Sex, Krankheiten, FinanzenWie ein Kölner Dinner-Event intime Themen aus der Tabuzone lockt

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Ein Tisch ist mit Tellern, Servietten und Weingläsern gedeckt. Im Hintergrund sind Bilder zu sehen, unter anderem eine Nahaufnahme einer Frau mit pink geschminkten Lippen.

Die Ausstellung zu „Taboo-Dinner“ im Mosaic in der Simrockstraße in Ehrenfeld.

Sich emotional nackt machen, das ist das Konzept hinter „Taboo Dinner“. Dabei geht es um mehr, als eine kulinarische Sinnesreise.

Süchte, Sex, Krankheiten, Finanzen oder auch Trauer und Tod – all das sind Gesprächsthemen, die in der Gesellschaft gerne mal unter den Tisch fallen. Mit der Veranstaltungsreihe „Taboo Dinner“ wollen die Kölnerin Katja Wellnitz und ihre Partnerin Léonie Bouchet die Tabus aus der schambehafteten Zone hervorlocken. Im letzten Jahr gründeten sie deshalb das soziale Dinnerevent, das Ende Mai in die zweite Saison startet.

Die Idee dahinter: Bis zu zwölf Menschen – meist sind es Fremde –  kommen in einer Location zusammen. Dort erwartet sie nicht nur ein Vier-Gänge-Menü mit Weinbegleitung, sondern ein geschützter Rahmen, um über Dinge zu sprechen, die auch mal unangenehm sein können, ohne Oberflächlichkeiten und mit Zeit zum Verweilen. Um welches Thema es sich handelt, bleibt bis zum Beginn des Essens geheim. Da kann es um Selbstliebe und Masturbation gehen, aber eben auch um das aktuelle Weltgeschehen und den Umgang mit Krieg und Krisen. 

Katja Wellnitz sitzt am Tisch und lächelt in die Kamera. Der Tisch vor ihr ist mit Tellern, Gläsern und einem Tablett mit Erdbeeren gedeckt.

Eine der beiden Veranstalterinnen: Katja Wellnitz kümmert sich bei „Taboo Dinner“ um Konzeption und Design.

„Wir wollen vermeiden, dass sich nur Menschen anmelden, die eh schon Bock darauf haben, über ein bestimmtes Thema zu reden. Ziel ist es, auch diejenigen zu erreichen, die vielleicht noch gehemmt oder schambehaftet sind“, sagt Wellnitz, die neben der Konzeption den Design-Part im Projekt übernimmt. Im besten Fall komme so eine bunt gemischte Gruppe zusammen, die verschiedene Berührungspunkte mit den Themen habe. Von den unterschiedlichen Perspektiven können alle Teilnehmenden profitieren, so Wellnitz. Auch kontroverse Diskussionen seien dabei erwünscht, solange der respektvolle Umgang gewahrt werde.

Auf einer Fensterbank stehen leere Weinflaschen. Davor liegen Stoffservietten, auf denen Fragen in Rot abgedruckt sind.

Bieten Gesprächsanreize: Jeder Gast erhält eine Stoffserviette mit einer Fragestellung zum jeweiligen Thema des Abends.

Das Tischsetting und die kulinarischen Kreationen sollen die Gäste dabei durch den Abend begleiten, lenken die Gespräche in bestimmte Richtungen, Smalltalk werde meist übersprungen. Auf Stoffservietten bieten konkrete Fragestellungen Gesprächsanreize, wie zum Beispiel: „Wie können Partner offen über ihre sexuellen Solo-Praktiken reden?“ Aber auch die Menüfolge und die Gänge selbst sollen die Themen erlebbarer machen – geschmacklich, haptisch, aber auch visuell. So zum Beispiel eine „Foodinstallation“ aus Gnocchi, die bei einem Dinner einen Darm darstellte.

Ursprung des Projekts: Chronisch entzündliche Darmkrankheiten enttabuisieren

So fing nämlich alles an, erzählt Wellnitz. Entstanden sei das Projekt aus ihrer Bachelorarbeit in Integrated Design an der Köln International School of Design (KISD, Institut der Technischen Hochschule Köln). Damals wollte sie in einem intimen Dinnersetting auf chronisch entzündliche Darmkrankheiten aufmerksam machen und damit für mehr Verständnis für Symptomatiken wie etwa Durchfall sorgen. „Bei Tisch über Scheiße und Co. zu reden, war quasi ein doppelter Tabubruch“, sagt die 29-Jährige. 

Doch das Konzept sei gut angekommen. Mit Léonie Bouchet, die als kreative Köchin für die Menüs verantwortlich ist, entschloss sie sich, weitere Tabuthemen auf den Tisch zu zaubern. Ein Herzensprojekt, das sich gerne auch über die Grenzen von Köln hinaus verbreiten könne, so Wellnitz' Vision. 

„Taboo Dinner“: Drei Termine in Köln geplant

Mit provokant anmutenden Bildern werben die beiden nicht nur in den sozialen Medien für ihre „Taboo Dinner“. Auch auf der Kunstroute Ehrenfeld stellten sie im Mosaic in der Ehrenfelder Simrockstraße die zugehörige Ausstellung aus: viel nackte Haut und Körper, viele Lippen und Münder, viel Rot und Pink sind dort zu sehen. Ein Spiel mit Erotik, so wirkt es, „sinnlich“ nennt es Wellnitz, die alle Fotos selbst machte. 

„Wir wollen den Menschen in seiner ehrlichsten Art und Weise zeigen. Es ist ein sehr intimes Projekt. In gewisser Weise macht man sich nackig am Tisch, zumindest emotional. Und damit spielen wir.“ Mit Schmuddel habe das wenig zu tun. Das blutige, fleischige Rot spiegele die Tabus wider: „So oft verniedlichen wir alles, reden um den heißen Brei herum, anstatt Sachen so auszusprechen, wie sie sind.“ Doch diese Sprachlosigkeit schade eher, als dass sie helfe. Sensibler durch die Welt zu gehen, das sei daher die Mission der „Taboo Dinner“. 

Die nächsten Dinner finden am 30. Mai sowie am 6. und 13. Juni statt. Die Kosten für einen Taboo-Dinner-Abend liegen bei 89 Euro pro Person. 

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