Leverkusener Großfamilie„Integration ist nicht zu erzwingen“

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Ein frühes Bild vom Lagerplatz.

Leverkusen – Felix Keil war bis 1992 Chef im Ordnungsamt. Er wurde mit der Aufgabe betraut, die Roma in Wohnungen unterzubringen. 2014 sprach Ralf Krieger mit ihm, über die Ansiedlung der Leverkusener Roma in den 1970er Jahren.

Herr Keil, ist die Integration der stadtbekannten Großfamilie in Leverkusen Ihrer Meinung nach gelungen oder nicht?

Felix Keil: Ich muss etwas vorausschicken: Es war damals normal, dass Zigeuner in ihrem Wohnwagen unterwegs waren – vor allem im Sommer – und einen Lagerplatz im Winter hatten. „Unsere“ Zigeuner hatten zunächst ihren Lagerplatz in Hummelsheim direkt an der Stadtgrenze zu Odenthal.

Es gab zunehmend Beschwerden aus der Nachbarschaft, und auch der Landwirt wollte sie auf seinem Land nicht mehr haben. Außerdem gab es auf dem Grundstück hygienische Probleme. Deshalb hat die Stadt in der Fixheide einen neuen Standplatz eingerichtet. Mit einem Waschhaus und einem Toilettenhäuschen. Aber das war noch keine Integrationsmaßnahme.

Es gab auch dort Ärger mit Nachbarn. Eine vorläufige Lösung. Die Verwaltung hat dann ein Programm vorgeschlagen, um die Zigeuner wohnlich zu versorgen. Der Rat hat das auch so beschlossen und hierfür Geld bereit gestellt. Jeder Vermieter, der bereit war, eine Familie aufzunehmen, bekam von der Stadt Leverkusen einen einmaligen Zuschuss.

Es waren etwa 50 bis 60 Personen unterzubringen. Nach zwei Jahren waren alle versorgt.

Sie sagen Zigeuner?

Keil: Das war damals üblich und es fühlte sich auch niemand beleidigt...

Gab es damals Widerstände gegen die Ansiedlung?

Keil: Nein, alle Parteien waren sich einig. Egal, wie man dazu steht, die auf dem Lagerplatz vorhandenen sozialen Probleme mussten gelöst werden. Mit dem damaligen Leiter der Sippe haben wir gesprochen, dass die Gruppe auch selbst etwas für die Integration tun muss. Es gab da auch interne Sitten und Gebräuche, die Familien durften zum Beispiel nicht übereinander wohnen.

Das haben wir berücksichtigt. Die Zigeuner lebten damals weitgehend vom Teppichhandel und vom Autohandel.

Es war auch nicht so, dass wir in den Häusern wöchentlich drei Beschwerden von Nachbarn bekamen, insofern war die Situation in Ordnung. Unser Programm hat 100 000 Mark gekostet. Ich meine, dass unsere Lösung funktioniert hat.

Noch einmal gefragt: Meinen Sie, die Integration der Großfamilie ist tatsächlich gelungen? Wenn man sich heute in Wiesdorf umhört, sehen viele erhebliche Probleme im Zusammenleben, und im Zeitungsarchiv finden sich in den vergangenen Jahren hauptsächlich Berichte über Konflikte, Razzien und Gerichtsverhandlungen.

Keil: Ich kann nur etwas zur damaligen Zeit sagen. Ich meine, dass das Leverkusener Modell gelungen war. Es hat zur Integration beigetragen, weil der Lagerplatz als Brennpunkt weg war.

Vorher hatten wir ein großes Problem, danach vielleicht zehn kleine. Und man sollte zugeben, dass es auch zwischen deutschen Mietern immer mal Ärger gibt.

Gab es in der Bevölkerung Widerstände gegen das Leverkusener Modell?

Keil: Nein, mir ist da nichts in Erinnerung.

Wollten die Sippenmitglieder denn damals auch selbst in festen Häusern im Stadtgebiet sesshaft werden?

Keil: Ja! Da ist von der Verwaltung kein Druck ausgeübt worden, das wäre auch nicht erfolgreich gewesen. Ob sie selbst unter den schlechten Zuständen auf dem Platz gelitten haben, kann ich nicht beurteilen.

Was sich seitdem entwickelt hat, dazu kann ich nichts sagen. Sie lebten damals vom Teppichhandel, sagten sie. Wir konnten nicht dahinter schauen, was wirklich war. Wenn wir da mit normalen deutschen verwaltungsrechtlichen Vorgaben herangegangen wären, hätten wir nichts erreicht.

Konnten Sie da nicht schon sehen, dass es weiterhin schwierig bleiben würde?

Keil: In die Zukunft kann man nicht sehen. Wir haben nach der wohnlichen Versorgung keine großen Probleme bekommen. Die Zigeuner hatten Wohnungen und waren damit aus damaliger Sicht etwas besser in die Gesellschaft integriert.

Damals war die gegenseitige Bereitschaft zur Integration groß…

Keil: Ja. Auf Seiten der Stadt und der Großfamilie jedenfalls.

Dennoch ist die Gruppe bis heute weitgehend für sich geblieben: Ist da bei der Integration nicht was verpasst worden?

Keil: Schauen Sie mal nach Berlin-Neukölln, gibt es denn da eine echte Integration? Man sieht an diesem Beispiel, wie schwer diese Probleme zu lösen sind. Wenn wir damals auch nur eine Chance zur Integration bekommen wollten, konnten wir es nur so machen. Ob es heute besser wäre, wenn sie noch auf einem Lagerplatz sitzen würden – das bezweifele ich.

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Das Haus an der Haydnstraße, genannt die Türmchenvilla.

Integration ist nicht zu erzwingen. Auch die Medien haben das damals positiv beurteilt. Unterschwellig mag eine Rolle gespielt haben, dass die Zigeuner unter den Nazis verfolgt und ermordet wurden, obwohl das Thema in den 1970er-Jahren in der Gesellschaft noch nicht so präsent war wie heute.

Das Gespräch führte Ralf Krieger

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