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Hochhaus der Deutschen WelleWie der Gigant Stück für Stück aus Raderberg verschwindet

Lesezeit 4 Minuten

Der Doppelturm mit den beiden Kränen

Köln – Eisig weht der Wind durch die mittlerweile fensterlose Etage im 28. der 32 Stockwerke des ehemaligen Funkhauses der Deutschen Welle am Raderberggürtel. Markierungen an Wänden und Decken geben den bis zu 70 Arbeitern, die seit Ende November unter der Spitze des mit einst 138 Metern hohen Turms in Raderthal gleichzeitig arbeiten, Hinweise, welche Schritte beim Abbruch als nächste zu tun sind. Das Kreischen einer großen Diamantsäge hallt ohrenbetäubend durch den Rohbau, mit ihr zerlegen die Arbeiter in bis zu 15 Tonnen schweren Stücken abschnittsweise die Deckenelemente des Hochhauses.

Der Blick reicht weit über das Land, selbst der Dom sieht in der Entfernung klein aus. Doch Daniel Schön hat keine Zeit, die Aussicht zu genießen. Der 35-Jährige ist Oberpolier und neben der Sicherheit seiner Männer dafür verantwortlich, dass „alle Prozesse auf dieser Megabaustelle glatt und nach Zeitplan laufen“, wie er sagt. Neben dem Büroturm und dem ehemaligen Studioturm der Deutschen Welle steht jeweils ein riesiger Raupenkran – jedes der monströsen Fahrzeuge überragt die beiden Türme bei weitem.

„Damit lassen wir pro Tag bis zu 15 Decken- und um die zehn Wandelemente auf den Boden herunter, wo sie weiter zerkleinert, verarbeitet und abtransportiert werden“, sagt Schön. „Zwei dieser Kräne gleichzeitig auf einer Baustelle gibt es in ganz Europa derzeit nur hier in Köln.“ Überhaupt hat das Abbruch-Vorhaben am Raderberggürtel einige Superlative zu bieten: Denn der vor rund 40 Jahren in der sogenannten Stahlskelett-Bauweise errichtete Hochhauskomplex ist weltweit einer der wenigen, die überhaupt verlassen und zum Abriss freigegeben würden, sagt Schön. „Die Hälfte der Wolkenkratzer von New York sind so gebaut worden, eine noch immer gängige Bauart.“

Trotzdem hätten Schön und sein Chef Michael Pfeiffer, Geschäftsführer der Sanierungstechnikfirma BST Becker, ihr Team gern schon im Sommer mit den Abtragungsarbeiten beginnen lassen. Schließlich sind die Handwerker bereits seit Mai 2015 auf dem alten Deutsche-Welle-Gelände aktiv. Zuvor musste allerdings die nun abgeschlossene Altlastensanierung durchgeführt werden.

„Der Wind und und die Witterung hier sorgen inzwischen für bis zu 20 Prozent Arbeitszeitausfall“, sagt Pfeiffer, „ab einer Windgeschwindigkeit von acht Metern pro Sekunde können wir die Kräne nicht mehr nutzen.“ Auch so sieht man, wie die Fahrzeuge leicht schwanken – Gefahr besteht allerdings nicht, denn die Kranführer bekommen ständig die aktuellen Windstärken durchgesagt. Für den Transport der tonnenschweren Gebäudeelemente stehen sie mit den Arbeitern oben per Videobild und über Funk in Kontakt.

Dass für den Abriss des alten Sendezentrums ein solcher Aufwand betrieben wird, liegt an Einsprüchen von Anliegern gegen die zunächst geplante Sprengung. Unter anderem die Verantwortlichen des direkt nebenan beheimateten Deutschlandradio hatten befürchtet, dass die Risiken zu hoch seien. „Das ist natürlich langwierig jetzt, aber auch etwas Besonderes“, sagt Daniel Schön im Personenaufzug, der ihn entlang der Hausfassade des Büroturms von der 28. Etage wieder zum Boden bringt. „Aber eine solche Baustelle erlebt man so bald sicher nicht noch einmal“, sagt der Polier. Er und rund 40 seiner Kollegen übernachten in Wohncontainern, die am Rand der Baustelle aufgestellt worden sind.

Obwohl die Altlastensanierung mit dem Abtransport der schädlichen Stoffe beendet ist, sind auch die jetzt weitgehend entkernten Gebäude noch nicht völlig unbedenklich. Dass etagenweise Demontieren und Zerlegen bringt immer wieder Teile hervor, die in einem gesonderten Bereich weiterverarbeitet werden müssen. „Asbest, Teer, Mineralfasern – das sind die Materialien, die eine Spezialbehandlung benötigen“, sagt Martin Blasche. Seit September 2016 beaufsichtigt der Ingenieur als Beauftragter für Schadstoffüberwachung die Baustelle im Kölner Süden. „Insgesamt kommen hier bis zum Ende der Arbeiten sicher mehr als 100 Tonnen an mit Schadstoffen belastetes Material zusammen“, prognostiziert er.

Neben dem sichtbaren Teil reiche jedes der beiden Hochhäuser bis zu 14 Meter tief in den Boden. „Die Sendetürme wurden zu Zeiten des Kalten Krieges erbaut“, sagt er, „Dort unten befinden sich zwei riesige Generatorenanlagen und Tanks – Die Deutsche Welle hätte damit völlig von der Stromversorgung abgeschnitten bis zu sechs Monate lang den Sendebetrieb aufrechterhalten können.“

Bis März 2021 soll der Rückbau des Funkhauses abgeschlossen sein, so die Planung – allen Herausforderungen und hoch komplexer Arbeitsschritte zum Trotz. Laut Holger Römer vom Investor Wohnkompanie NRW, der das Gelände 2013 gekauft hat, beginnt das Unternehmen zusammen mit seinem Partner Bauwens dann im August 2021 mit dem Bau von 750 Wohneinheiten. Bis dahin werden Daniel Schön und sein Team noch einiges mit dem Abbruch und Rückbau des derzeit noch weithin sichtbaren Zeugnis Kölner Mediengeschichte zu tun haben.