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„Undercover in Saudi-Arabien“TV-Doku erhebt schwere Vorwürfe gegen den WM-Gastgeber 2034

Lesezeit 5 Minuten
2023 wurde die FIFA Club WM im Saudi Arabien ausgetragen, unter den Augen von Verbandschef Gianni Infantino. (Bild: 2023 Getty Images/Francois Nel)

2023 wurde die FIFA Club WM im Saudi Arabien ausgetragen, unter den Augen von Verbandschef Gianni Infantino. (Bild: 2023 Getty Images/Francois Nel)

Für eine investigative ARD-Doku hat eine Journalistin die Zustände in Saudi-Arabien genau unter die Lupe genommen und sich dabei in große Gefahr gebracht. Heimlich verschaffte sie sich ein Bild von der Lage im Land, das an diesem Mittwoch den Zuschlag für die Fußball-WM 2034 erhalten wird.

Die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2034 an Saudi-Arabien ist nur Formsache. Denn ein Mitbewerber stellt sich an diesem Mittwoch, 15 Uhr, beim digital stattfindenden Fifa-Kongress nicht zur Wahl. Auch der DFB will für den Wüstenstaat als WM-Ausrichter stimmen. Für das Land am Persischen Golf ist die zu erwartende Entscheidung ein Meilenstein. Für Menschenrechtler ist sie eine Katastrophe, wie eine aktuelle Doku zeigt.

Um zu erfahren, wie die Zustände in dem Land wirklich sind, begab sich eine Journalistin für den WDR-Beitrag „Undercover in Saudi-Arabien“ heimlich auf Recherchereise - und damit in große Gefahr. Dienstagnacht wurde der zuvor in der Mediathek erschienene Film im Ersten gezeigt.

Fußballstars wie der bei al-Nassr FC spielende Cristiano Ronaldo sollen das Image Saudi Arabiens aufpolieren (Archivbild). (Bild: 2023 Getty Images/Yasser Bakhsh)

Fußballstars wie der bei al-Nassr FC spielende Cristiano Ronaldo sollen das Image Saudi Arabiens aufpolieren (Archivbild). (Bild: 2023 Getty Images/Yasser Bakhsh)

Kritische Berichterstattung ist in Saudi-Arabien nicht erwünscht. Sollte die Journalistin beim Filmen erwischt werden, würde das Gefängnis drohen, wie sie in der Doku erklärt: „Das wird das Gefährlichste, was ich je gemacht habe.“ Ihren Namen hält sie zum Schutz geheim, ihre Berichte werden von einer Schauspielerin nachgesprochen. „Die Situation dort macht mir Sorgen“, erklärt die Journalistin, die nach eigenen Angaben selbst aus Saudi-Arabien stammt. Zeit also, für einen genauen - heimlichen - Blick.

Über 20.000 Wanderarbeiter starben in acht Jahren - laut offiziellen Stellen

Die Person, um die sich hier alles dreht, wie an etlichen Abbildungen im ganzen Land zu erkennen ist, ist Kronprinz Mohammed bin Salman. Eigentlich hat dessen Vater Salman ibn Abd al-Aziz als König von Saudi-Arabien das Sagen, doch sein Sohn gilt als De-Facto-Herrscher. Über eine Billion Dollar investiert er, um den Wüstenstaat zu modernisieren und das Image aufzupolieren. Was allerdings hinter den Kulissen vor sich geht, sorgt bei der Journalistin schnell für blankes Entsetzen.

Blick auf die Skyline von Riad: Saudi-Arabien tätigt enorme Investitionen in seine Modernisierung. (Bild: iStock/Vadim_Nefedov)

Blick auf die Skyline von Riad: Saudi-Arabien tätigt enorme Investitionen in seine Modernisierung. (Bild: iStock/Vadim_Nefedov)

Schon beim Eintreffen in Dschidda, der zweitgrößten Stadt des Landes, fallen ihr die vielen Bettlerinnen und Bettler auf den Straßen auf - darunter zahlreiche Kinder. Denn auch wenn Saudi-Arabien als Öl-Supermacht (die staatliche Ölgesellschaft Saudi Aramco ist das profitabelste Unternehmen der Welt) bekannt ist, profitiert lange nicht jeder von dem Reichtum. Jeder siebte Mensch lebt hier in Armut, wie die WDR-Doku berichtet. Und die Arbeitsverhältnisse empfindet die Journalistin als katastrophal.

Für seine „Vision 2030“, für die Mohammed bin Salman bis zum entsprechenden Jahr mehrere spektakuläre Mega-Projekte umsetzen will, benötigt der Kronprinz enorm viele Arbeitskräfte. Der höchste Wolkenkratzer der Welt soll erbaut werden sowie einige neue Wüstenstädte, darunter auch die futuristische Metropole „The Line“, die eine Million Einwohner umfassen und 170 Kilometer lang werden soll. Es sind große Pläne, die allerdings auch jede Menge Opfer fordern.

„Über 20.000 Wanderarbeiter sind Berichten von offizieller Seite zufolge seit dem Start von Vision 2030 vor acht Jahren umgekommen. Viele dieser Fälle scheinen ungeklärt“, heißt es in der Doku. Als Wanderarbeiter gelten Personen, die ihr Heimatland zum Arbeiten verlassen haben. In Saudi-Arabien kommt ein Großteil der benötigten Arbeitskräfte aus dem Ausland. Menschenrechtsaktivist Nicholas McGeehan erklärt: „Ohne Wanderarbeiter würde in diesem Land alles zum Stillstand kommen. Und trotzdem werden die Arbeiter missbraucht und ausgebeutet. Man muss das ganze als Sklaverei betrachten.“

„Wir fühlen uns gefangen wie Sklaven“

Eine Journalistin berichtet bei „Undercover in Saudi-Arabien“ über die Missstände im Wüstenstaat. (Bild: WDR/Monia Chicar)

Eine Journalistin berichtet bei „Undercover in Saudi-Arabien“ über die Missstände im Wüstenstaat. (Bild: WDR/Monia Chicar)

Auch die Journalistin erfährt bei ihrem Aufenthalt von den schrecklichen Bedingungen der Wanderarbeiter. Sie trifft einige von ihnen persönlich, die über fehlende Lohnzahlungen berichten. Das Unternehmen habe ihre Pässe und gebe sie ihnen nicht zurück, sodass sie nicht zu ihren Familien könnten. „Wir fühlen uns gefangen wie Sklaven“, wird einer der Arbeiter deutlich.

Doch nicht nur die Arbeitskräfte aus dem Ausland haben in Saudi-Arabien mit den Zuständen zu kämpfen. Vor allem Frauen, die als Reinigungskräfte und Hausangestellte arbeiten, haben es hier laut den Recherchen besonders schwer. Einige erzählen der Journalistin von Misshandlungen, fehlenden Zahlungen und miserablen Bedingungen. Dabei setzt sich Mohammed bin Salman öffentlich eigentlich für mehr Frauenrechte ein ...

Frauen sollen beispielsweise die Freiheit haben, ihre Kleidung selbst zu wählen - zumindest, solange die Kleidung weiterhin dezent und respektvoll sei, wie die Scharia es vorschreibt. Diese Ankündigung des Kronprinzen empfanden viele Frauen des Landes als Durchbruch. Von den angekündigten Veränderungen euphorisiert, setzten sich einige von ihnen in den sozialen Netzwerken für mehr Frauenrechte ein. Aufmerksamkeit, die der Staat in dieser Form nicht haben wollte, wie eine Betroffene der Journalistin verrät.

„Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist schlechter denn je“

„Regierungsbeamte kamen zu meinen Eltern und sagten: 'Sorgt dafür, dass eure Töchter damit aufhören, sonst müssen wir die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Sie verbreiten Unruhe im Land'“, erklärt sie. Nach weiteren Drohungen der Polizei sei sie aus Angst vor dem Gefängnis schließlich aus dem Land geflüchtet. Ihre Schwester blieb - und wurde kurz darauf verhaftet, nachdem sie sich im Netz weiter für Frauenrechte starkmachte. „Die Veränderungen waren nicht real“, resümiert die Frau in der Doku: „Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien ist schlechter denn je.“

Das Fazit der Journalistin: „Dies ist ein Ort, an dem Menschen Angst haben, ihre Meinung zu sagen. Mohammed bin Salmans Deal ist: Ich werde das Land öffnen. Frauen werden Autofahren können, sie können arbeiten. Männer und Frauen können gemeinsam in der Öffentlichkeit sein. Aber wer politischen Wandel fordert oder versucht, meine absolute Autorität zu untergraben, geht für lange Zeit ins Gefängnis. Oder vielleicht sogar Schlimmeres.“ - In Saudi-Arabien existiert nach wie vor die Todesstrafe. (tsch)