Der US-Starpianist Kit Armstrong kombinierte in der Philharmonie Liszts Etüden mit Bachs Sinfonien. Unsere Konzertkritik.
Kölner PhilharmonieZu gehemmt für Liszt? Pianist Kit Armstrong überrascht
Was für Gegensätze unter dem Dach eines einzigen Konzerts! Im ersten Teil die 15 „Sinfonien“, mithin dreistimmigen Inventionen von Bach, ein im Klavierunterricht seit jeher zum Erlernen polyphonen Spiels gern benutztes Werkcorpus – und nach der Pause Liszts Etudes d'exécution transcendante in der Fassung von 1851. Sie erregten in ihrer Entstehungszeit unter den Pianisten Angst und Schrecken, weil sie Technik und Ausdrucksmöglichkeiten des Klaviers auf eine neue Stufe hoben. Heute gibt es etliche Virtuosen, die sie mehr als nur bewältigen können – eine Herausforderung für Kraft, Durchhaltevermögen, Konzentration und manuelle Souveränität sind sie noch allemal.
Dass der amerikanische Starpianist Kit Armstrong sie, wie jetzt im Klavierabend in der Kölner Philharmonie geschehen, erfolgreich performt, möchte man auf Anhieb nicht leicht für möglich halten. Lang Lang – okay, bei dem kann man es schon. Aber Armstrong, der, wenn er mit marionettenhaften Schritten und eng anliegenden Armen aufs Podium kommt, leicht linkisch und gehemmt wirkt – ist der absolute Gegentyp zu jener Erscheinung, die man mit einem Liszt-Spieler verbindet. Extroversion, Show, Publikumsfixierung – nein, für all das steht er ganz und gar nicht. Und dass er in seiner Dynamik dem Flügel ganz erheblich zusetzen würde, war auch nicht unbedingt zu erwarten.
Wenn der Spieler einbricht, ist alles verloren
Die Bedenken verloren sich dann allerdings ziemlich schnell. Liszt realisiert ja in diesen Etüden Orchestereffekte, für deren Darstellung es eigentlich – so könnte man vermuten – sechs und nicht zwei Hände braucht. Zaubern muss der Spieler also so und so – auch wenn er wie Armstrong ein überaus gewissenhafter Vertreter seines Metiers ist und kein Scharlatan. Vor allem kommt es immer wieder darauf an, die typisch Liszt'sche Grandioso-Melodie aus einem Dickicht von Begleitstimmen so herauszuholen, dass sie einen Auftritt bekommt, der diesen Namen auch verdient – strahlend, triumphal und von großem kantablem Atem getragen. Und sie muss dramaturgisch vorbereitet werden, muss kommen und gehen. Wenn der Spieler da einbricht, ist alles verloren.
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Diesen Anforderungen genügte Armstrong – von wenigen Ausnahmen und etlichen Sprungfehlern abgesehen – überzeugend, ohne Schweißausbrüche und hör- oder sichtbare Ermüdungsgefährdung. So geriet etwa die (von Liszt später zur Sinfonischen Dichtung umgearbeitete) „Mazeppa“-Etüde zu einer eindrucksvollen szenisch-balladesken Vergegenwärtigung mit zwingenden Kontrasten und unterschiedlichsten Farben. Armstrong donnert auch seine Akkordketten nie pedalvernebelt herunter. Und sehr genau platziert er die emphatischen – wie Augenaufschläge wirkenden und leicht kitschanfälligen – Sextaufschwünge, souverän dialogisieren rechte und linke Hand, stets aktiviert er noch Energien für Steigerung und Verdichtung. Struktur und Poesie kommen da in ein schönes Gleichgewicht.
Und Bach, auf den der Gast in der Zugabe noch einmal zurückkam? Die vermeintlichen Unterrichtsstücke, die man im Konzertsaal selten zu hören bekommt, waren hier alles andere als ein Begleitprogramm zum Warmlaufen (wobei sie als Sprungbrett für die Liszt-Sektion sowieso nicht getaugt hätten), sondern eine in jeder Hinsicht satisfaktionsfähige Säule des Programms. Armstrong realisierte sie, in der Artikulation von Satz zu Satz sorgfältig differenzierend, als einen musikalisch-emotionalen Kosmos eigener Art, mit unterschiedlichsten Affekten zwischen Repräsentativität, Überschwang, spielerischer Verve und trauerverhangener Chromatik.
Mochte das kontrapunktische Exerzitium ein wenig unterbelichtet bleiben (die Außenstimmen dominierten schon deutlich); mochte auch die eine oder andere Sinfonie dank der konsequenten Herausstellung des zentral-eigentümlichen Motivs zum romantischen Charakterstück tendieren: In die Gefahr, die Noten neutralisierend-motorisch zu absolvieren, geriet Armstrong in keinem Augenblick. Das war großer, erfüllter, poetisch inspirierter Bach. Und die Brücke Bach – Liszt trug in jeder Hinsicht, jedenfalls an diesem Abend.