In Frankreich steht schon wieder eine Regierung am Ende. Neben dem zurückgetretenen Premierminister spielt dabei auch Präsident Emmanuel Macron eine entscheidende Rolle, meint Birgit Holzer.
Scheitern mit AnsageFrankreichs Krise ist Macron-gemacht
Es war ein Scheitern mit Ansage. Dass die Regierung von Michel Barnier stürzen würde, galt angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse in der französischen Nationalversammlung nur als eine Frage der Zeit. Dass sie keine drei Monate durchhalten würde, ist dennoch eine bittere Überraschung und ein Armutszeugnis für die politischen Verantwortlichen des Landes. Einmal mehr offenbart sich die Unmöglichkeit des Dialogs und der Kompromisse fernab von zynischen Machtspielen und persönlichen Karriere-Ambitionen.
Trotz der heiklen finanziellen Situation der zweitgrößten europäischen Volkswirtschaft waren die Oppositionsvertreter nicht in der Lage, gemeinsam nach Lösungen für einen gerechten Sparhaushalt zu suchen. Das Problem des noch weiter anwachsenden Schuldenbergs stellten nicht nur die Rechtsextremen hinten an, sondern auch die Parteien des linken Spektrums.
Macron hätte Dialog suchen müssen
Deren Wut, die sich durch eine Haltung der Frontalopposition ausdrückte, ist dennoch nachvollziehbar, auch im Sinne ihrer Wähler. Obwohl das links-grüne Bündnis Neue Volksfront (Nouveau Front Populaire) die Parlamentswahlen im Sommer gewonnen hat, erhielt es keine Regierungsverantwortung. Zwar traten deren Hauptvertreter zu kompromisslos auf, indem sie die Umsetzung ihres gesamten Programms einschließlich einer Rücknahme der unpopulären Rentenreform forderten. Das war für Präsident Emmanuel Macron nicht akzeptabel, der um sein politisches Erbe und die Erträge seiner Reformpolitik fürchtete.
Doch er hätte den Dialog mit den moderaten Linken suchen müssen. Stattdessen überging er sie mit bemerkenswerter Chuzpe und ernannte mit Michel Barnier einen Premierminister aus den Reihen der konservativen Republikaner, welche neben dem Präsidentenlager zu den Verlierern der jüngsten Parlamentswahl gehörten. Durch das Signal „weiter so“ fühlten sich all jene, die sich an der Urne genau dagegen aussprachen, missachtet.
Barnier ging Le Pen in die Falle
Und das umso mehr, als sich Barnier den Rechtsextremen regelrecht anbiederte, unter anderem mit der Ernennung des rechts-konservativen Hardliners Bruno Retailleau zum Innenminister, der hinsichtlich seiner Wortwahl und Überzeugungen auch den Rechtsextremen zugehören könnte. Um sie sich gewogen zu halten, umgarnte Barnier die RN-Fraktionschefin Marine Le Pen. Und ging ihr damit in die Falle.
Denn sie führte ein perfides Schauspiel auf, das vor allem vor Augen führen sollte, dass sie von der geächteten Außenseiterin zum Dreh- und Angelpunkt der französischen Politik geworden ist. Indem sie ihren Daumen genüsslich nach unten senkte, beschleunigte sie das politische Chaos, das vor allem ihr und ihrer Partei zugute kommt.
Macron trägt Mitschuld
Denn die Hauptverantwortung für die desolate Lage sehen die Wählerinnen und Wähler bei ihrem Präsidenten – und das zu Recht. Macron hat sich auf der ganzen Linie getäuscht, indem er spontan vorgezogene Parlamentswahlen ausrief, um einem Misstrauensantrag im Herbst zuvorzukommen. Schon in den Jahren zuvor überging er derart selbstherrlich die Parlamentarier, dass er den Verdruss, der sich jetzt ausdrückte, immer weiter nährte. Auch Macron war nie an mühsamer Konsensuche interessiert. Er sah sich vielmehr stets als Führungsfigur, der alle anderen zu folgen haben. Doch das tun sie längst nicht mehr.
Es bleiben wenige Auswege. Zu oft hat der Präsident schon versprochen, sich neu zu erfinden, alles anders zu machen. Er verharrte stets innerhalb der Grenzen, die ihm seine eigene Überheblichkeit setzt. Optionen sind lediglich der weitere Versuch mit einer neuen Regierung, die wiederum keine Mehrheit haben und auf ähnliche Probleme treffen dürfte wie jene von Barnier.
Eine weitere Auflösung der Nationalversammlung erlaubt die Verfassung erst wieder ab Sommer 2025. Der letzte mögliche Schritt wäre Macrons Rücktritt. Um diesen zu vermeiden, muss der einst so geniale Visionär, als der er viele Menschen von sich überzeugte, seine Vorgehensweise ändern. Er muss endlich den Weg für eine neue politische Kultur des Zuhörens und Miteinander-Redens frei machen. Macron liebt große Aufgaben – er hat sie vor sich.