Europa-WahlSchmierereien und Pöbeleien gegen Parteien im Kreis Euskirchen

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Das Foto zeigt ein beschmiertes Wahlkampf-Plakat der SPD im Mai 2024.

Inzwischen überklebt ist das Wahlplakat in Zingsheim. Unbekannte hatten es unter anderem mit einem Hakenkreuz beschmiert.

Das politische Klima wird auch im Kreis Euskirchen rauer. Die Parteien machen sich Sorgen und betonen, wie wichtig Engagement jetzt ist.

Eine böse Überraschung erlebten die SPD-Wahlkämpfer am Samstagmorgen: Unbekannte hatten ihr Großplakat zum Europa-Wahlkampf am Kreisverkehr bei Zingsheim beschmiert. Die Buchstaben „AFD“, ein Hakenkreuz und die Worte „Außländer raus“ (sic) waren nun darauf zu sehen.

Die Partei reagierte schnell: Anzeige wurde erstattet, das Plakat überklebt. Am Sonntagvormittag traf sich der Kreisvorstand der Euskirchener Sozialdemokraten an dem neuen Wahlplakat, um über die Angriffe im laufenden Wahlkampf zu beratschlagen. Landrat Markus Ramers (SPD) machte auf seinem Weg zum Hermann-Josef-Fest in Steinfeld ebenfalls Station in Zingsheim.

SPD-Kandidatin aus dem Kreis Euskirchen hat sich erschrocken

„Auch in Kall, Euskirchen und Mechernich sind Plakate abgerissen worden, in Bad Münstereifel sind ebenfalls Plakate beschmiert worden“, berichtete Vincent Lemke, SPD-Kandidat für die Europawahl.

Alle Taten seien rund um den Vatertag verübt worden. Es werde Anzeige erstattet, der Staatsschutz sei informiert. Lemke zeigt sich überzeugt davon, dass die Taten der rechten Ecke zuzuschreiben seien. „Die Demokratiefeinde geben sich zu erkennen“, sagte er.

„Ich war zutiefst erschrocken über die Nachricht“, so Helena Vitt, die ebenfalls für die SPD bei der Europawahl kandidiert. „Leider ist es aber auch nicht mehr wirklich überraschend, wenn man sich die Verrohung der Sprache in unserer Gesellschaft anschaut. Für mich bedeutet dieser Vorfall umso mehr, dass man für eine offene, friedliche Demokratie zu kämpfen muss“, betonte sie: „Meine Solidarität gilt allen Demokratinnen und Demokraten, die in diesen Wochen gerade dort Flagge zeigen, wo unsere Demokratie massiv unter Druck steht.“

Die Menschen müssen wach werden und dagegen vorgehen.
Michael Fulde, SPD-Kreisvorstandsmitglied

Doch Michael Fulde, SPD-Kreisvorstandsmitglied aus Bad Münstereifel, nimmt auch ein weites Desinteresse der Leute an diesen Vorgängen wahr. „Die Menschen müssen wach werden und dagegen vorgehen“, forderte er. Sein Genosse Guido Maaßen fügt hinzu: „Das Wahlrecht ist ein hohes Gut, das geschützt werden muss, es ist unser Grundrecht.“

Das ist offenbar nicht allen klar. Wie Lemke berichtet, bleibt es auch im Kreis Euskirchen nicht „nur“ bei Schmierereien. Nach einer SPD-Wanderung am Vatertag in Urft habe sich in einer Gaststätte plötzlich ein Mann von seinem Stuhl erhoben und lautstark verkündet: Die Politiker seien selbst schuld, wenn sie es „auf die Fresse kriegen“. Der Mann habe sich in Rage geredet, erzählte Lemke: „Er sagte, wenn er so einen treffen würde, würde er auch gern tätlich werden.“ Vorsichtshalber habe er sich nicht zu erkennen gegeben, so Lemke.

SPD-Kandidat: AfD hat aggressive Sprache in Parlamente gebracht

Woher aber kommt diese Aggressivität? Für Lemke ist klar: Die AfD habe diese Sprache in die Parlamente gebracht. Von dort würde sie übernommen. Auch der Kaller SPD-Chef hat nach eigenem Bekunden Anfeindungen hautnah erlebt. „Als ich Plakate aufgehängt habe, kam auf einmal ein Mann und hat zu mir ‚Linke Zecke‘ gesagt“, berichtet Emmanuel Kunz: „Früher ist so etwas nicht passiert.“

Ihm bereiteten die Angriffe auf Wahlkampfhelfer Sorge, sagt Landrat Markus Ramers. Schließlich seien das Ehrenamtler. „Ich habe solche Zerstörungen auch bei anderen Parteien gesehen, das ist kein schönes Zeichen“, so der Landrat: „Es kann nicht sein, dass diese Leute Angst haben.“

Landrat Markus Ramers: Auch AfD-Plakate sollten nicht zerstört werden

Allerdings könne die Antwort nicht sein, sich auf das Niveau zu begeben. Er finde es ebenso nicht gut, dass die Plakate der AfD zerstört würden, auch wenn sie ihm nicht gefielen, stellt Ramers klar: „Es tut gut, die Unterschiede zwischen den Parteien deutlich zu machen.“ Doch manche Leute fühlten sich berufen zu pöbeln, Plakate herunterzureißen oder zu beschmieren.

Nicht ganz so schlimm waren die Reaktionen der Vorbeifahrenden, während die Lokalpolitiker vor dem Plakat am Kreisverkehr standen. Einer hupte, dann gab es einen gesenkten Daumen. Ein anderer kurbelte das Fenster runter und rief: „Euch kann man nicht wählen.“ Er erntete ein Lächeln des Landrats: „Das ist ja noch in Ordnung, genau um die Wahl geht es ja.“

Wahlkämpfer der Grünen in Hellenthal mutmaßlich angegriffen

Längst nicht nur die SPD ist betroffen. Von einem tätlichen Angriff auf ein Grünen-Mitglied in Hellenthal berichtet die Kreis-Grünenvorsitzende Myriam Kemp. Verbale Angriffe seien momentan an der Tagesordnung, sagt sie.

Auch in Bad Münstereifel sehen sich Grüne zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt. Mehrere Plakate seien zerstört und/oder beschmiert worden, so Ortsverbandschef Peter Schallenberg. Das sei neu. Vergleichbares habe es bisher nicht gegeben. Kemp beschreibt die Stimmung im Europa-Wahlkampf als ambivalent. Neben den Erfahrungen aus Bad Münstereifel und Hellenthal gebe es auch Rückmeldungen aus anderen Kommunen, die das Klima als „ruhig“ beschrieben.

„Mein Gefühl ist insbesondere in Anbetracht der Schmierereien auf unseren Plakaten, dass bei vereinzelten Personen Hemmschwellen sinken“, sagt sie.

Das haben wir bei jeder Wahl. Das ist nichts, was eine neue Qualität oder Quantität hat.
Sprecher der Polizei Bonn

Bei der Zerstörung von Plakaten oder bei Angriffen auf Politiker oder Parteimitglieder beim Aufhängen von Plakaten handelt es sich um politisch motivierte Straftaten. Daher ermittelt dann der Staatsschutz. Die für den Kreis Euskirchen in solchen Fällen zuständige Behörde ist die Kriminalpolizei Bonn.

Zerstörte oder beschmierte Wahlplakate sind laut einem Sprecher kein neues Phänomen: „Das haben wir bei jeder Wahl. Das ist nichts, was eine neue Qualität oder Quantität hat.“ Auch könne er nicht sagen, dass bestimmte Parteien besonders betroffen wären, so der Sprecher weiter.

Dennoch machen sich die Vorsitzenden der Parteien im Kreis Sorgen. „Es wird zunehmende rauer“, beschreibt Frederik Schorn, Kreisvorsitzender der FDP, das politische Klima. Da unterscheide sich der Kreis nicht vom Rest des Landes. „Parteimitglieder wurden mehrfach während des Plakatierens angepöbelt und angegangen“, so Schorn. Solche Anfeindungen sei man „leider mittlerweile gewohnt“, ebenso beschmierte Wahlplakate.

CDU-Kreisvorsitzender Ingo Pfennings beobachtet verhärtete Fronten

Ingo Pfennings (CDU) sieht zwar keine Veränderung des politischen Klimas im Wahlkampf. Er beobachte aber, dass es in Teilen der Bevölkerung im Kreis ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Politikern gebe. Das sei neu.

Die Fronten zwischen Gruppen unterschiedlicher Interessen verhärteten sich, stellt der CDU-Kreisvorsitzende fest. Der politische Diskurs werde immer schwieriger. Ähnlich sieht das Mattis Wendorf vom Kreisverband der Partei „Die Linke“. Auf Anfrage dieser Zeitung sagt er: „Ich wünsche mir, dass alle mehr Respekt voreinander haben, auch bei politischen Differenzen. Diese sind in einer vielfältigen Gesellschaft total normal.“

Gefahr für das kommunalpolitische Engagement?

SPD, FDP, CDU, Grüne und Linke sind sich einig, dass die Anfeindungen, die kommunalpolitisch engagierte Menschen im Kreis erfahren, kaum bis gar nichts mit kommunaler Politik zu tun haben. Es gehe eigentlich immer um Bundespolitik.

Sie machen sich Sorgen, dass eine Verrohung des Klimas und Angriffe auf Plakate wie Parteimitglieder Menschen davon abhalten könnten, sich zu engagieren. Das sei fatal. „Gerade die Kommunalpolitik hat bereits jetzt massive Nachwuchsprobleme, ist aber entscheidend für unser gesellschaftliches System“, sagt Pfennings.   „Demokratie ist kein Selbstläufer“, pflichtet Thilo Waasem (SPD) ihm bei. Sie sei auf Engagement angewiesen.

Grünen-Chefin Myriam Kemp: Die Aggressoren sind in der Minderheit

Es sei gerade jetzt wichtig „motiviert und engagiert zu bleiben, um den Aggressoren nicht das Feld zu überlassen“, bekräftigt Kemp und gibt sich kämpferisch: Eine verrohende Minderheit werde es nicht schaffen, dass sich das politische Klima im Kreis verschlechtere.

Auch Schorn betont, dass es sich bei den Menschen, die Plakate zerstörten oder Parteimitglieder angriffen, um eine Minderheit handele. „Nach wie vor sind die meisten Menschen offen.“

Die AfD, deren Plakate ebenfalls häufig zerstört oder beschmiert werden, ließ eine Anfrage der Redaktion zu diesem Thema unbeantwortet.

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