ZukunftsstadtSo plant Elsdorf am Tagebau Hambach den Strukturwandel im Rheinischen Revier

Lesezeit 4 Minuten
Sonnenliegen an der Tagebaukante.

In der Stadt Elsdorf am Tagebau Hambach herrscht Aufbruchstimmung.

Noch ist Elsdorf von der Braunkohle abhängig. In den nächsten Jahren wird sich der Ort am Tagebau Hambach aber drastisch verändern.

Elsdorf ist buchstäblich eine Stadt am Abgrund. Wer die Stadt Richtung Südwesten verlässt, steht an der Kante eines 400 Meter tiefen Lochs. Hier grenzt die kleine Kommune aus dem Rhein-Erft-Kreis an den Tagebau Hambach, der ein Drittel der Stadtfläche verschlingt. Aber Elsdorf ist auch eine Stadt, die sich wie kaum eine andere in der Bundesrepublik wandelt – eine Stadt, die schon in zehn Jahren nicht mehr wiederzuerkennen sein wird. Dann entsteht vor Elsdorfs Toren Deutschlands zweitgrößter See, die Stadt ist umgeben von Microsoft-Hyperscalern und die Einwohnerzahl deutlich gewachsen.

Kaum ein Gebäude steht so exemplarisch für die Stadt wie das Rathaus. Der Bau aus den 1970er Jahren fällt kaum auf. Doch im Inneren des Gebäudes arbeitet die Verwaltung an ambitionierten Zukunftsplänen. „Elsdorf wird immer vergessen. Dabei haben wir eine gute Perspektive“, sagt Bürgermeister Andreas Heller. Für ihn ist die Stadt ein „Hidden Champion“. Das zeigt sich zum Beispiel am Microsoft-Deal der Städte Bergheim und Bedburg. Auch Elsdorf profitiert von der Ansiedlung des amerikanischen Software-Riesen. Die Gewerbegebiete, in denen Microsofts Hyperscaler entstehen sollen, werden nämlich auch von Elsdorf entwickelt.

Microsoft und GEA investieren in und um Elsdorf

Perspektivisch geht Heller davon aus, dass die Hyperscaler weitere Unternehmen, Kaufkraft und Arbeitsplätze nach Elsdorf bringen. Schon jetzt zeigt sich Elsdorf attraktiv für Unternehmen: Aktuell investiert der Industriekonzern GEA rund 80 Millionen Euro, um ein Pharma-Technologiezentrum an der Siemensstraße zu bauen.

Der größte Makel der Stadt – die acht Kilometer lange Tagebaukante – soll eines Tages zur Sonnenseite des Hambacher Sees und somit zum Standortvorteil werden. Die Pläne der Stadt für die Tagebaukante sind groß, sie sehen unter anderem einen 30 Hektar großen Hafenbalkon vor. An ihm sollen später bis zu 500 Boote anlegen können. „Wir müssen uns schon jetzt auf die Hafengestaltung festlegen“, sagt Heller. Pläne habe die Stadt schon in den vergangenen Jahren ausgearbeitet. „Jetzt sind die Bagger noch da, um das Erdreich sinnvoll zu modellieren. Da wäre es schlecht, wenn wir keinen Plan hätten.“ Diesen Plan zur Gestaltung des Tagebauumfelds hatte die Neuland Hambach vor Kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt.

Das ganze Tagebauumfeld soll sich verändern

Wegen des Sees muss die Verwaltung alte Pläne für die Stadtentwicklung neu denken. „Früher haben wir immer gesagt: Die Stadt entwickelt sich weg vom Tagebau. Jetzt soll sie sich in Richtung Tagebau entwickeln“, erläutert Heller. Noch liegen zwischen Stadt und Grube rekultivierte Wäldchen, Pumpstationen und ein meterhoher Wall. In den nächsten Jahren sollen sie Wohnungen und Gewerbe weichen. Unter anderem plant die Stadt auf einer bereits vorhandenen Industriefläche ein Gewerbegebiet ausschließlich für die Lebensmittelbranche, in dem Hunderte Arbeitsplätze entstehen sollen. Und schon Ende des Jahres verlegt RWE an der Kante die ersten Rohre für die Einleitkaskade. Diese soll den Tagebau ab 2030 mit Rheinwasser fluten.

Ein computererstelltes Bild der Einleitkaskade am Tagebau Hambach.

So könnte das Einlaufbauwerk für das Rheinwasser in den Tagebau Hambach bei Elsdorf aussehen.

Eine Energiestadt will die Kommune, die lange vom Kohlebergbau geprägt war, aber bleiben. Nur setzt Elsdorf künftig auf erneuerbare statt auf fossile Energie. Die Beteiligung an Wind- und Solarparks bedeute mehr Unabhängigkeit für die Stadt, sagt Heller. Mehr Unabhängigkeit bedeutet allerdings auch mehr Kooperation mit den Nachbarn: Mit RWE und der Gesellschaft Neuland Hambach haben die Tagebauanrainer ein Konzept für einen Energiepark auf dem Tagebaugelände entwickelt. RWE setzt dort bereits erste Solarprojekte um. Bis 2032 will RWE weitere Module errichten, die der Energiekonzern dann mit der Neuland Hambach betreibt.

In fünf Ortsteilen sind neue Wohngebiete möglich

Doch auch jenseits von Microsoft und Hambachsee tut sich viel in Elsdorf. Der Ortsteil Heppendorf wächst derzeit um ein Wohngebiet. Weitere sind laut Heller in Angelsdorf, Berrendorf, Niederembt und Giesendorf möglich. Die Stadt, die in einer Umfrage mal als Deutschland zweithässlichste Stadt geschmäht wurde, erweist sich also als beliebter als gedacht. Das zeigt auch ein Blick in die Statistiken des Landesbetriebs IT NRW. Aktuell hat Elsdorf 22.489 Einwohner – 300 mehr als der Landesbetrieb prognostiziert hatte.

In der Vergangenheit lagen die Statistiker noch deutlicher daneben. Sie rechneten sogar mit einer sinkenden Einwohnerzahl. „Lägen die alten Prognosen des Landes richtig, hätten wir jetzt 1000 Einwohner weniger“, sagt Heller. Aktuell schätzt IT NRW, dass Elsdorf bis 2030 auf rund 22.800 Einwohner anwächst. Und diese Marke ist schon fast erreicht. Heller hält diese Zahl ohnehin für zu niedrig angesetzt. Mehr Einwohner bedeuten allerdings auch höhere Anforderungen an die städtische Infrastruktur. Schon jetzt ist der Bau eines neuen Kindergartens und der Ausbau der Gesamtschule geplant.

Für den Bürgermeister ist klar: „Elsdorf soll ein Ort werden, an den jeder will.“ Leicht zu verwirklichen ist das nicht – selbst mit Hambachsee und Microsoft. Allerdings gibt es ein historisches Beispiel dafür, wie stark eine Unternehmensansiedlung die Kommune verändern kann. Vor 150 Jahren vervielfachte sich die Einwohnerzahl. Damals kam die Zuckerfabrik Pfeiffer und Langen nach Elsdorf.

KStA abonnieren