Der Friseur kam selbst 2015 aus Syrien nach Deutschland. Nutzen Geschäftemacher die Lage aus, um den Sozialstaat auszutricksen?
Unbegleitete Flüchtlinge23-Jähriger soll 13.000 Euro bekommen, weil er fünf Jugendliche aufgenommen hat
Der Gastvater ist 23 Jahre alt, reiste 2015 aus Syrien nach Deutschland und ist nach eigenen Angaben Friseur. Er lebt am Rande des Ruhrgebiets, hat eine große Wohnung angemietet. Dort beherbergt er unbegleitete Flüchtlinge. Für den Aufwand überweist ihm das Jugendamt monatlich hohe Summen, von bis zu 13.000 Euro ist die Rede. Nachdem ein Privatsender und ein Nachrichtenportal über einen Fall mit diesen Angaben berichtet hatten, beschäftigt sich nun die Landespolitik damit.
Der Vorgang sei ein Beispiel dafür, „wie leicht das System beim Thema Integration ausgetrickst“ werden könne, sagte FDP-Innenexperte Marc Lürbke dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Es sei „schlicht unbegreiflich“, dass ein solches Pflegeverhältnis überhaupt entstehen konnte.
Im NRW-Jugendministerium reagiert man auf die Schilderungen mit Gelassenheit und verweist auf die kommunale Zuständigkeit. „Der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in der Regel das Jugendamt, erfüllt die Aufgabe der Pflegekinderhilfe im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung in eigener Verantwortung“, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der Liberalen. Ministerin Josefine Paul betonte aber auf Anfrage unserer Zeitung, es müsse sichergestellt sein, dass die Aufnahme von Pflegekindern „kein Geschäftsmodell“ sei. Das Gesetz unterscheide nicht zwischen jungen Heranwachsenden mit deutscher oder ausländischer Staatsangehörigkeit: „Das Kindeswohl muss bei der Aufnahme und Betreuung von Pflegekindern im Zentrum stehen“, hob die Politikerin der Grünen hervor.
Pflegepersonen benötigen Führungszeugnis, Gehaltsnachweis und Gesundheitszeugnis
Ein klarer Anspruch. Aber ist das Kindeswohl gesichert, wenn fünf Minderjährige bei einem alleinstehenden Erwachsenen untergebracht werden? Die Frage im konkreten Fall zu beantworten, ist kaum möglich, weil sich die Behörden unter Berufung auf den Datenschutz ausschweigen. Das Paul-Ministerium gewährt auch nur abstrakt Einblick. „Für die Eignungsprüfung sind insbesondere ein polizeiliches Führungszeugnis, Gehaltsnachweise und Gesundheitszeugnisse erforderlich. In der Regel finden mehrere persönliche Gespräche mit den Pflegepersonen und mindestens ein Hausbesuch statt, um biografische Informationen zu erlangen und eine Einschätzung zur Motivation und Erziehungsfähigkeit der Pflegeperson treffen zu können“, heißt es. Im Hinblick auf die fachliche Eignungseinschätzung würden „keine besonderen Vorgaben“, gelten.
Im Dezember 2023 waren die Jugendämter in NRW für mehr als 10.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zuständig. Die Zahl hat sich seit 2021 verdoppelt, viele Kommunen haben Unterbringungsprobleme. „Auch unbegleiteten ausländischen Minderjährigen stehen Ansprüche auf Hilfen zur Erziehung zu“, sagte eine Ministeriumssprecherin unserer Zeitung. „Hier können Pflegepersonen und -familien einen wichtigen Beitrag zur Integration der Kinder und Jugendlichen leisten. Unter diesen genannten Voraussetzungen kann auch eine Unterbringung – wie im vorliegenden Einzelfall – von bis zu fünf Pflegekindern bei einer Pflegeperson möglich sein.“
FDP sieht das Kindeswohl in Gefahr
Die FDP forderte die Landesregierung auf, der Angelegenheit nachzugehen. Dies könnte ihm Rahmen der Fachaufsicht geschehen, denn für die Beratung der Kommunen beim Umgang mit schwierigen Situationen sind die Landesjugendämter zuständig. „Durch Schwarz-Grün muss dringend gegengesteuert werden, da ansonsten das Kindeswohl gefährdet als auch ein hochsensibles Thema für finanzielle Interessen missbraucht werden kann“, sagte der Abgeordnete Lürbke. Besonders alarmierend sei, „dass vulnerable und oft traumatisierte minderjährige Flüchtlinge so auch einer potenziellen ideologischen oder religiösen Indoktrination ausgesetzt werden könnten – ohne dass dies bemerkt wird. Es fehlt Ministerin Paul an jeglicher Strategie, um solche Fälle zu verhindern. Diese Form des politischen Wegsehens ist unverantwortlich.“
Ob das Paul-Ministerium im konkreten Fall Kontakt mit dem zuständigen Jugendamt aufgenommen hat, blieb am Montag unklar. Man sei „auf Fachebene mit den Landesjugendämtern im Dialog zum Thema Unterbringungen von Pflegekindern“, hieß es lediglich.
Pflegepersonen erhalten von den Jugendämtern eine monatliche Pauschale zur Deckung des notwendigen Unterhaltes der Pflegekinder. Diese ist nach Altersklassen gestaffelten und setzt sich aus den materiellen Kosten und einem Erziehungsbeitrag zusammen. Bei der Festlegung orientiere sich NRW an der Empfehlung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, hieß es. Die Pauschalen liegen seit dem 1. Januar dieses Jahres je nach Alter zwischen 1151 und 1445 Euro.
Allerdings können die Beträge für die Kosten zur Erziehung vom Jugendamt je nach Aufwand im Einzelfall auch deutlich erhöht werden. Zudem werden Sonderzahlungen zum Beispiel für die Erstausstattung für Bekleidung und Mobiliar gewährt.