„Ein Sommernachtstraum“So endet die Ära Bachmann nach elf Jahren im Schauspiel Köln

Lesezeit 6 Minuten
Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare
Regie: Jan Bosse
 
Regie: Jan Bosse
Bühne/Video: Moritz Müller
Kostüme: Kathrin Plath
Komposition: Carolina Bigge, Arno Kraehahn
Licht: Jan Steinfatt
Dramaturgie: Gabriella Bußacker, Jan Stephan Schmieding
 
Foto: Birgit Hupfeld

Justus Maier (l.), Bruno Cathomas in „Ein Sommernachtstraum“ im Depot 1

Regisseur Jan Bosse hat das Shakespeare-Stück auf maximalen Unterhaltungswert abgeklopft. Kein tiefsinniges Vergnügen, aber ein toller Abschied fürs Ensemble.

In „Der Streik“, seiner ersten Inszenierung als Intendant des Kölner Schauspiels, hatte Stefan Bachmann einen knatternden Kipplaster ins Depot 1 fahren lassen. Der transportierte staubenden Schotter auf die Riesenbühne. Das Zeichen war klar: Früher wurde hier hart gearbeitet und das würde sich auch mit dem Einzug des Theaters in die verwaiste Halle nicht ändern.

Elf Jahre später, zur letzten Premiere der Ära Bachmann, bahnt erneut ein in die Jahre gekommenes Nutzfahrzeug den Weg zur Bühne. In einem knallgelben, mit Schaltkreisen und Ukulelen dekorierten Citroën-Kleintransporter kurvt das Ensemble des „Sommernachtstraum“ bis vor den Eingang der Mülheimer Spielstätte, als enthusiastisch musizierende Band, die Nacht besingend, wenn der Löwe brüllt und die Dichter, die Verrückten und Verliebten ans Werk gehen. Das Publikum gruppiert sich gut gelaunt ums Gefährt, vielleicht kennen es manche noch aus Frank Castorfs „Molière“-Abend.

Schon verkündet Peter Knaack als Theseus die nahende Hochzeit mit seiner „Kriegsbraut“ Hippolyta, später wird er noch den Elfenkönig Oberon und Peter Quince, den Stichwortgeber der Laienschauspieltruppe, verkörpern, aufgeblasene Obermacker allesamt. Die Kostüme der Akteure (Kathrin Plath) scheinen aus Playmobil-Sets und Dr. Seuss-Büchern zu stammen, die Liebe ist hier ein Kinderspiel mit leicht sadistischen Zügen.

Das Publikum wird durchs Rolltor ins Depot 1 des Schauspiel Köln gelassen

Es tritt auf: das widerspenstige Liebesquartett. Demetrius (Marek Harloff), der Hermia (Rebecca Landauer) liebt und nach dem Willen deren Vaters auch ehelichen soll. Hermia, die Lysander (Justus Maier) liebt, und mit diesem in den Athener Wald durchbrennen will. Und schließlich die unglückliche Helena (Katharina Schmalenberg), die Demetrius‘ Liebe verloren hat und ihm nun eifersüchtig den Plan des fliehenden Pärchens verrät. Und schon folgt das Publikum dem gelben Wagen durchs Rolltor, Handylampen-leuchtend ins dunkle Depot 1.

Der Wald auf der großen Bühne (Moritz Müller) weckt keine gemütvollen Assoziationen, er besteht aus gefällten und wild zu einem Scheiterhaufen übereinander geworfenen Baumstämmen. Regisseur Jan Bosse – vor zwei Jahren hatte er das Depot für seine „Falstaff“-Inszenierung in ein Bierzelt mit Verköstigung der Zuschauenden verwandelt – hat William Shakespeares hormongebeuteltes Lustspiel zusammen mit Gabriella Bussacker neu übersetzt und bearbeitet. Keine Spur mehr von Schlegel’scher Romantik. „O Tod! mit fremdem Aug den Liebsten wählen!“, klagt Hermia in dessen Version die Fremdbestimmtheit der Liebe an. Bei Bosse und Bussacker wird daraus: „Das ist doch Scheiße – deine Liebe mit den Augen anderer zu wählen.“

Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare
Regie: Jan Bosse
 
Regie: Jan Bosse
Bühne/Video: Moritz Müller
Kostüme: Kathrin Plath
Komposition: Carolina Bigge, Arno Kraehahn
Licht: Jan Steinfatt
Dramaturgie: Gabriella Bußacker, Jan Stephan Schmieding
 
Foto: Birgit Hupfeld

Stefko Hanushevsky als Puck, Justus Maier als Lysander im Kölner„Sommernachtstraum“

Ähnlich unverblümt klingt Marek Harloff, wenn er als geschlechtsgetauschte Titania dem Gatten Oberon an den Kopf wirft: „Deine schlechte Laune ist’s, die uns die Lust zerstört.“ Der Ehekrach des Elfenpaars hat die Natur in Unordnung gestürzt, Dämme brechen, Korn verfault, die Jahreszeiten sind nicht wiederzuerkennen. Die höheren Wesen hocken ganz oben auf dem Scheiterhaufen, wenn es brennt, wird es hier am heißesten, später regnet es noch Plastikmüll vom Bühnenhimmel. Diese Klimakatastrophen-Anklänge hatte Barbara Frey im vergangenen Jahr auf der Ruhrtriennale zur tonangebenden Lesart des „Sommernachtstraum“ gewählt und den Text mit einer Ernsthaftigkeit durchdrungen, die der Kölner Inszenierung völlig abgeht.

Hier gibt es nicht viel zu deuteln. Dafür ist das Lustspiel umso lustiger.  Der Kölner „Sommernachtstraum“ wird en suite gespielt, bis zum Ende der Spielzeit, für das größtmögliche Publikum, das ein letztes Mal einigen seiner Lieblinge beim komödiantischen Freidrehen zujubeln darf. Ab Herbst muss man dafür nach Wien fahren. Stefko Hanushevsky etwa ist als Puck völlig in seinem Element, rast übers Gehölz, kauderwelscht zwischen Deutsch und Englisch, singt im Duett mit Live-Musikerin Carolina Bigge (die zusammen mit Arno Kraehahn so viele eingängige Lieder komponiert hat, dass man diesen „Sommernachtstraum“ beinahe als Musical klassifizieren könnte), oder auch ganz allein. Als er das Liebeskraut, mit dem Oberon die untreue Gattin bestrafen will, kurzerhand an sich selbst ausprobiert, bricht er in ein Liebeslieder-Medley aus, skippt unkontrolliert von einem Song zum nächsten, und selbst wenn er sich selbst energisch „Stop!“ zuruft, schmettert er noch ein „in the name of love“ dazu.

Die Droge führt bekanntlich auch die jungen Liebenden auf den Holzweg, der Wald wird zum Irrgarten der Objektwahl und am Ende bleibt die bittere Erkenntnis, dass es keine echte Liebe geben kann (aber eben auch keine unechte), mindestens ist sie viel zu sprunghaft, als dass man auf sie bauen könnte. Dafür jedoch von außen betrachtet enorm unterhaltsam: Wie sich Justus Maier mit ausgreifenden Macho-Gesten an Rebecca Lindauers etwas spröde Hermia heranmacht: „Süße, begreif mich doch, du kannst mir wirklich trauen.“ Oder wie sich Helena dem unwilligen Demetrius stalkerisch zu Füßen wirft und Katharina Schmalenberg sich dabei frei improvisierend Tiernamen gibt: „Ich bin dein Spatz“, gefolgt von einem basslastig gerülpsten „Tschilp“.

Nur, Abgründe tun sich an diesem Abend keine auf und erotisch wird es auch nur einmal, als wir Harloffs verzauberter Titania und Bruno Cathomas‘ Nick Bottom per Live-Video beim Züngeln zuschauen dürfen. Unter den aufgetürmten Stämmen verbirgt sich ein Liebestunnel, dementsprechend voyeuristisch wirken die im Breitwandformat übertragenen Bilder. Den Weber Bottom verwandelt Bosse nicht in einen Esel, sondern in ein Einhorn, mit regenbogenfarbenen Puscheln am Nacktsuit. Während Harloff mit der Zunge an seinem Horn nestelt, blickt Cathomas – von so viel Zuwendung heillos überfordert – feuchten Auges in die Kamera. Eigentlich belacht man hier eine Missbrauchsszene.

Bruno Cathomas verwandelt sich in ein regenbogenfarbenes Einhorn

Bottom ist der alles an sich reißende Egomane unter der Laienspieltruppe der Handwerker, die Bosse als brachial komische Betriebssatire anlegt. Knaack wettert als Regie-Wüterich gegen die „Mitbestimmungsscheiße“, Maier fistelt als Thisbe die Regieanweisungen mit, Schmalenberg fährt ihre Rolle als „Wand“ gegen ebendiese, Lindauer versemmelt jede Atempause und verkehrt die Sätze auf diese Weise in ihr Gegenteil. Und Hanushevsky, der doch einen gefährlichen Löwen geben soll, spricht und reagiert so langsam wie Flash, das Faultier aus „Zoomania“.

Er singt als Puck dann auch den Epilog: „Ein bisschen Rausch mit wildem Tausch – Wer glaubt schon an Träume?“ „Wir!“, möchte man lauthals antworten. Der leichtgewichtige Abend ist schnell verflogen. Andere Inszenierungen der Ära Bachmann werden sehr viel länger im Gedächtnis bleiben. Und doch: Wie schnell sind doch elf Jahre vergangen.


Regie: Jan Bosse, Bühne/Video: Moritz Müller, Kostüme: Kathrin Plath,  Komposition: Carolina Bigge, Arno Kraehahn, Licht: Jan Steinfatt,  Dramaturgie: Gabriella Bußacker, Jan Stephan Schmieding

Mit: Bruno Cathomas, Stefko Hanushevsky, Marek Harloff, Peter Knaack, Rebecca Lindauer, Justus Maier, Katharina Schmalenberg

Termine: 19., 20., 21., 23., 25., 26., 29., 31. Mai, 2., 6., 7., 15., 16. Juni, Depot 1, 140 Minuten, keine Pause

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