overath, gebürtiger Siegburger, erneut einen Rückblick auf sein Fußballerleben gibt, dem schon zwei ältere Bücher gewidmet waren. Und das heißt vor allem: Es geht um den 1. FC Köln, den Verein, bei dem Overath zwischen 1963 und 1977 in 409 Spielen eingesetzt und zu einer zentralen Spielerfigur wurde.

Wolfgang Overath zum Tabellenplatz des 1. FC Köln: „Ich leide“

Mit dem FC wurde Overath in der ersten Bundesligasaison, 1963/1964, sofort deutscher Meister. 1963 war er von Trainer Sepp Herberger zum ersten Mal in die Nationalmannschaft berufen worden. Frühe Triumphe für den einstigen Straßenkicker, frühe Erfolge auch für den FC – da lag es nahe, dass Sven Pistor Overath zum aktuellen FC fragte. „Wir haben kein Geld, um neue Spieler zu kaufen, der Kader ist nicht gut“, so Overath nüchtern.

Wie er sich da fühle vor dem drohenden Abstieg des Vereins? „Ich leide“, gab Overath zu. Doch das ist für den Weltfußballer nichts Neues. Lange nach seiner aktiven Zeit war er einem Hilferuf seines Lebensvereins gefolgt und hatte von 2004 bis 2011 die Präsidentschaft übernommen. Nach der Spielzeit 2003/04 war der FC abgestiegen.

Und tatsächlich gelang unter Overath sofort der Wiederaufstieg – doch im Folgejahr ging es wieder in die 2. Liga, und erst zwei Jahre später zurück in die Oberklasse. Der FC Köln: ein Achterbahn-Verein und eine Dauerbaustelle. Die Mitglieder, mittlerweile mehr als 135.000, lernten und lernen die Kunst des Leidens.

Höhepunkt von Overaths Karriere war der WM-Titel 1974 im eigenen Land

Vor rund 300 Zuhörern in der Aula des Hermann-Josef-Kollegs ging es dann weniger um diese Wechselbäder der Gefühle, sondern um einen der größten Spieler, den die „Geißböcke“ hervorgebracht haben.

Overath, der für seine 81 Jahre erstaunlich fit wirkte, gertenschlanke Gestalt mit den tiefliegenden Augen im Gesicht mit dem markanten Kinn und der Hakennase, ist altersbedingt unter seine einstigen 1,76 Meter geschrumpft. Doch wenn er von „Energie, Willen, Ehrgeiz“ spricht, die es neben Talent brauche, um ein guter Fußballer zu werden, nimmt man ihm das immer noch ab.

Er wurde als einziger Nationalspieler vom „langen Schön“ (Bundestrainer Helmut Schön) bei allen Spielen des legendären WM-Trios eingesetzt: 1966 wurde er Vizeweltmeister in England, 1970 in Mexiko wurde die deutsche Elf Dritter und Overath „Spieler des Turniers“, und 1974 holte das Nationalteam bei der Heim-WM den Titel. Für Overath der Höhepunkt seiner Karriere: „Dabei hatte ich vor der WM noch eine grauenhaft schlechte Saison gespielt.“ Aber Schön vertraute ihm.

Lob von Wolfgang Overath für Günter Netzer

Und wie war das nun mit der behaupteten Rivalität zu Günter Netzer von Borussia Mönchengladbach, mit dem Overath in den 1970er-Jahren als Fußballdeutschlands beste „10“ galt (die Nummer bezeichnete damals die Position des offensiven Mittelfeldspielers)?

Overath konterte die Frage Pistors souverän: „Günter Netzer war ein herausragender Spieler, Weltklasse!“ Ob sich allerdings ein Overath wie Netzer im DFB-Pokalfinale am 23. Juni 1973 zwischen den beiden Vereinen selbst eingewechselt hätte? Netzer schoss in der 4. Minute der Verlängerung für die Borussia das Siegtor zum 2:1. Overath musste dem Drama zusehen, er war in der 71. Minute ausgewechselt worden.

Solche Anekdoten aus einem bewegten Fußballerleben gab es einige im Laufe des 90-minütigen Abends, dazu wurde es beim Zwiegespräch Pistor-Overath grundsätzlich. Etwa zum Verhältnis des Spielers zu Trainer Hennes Weisweiler, der die in den 1970er-Jahren legendäre Mannschaft des FC Barcelona wegen Querelen mit Spielmacher Johan Cruyff verlassen hatte.

Bei Overaths Lesung in Steinfeld waren einige Fans zugegen

In Köln war Overath nicht weniger selbstbewusst. Es kam zum Machtkampf. In Steinfeld deutete Overath nur an, dass er schließlich „erkrankt“ gewesen sei, um dem aus dem Weg zu gehen. Weisweiler war aber auch der Trainer des größten Triumphs der FC-Kicker: 1977 wurde der Club unter ihm Pokalsieger, 1978 holte er das Double aus Meisterschaft und Pokalsieg. Da hatte Overath schon seine Karriere beendet.

Das alles ist lange vorbei. In Steinfeld genoss er die Sympathien seiner Zuhörer, darunter eine Reihe von Ü-60-Jährigen, die den Kicker noch zu aktiven Zeiten erlebt hatten. Jochen Starke vom Lit.Eifel-Team – „ich hatte in den 70er-Jahren eine Dauerkarte für die Heimspiele“ – bewunderte damals die „Spielintelligenz und den Überblick beim Spielaufbau von Overath“. Thomas Frauenkron, Schulleiter des Hermann-Josef-Kollegs und Dortmund-Fan, gestand, dass er sich als A-Jugend-Kicker einmal ein „Trikot-Autogramm“ von Overath geholt hatte.

Schule abgebrochen, um beim 1. FC Köln zu unterschreiben

Viel Beifall gab's für Overath am Ende eines kurzweiligen Abends, in dem auch seine Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen Thema war. Wolfgang war das jüngste von acht Kindern. Er erinnere sich noch, „dass ich ab dem 15. beim Einkaufen anschreiben lassen musste, denn dann war bis zum Monatsende kein Geld mehr da“. Sein Entschluss, die Schule kurz vor dem Abitur abzubrechen, um beim 1. FC Köln zu unterschreiben, habe seinen Vater tief verletzt. Was sollte das werden: Fußballspieler in einem Verein, der vor Beginn der ersten Bundesligasaison steht?

Das Schicksal war ihm danach gut gesonnen. Overath blieb trotz aller Erfolge im Grunde das, was er immer war: bescheiden, skandalfrei, ein Vorbild für viele junge Kicker.

Seit 25 Jahren nutzt Overath seine Prominenz, um über seinen Hilfsfonds für Obdachlose denjenigen zu helfen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Er habe bisher „zwischen fünf und sechs Millionen Euro“ eingesammelt. Einmal im Jahr lädt er rund 150 Bedürftige zur Weihnachtsfeier ein. Zuvor aber müssten alle in die Kirche zur Messe, so Overath. Die Hilfe von „dem da oben“ sei ihm wichtig. Schließlich habe auch der FC in der aktuellen Saison „ihm da oben“ das „ein oder andere unverdiente Tor aus den letzten Spielen zu verdanken“.


Wolfgang Overath/Sven Pistor: Alleine kannst du nicht gewinnen. Ein Gespräch über Fußball, das Leben und was beides miteinander verbindet. Bonifatius Verlag, 2023. 208 Seiten, 20 Euro.

KStA abonnieren