Die Deutschen kaufen wieder mehr faire Produkte, wie die Halbjahreszahlen der Siegelorganisation Fairtrade zeigen. Was davon bei den Bauern im globalen Süden hängenbleibt – und warum Bio nicht unbedingt besser ist.
Fairtrade-Vorständin im Interview„In Köln gibt es ein politisches Interesse, dass fairer Handel bekannter wird“
Frau Brück, Fairtrade hat im ersten Halbjahr 2024 mehr verkauft, vor allem Bananen, Blumen und Kaffee. Wie bewerten Sie die Zahlen im Zeitvergleich?
Brück: Wir sind über alle Produkte hinweg um drei Prozent gewachsen. Das ist gegenüber dem vergangenen Jahr eine Kehrwende und lässt uns sehr optimistisch auf das Gesamtjahr schauen. Umfragen und Verbraucherbarometer zeigen, dass nachhaltige Themen wieder wichtiger sind. Im vergangenen Jahr waren Verbraucher aufgrund der hohen Inflationsrate und der Energiekrise zurückhaltender. Unsere Partner, die Fairtrade-Produkte anbieten, haben teilweise ihr Sortiment angepasst und mehr preissensible Produkte angeboten. Jetzt nimmt die Nachfrage wieder zu, auch wenn wir noch weit entfernt sind von den zweistelligen Wachstumsraten der 2000er- und 2010er-Jahre.
Wie groß ist denn der Marktanteil von Fairtrade-Produkten?
Bei Kaffee liegen wir bei fünf Prozent, bei Bananen sind es 15 Prozent und bei Kakao 17 Prozent. Unser Spitzenreiter sind Rosen, da haben wir einen Marktanteil von mehr als einem Drittel.
Am nachhaltigsten ist es doch aber, wenn wir Rosen aus Deutschland und den Nachbarländern kaufen.
Ja, aber nur im Mai und Juni. Den Rest des Jahres brauchen wir viel Wärme und Licht, damit die Rosen wachsen – das kostet viel Geld und ist wenig nachhaltig. Deswegen ist die Blumenindustrie größtenteils nach Ostafrika gezogen, nach Kenia, Uganda, Tansania und Äthiopien. Dort blühen Rosen das ganze Jahr über – und zwar ohne Heizung.
Claudia Brück startete vor 25 Jahren als Pressesprecherin bei Fairtrade Deutschland. Seit 2016 ist sie Vorstandsmitglied und verantwortet die Bereiche strategische Kommunikation, entwicklungspolitische Positionierung und die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen und entwicklungspolitischen Stakeholdern. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Köln.
Bio-Zertifizierung ist für Kleinbauern herausfordernd
60 Prozent der Fairtrade-Produkte sind auch biozertifiziert. Der Rest der Produkte ist also gut zu den Menschen, aber nicht gut zur Umwelt?
Wir sind ein Sozialsiegel, das heißt, wir schauen uns zuerst die Menschen an. Da Mensch und Umwelt aber Hand in Hand gehen, bezieht sich ein Drittel unserer Fairtrade-Kriterien auf die Umwelt, egal ob Bio oder nicht. Unser normaler Standard verbietet beispielsweise 250 Pestizide, und regelt, wie Landwirte mit Wasser und Abfall umgehen sollten. Unser Ziel ist, dass sich Bauern als Bio-Erzeuger zertifizieren lassen können, aber in der Realität ist das häufig schwer umsetzbar.
Warum?
Um biozertifiziert zu sein, müssen konventionell bearbeitete Böden drei Jahre lang rückstandsfrei sein. In dieser Zeit hätten angehende Biobauern also gar kein Einkommen. Fairtrade unterstützt sie dabei, diese Phase zu überbrücken – und am Ende mehr Geld für Bioware zu bekommen. Für manche Bauern scheitert die Biozertifizierung auch an ihrem Land: Die Parzellen müssen einen Sicherheitsabstand zu konventionell arbeitenden Betrieben haben. Das ist bei unseren Kleinbauern nicht immer gegeben. Das heißt, nicht jeder Kleinbauer kann auch biozertifiziert werden, weil er einfach gar nicht genügend Land besitzt für diese Schutzabstände.
Fairtrade steht unter anderem in der Kritik, weil die Zertifizierung teuer ist und sich viele Kleinbauern das schlicht nicht leisten können. Was kostet es, in Ihrem System dabei zu sein?
Wir haben die Zertifizierung viele Jahre kostenlos angeboten. Daraufhin haben sich sehr viele Kooperativen zertifizieren lassen, aber die Kriterien nicht eingehalten. Was nichts kostet, ist nichts – das war leider unsere Erfahrung. Und wir haben ja trotzdem die ganzen Aufwände, die Kleinbauern zu beraten und zu zertifizieren. Die Zertifizierungsgebühr hängt davon ab, wie groß die Organisation ist, wie viele Produkte sie anbieten und wie weit ihre Standards von Fairtrade entfernt sind. Eine Kaffeekooperative beispielsweise, die nur ein Produkt anbietet, zahlt zwischen 500 und 2000 Euro für die Zertifizierung. Eine Zertifizierung ist aber keine Zusicherung, dass sie die Bohnen verkaufen kann. Deshalb empfehlen wir, sich zuerst um einen Kunden zu kümmern und dann gemeinsam die Zertifizierung anzugehen.
Was heißt denn, erst einen Kunden zu finden? Eine Kaffeebauer kann ja schlecht bei Rewe oder Edeka anrufen…
… aber bei einem Röster oder Exporteur, die im Ursprung aktiv sind. Der übernimmt dann häufig sogar die Kosten der Zertifizierung – und zahlt Mindestpreis und Prämie. Wir haben bereits sehr viele Kooperativen im System und wollen, dass jede von ihnen so viel fair gehandelte Ware wie möglich verkaufen. Dafür muss jedoch ein Markt vorhanden sein, und eine reale Chance, dass die Produkte abgesetzt werden. Deswegen arbeiten wir kräftig daran, unseren Marktanteil zu vergrößern.
Wenn Verbraucher Schokolade mit Fairtrade-Siegel kaufen, heißt das ja nicht unbedingt, dass das komplette Produkt fair hergestellt wurde. Ist das nicht irreführend?
Wir haben zwei verschiedene Siegel: Das klassische schwarz-grün-blaue Fairtrade-Siegel mit dem Pfeil bedeutet, dass alle Zutaten, die Fairtrade-zertifiziert werden können, auch Fairtrade-zertifiziert sind. Bei einer Schokolade wären das dann zum Beispiel Kakao, Zucker, Vanille und Nüsse. Die Vollmilch aber nicht, weil wir Milchprodukte nicht zertifizieren. Die Alternative ist das weiße Siegel, das für unser Rohstoffmodell steht: Auf dem Siegel steht dann beispielsweise nur Kakao. Das heißt, dass dann nur der Kakao zertifiziert ist. Weniger als 20 Prozent unserer Produkte sind solche sogenannten Mischprodukte.
Köln ist eine sogenannte Fairtrade-Stadt. Welche Rolle spielen solche Städtepartnerschaften für Sie?
Köln ist seit dem Jahr 2011 eine von deutschlandweit rund 900 Fairtrade-Städten. Das heißt, es gibt hier auch ein politisches Interesse, dass fairer Handel bekannter wird und dass sich die Leute engagieren. Solche Fairtrade-Towns haben an den Einwohnern gemessen eine bestimmte Anzahl von Geschäften, in denen es Fairtrade-Produkte gibt, sowie Vereine, die sich für Fairtrade starkmachen. Die Stadtverwaltungen steigen in ihrem Beschaffungswesen auf immer mehr fair gehandelte Produkte um. Nach demselben Prinzip funktionieren auch unsere Fairtrade-Schools, von denen es zehn Stück in Köln gibt. Die Schulleitung hat beschlossen, fairen Handel zu fördern, indem die Schüler Fairtrade-Produkte kaufen können, zum Beispiel am Schulkiosk oder bei Veranstaltungen, und der faire Handel in den Lehrplan aufgenommen wird.
Der Verein Fairtrade Deutschland wurde 1992 mit dem Ziel gegründet, Produzentengruppen in Ländern des globalen Südens zu unterstützen. Der gemeinnützige Kölner Verein vergibt das Fairtrade-Siegel für Produkte, bei deren Herstellung bestimmte soziale, ökologische und ökonomische Kriterien eingehalten wurden. Auf diese Weise soll etwa sichergestellt sein, dass Produzentinnen und Produzenten in den Herkunftsländern vom Verkauf ihrer Erzeugnisse leben können. Der Verein garantiert für die Erzeuger dabei einen Mindestpreis, der über dem Marktpreis liegt. Übersteigt der Weltmarktpreis den Mindestpreis, wird stattdessen der Weltmarktpreis garantiert. Zudem gibt es bestimmte Prämien, etwa für biologisch angebaute Produkte. Damit können die Hersteller auch Investitionen tätigen.
Die Prämieneinnahmen durch Absätze auf dem deutschen Markt lagen im ersten Halbjahr 2024 bei 20 Millionen Euro und damit drei Prozent über dem Vorjahreszeitraum. Rechtlich geschützt sind die Begriffe „fair“ oder „fairer Handel“ allerdings nicht. Es gibt auch kein einheitliches Siegel, sondern viele verschiedene „Fair“-Labels. Laut Verbraucherzentrale gehört das Label von „Fairtrade“ zu den vertrauenswürdigen Siegeln. Es hält sich an international vereinbarte Handelsgrundsätze.