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Kommentar

Kirchenkritik
Klöckner hat offenbar weder etwas von Religion noch von Demokratie begriffen

Lesezeit 3 Minuten
ARCHIV - 25.03.2025, Berlin: Julia Klöckner (CDU), Bundestagspräsidentin, spricht nach ihrer Wahl erstmals in ihrem neuen Amt bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags. (zu dpa: «Bundestagspräsidentin: Fraktionen müssen Umgang mit AfD klären») Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Julia Klöckner (CDU), Bundestagspräsidentin, hat die Kirchen kritisiert.

Kirchenrechtler Thomas Schüller beleuchtet in seinem Gastbeitrag das Skandalöse an den Äußerungen der CDU-Politikerin zur Rolle der Kirchen.

Noch keinen Monat im Amt, tritt die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) in zwei Interviews mit einem faktischen Denk- und Sprechverbot für die christlichen Kirchen zu politischen Themen an. Geht es nach Klöckner, sollen sie ihren Einsatz auf den Lebensschutz am Anfang wie am Ende konzentrieren und sich ansonsten um die Seelsorge kümmern, wo sie angeblich in der Coronakrise erheblich versagt hätten.

Der große Sozialbischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811 bis 1877), aus dessen Bistum Mainz Klöckner stammt und wo sie Theologie studiert hat, würde sich im Grabe umdrehen. Für ihn gab es nur ein politisches Christentum, das sich der Not und der Armut vieler Menschen stellt. Das Evangelium ist für die Mächtigen immer eine – wie es der Münsteraner Theologe Johann Baptist Metz formuliert hat – „gefährliche Erinnerung“, weil es Partei nimmt für die Unterdrückten, Marginalisierten und unter die Räder Gekommenen. Ob es den Herrschaften passt oder nicht, gelegen oder ungelegen.

Thomas Schüller, Theologe und Kirchenrechtler, steht vor dem Münsteraner Dom.

Thomas Schüller, Professor für Kirchenrecht an der Universität Münster.

Je konkreter die politische Frage und die damit einhergehende politische Positionierung der Kirchen ist, desto mehr gilt die Kraft des besseren Arguments. Die Kirchen können sich hier nicht auf höhere Autorität oder gesonderte Expertise berufen. Sie müssen sich wie alle anderen der Debatte stellen und bereit sein, Kritik einzustecken. Keine Frage.

Menschliches Leben ist bedroht, wenn Europa Geflüchtete im Stich lässt

Aber wenn es um das Leben als Ganzes geht, haben die Kirchen aus dem Evangelium heraus dennoch die religiöse Pflicht, sich für den Erhalt des Lebens und strukturell für lebensfördernde Verhältnisse einzusetzen. Menschliches Leben ist nicht nur vor der Geburt bedroht, was Klöckner mit ihrer einseitigen Fokussierung auf die Abtreibung nahelegen will, sondern eben auch, wenn Europa sich abschottet und Geflüchteten keine Chance zum Überleben gibt.

Das ist der Punkt, der Klöckner und auch andere in ihrer Partei aufgebracht hat: die Kritik der Kirchen an der Migrationspolitik der CDU/CSU. Über sie kann und soll man auch unter Katholiken und Protestanten trefflich streiten, ohne sich wechselseitig das Christsein abzusprechen. Die Kirchen müssen hier aber Stachel im Fleisch bleiben, weil sie in jedem Menschen das Abbild Gottes sehen – wohl wissend, dass das keine politischen Prozesse ersetzt, in denen die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker in oft mühsamer Arbeit zu mehrheits- und konsensfähigen Entscheidungen kommen müssen.

Für religiös motivierte Einmischung gibt es keine Schranken

Diese religiös motivierte Einmischung in politische und gesellschaftliche Diskurse unterliegt nach unserem Grundgesetz mit seiner umfassenden Garantie der Religionsfreiheit in Artikel 4 keinen inhaltlichen Schranken, die Politiker den Kirchen und Religionsgemeinschaften errichten könnten. Schon der Versuch wäre verfassungswidrig.

Das ist das eigentlich Skandalöse in Klöckners Äußerungen: In wieder einmal kaum verhohlener Anpassung an die AfD möchte die zweithöchste Repräsentantin des Staates, die das Parlament schützen und die Verfassung verteidigen soll, Freiheitsrechte einschränken, die Kirchen zusammen mit anderen Organisationen der Zivilgesellschaft unter Generalverdacht stellen. Am Horizont steht drohend ein totalitäres Staatsverständnis à la Trump in den USA oder Orban in Ungarn. Entschiedener Widerspruch der Kirchen selbst, aber auch aller anderen aufrechten Demokratinnen und Demokraten ist da erste Bürgerpflicht.

Julia Klöckner hat offenbar nichts von Demokratie begriffen

Der Bundestagspräsidentin ist ins Stammbuch zu schreiben: Religiös motivierte Interventionen müssen im guten Sinn störend, parteinehmend sein, wenn es der Glaube es fordert. Religionen sollen den politischen Alltag unterbrechen, sie haben einen prophetischen Auftrag. Und Religion ist immer eine Unterbrechung der scheinbaren innerweltlichen Plausibilitäten.

Wen das wiederum stört, wie es bei Julia Klöckner augenscheinlich der Fall ist, der hat weder etwas von Religion noch von Demokratie begriffen. Als Staatsbürger kann einem angst werden um die Verfassung, wenn die Repräsentantin eines Verfassungsorgans so liederlich mit ihr umgeht. Und bange werden kann einem als Theologe, wenn eine Absolventin dieses Fachs mit so wenig Sinn und Verstand als Geisterfahrerin in die öffentliche Debatte geht.