Die Projekte sollen entscheidend für die Wasserstoffversorgung der Industrie in NRW sein. Bei einem stehen bis zu 400 Jobs auf der Kippe.
Es geht um Jobs und MilliardenDiese fünf Klimaschutzprojekte in NRW sind in akuter Gefahr
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur hat erstmals Klimaschutzprojekte in NRW genannt, die wegen der Haushaltskrise der Bundesregierung akut gefährdet sind. Es handelt sich um Großinvestitionen, die die Transformation der Wirtschaft unterstützen sollen. „Allein in Nordrhein-Westfalen sind fünf wichtige Projekte betroffen, die den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft vorantreiben sollen“, sagte die Grüne dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Sie brauchen eine verlässliche Perspektive, weil wir sie für die klimaneutrale Transformation unserer Industrieregion brauchen“, fügte die Vize-Ministerpräsidentin hinzu.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sei so tiefgreifend, dass es alle staatlichen Ebenen vor enorme Herausforderungen stelle. „Es ist deshalb dringend notwendig, dass die Bundesregierung schnellstmöglich Klarheit über die kurz-, aber auch die langfristigen Folgen herstellt. Mit seiner Regierungserklärung hat der Kanzler aber leider das genaue Gegenteil geschafft“, sagte Neubaur.
Bis zu 400 Jobs sollten entstehen
Die Finanzierung folgender Projekte ist demnach ungeklärt: Get H2, GreenMotionSteel, ChemCh2ange, Mapeva und Seneca. Hinter den mitunter kryptischen Namen stehen Konzepte zur Dekarbonisierung der NRW-Industrie, Konzerne, Investitionen – und eine große Anzahl von Arbeitsplätzen. Beispiel Mapeva: Das in Übach-Palenberg im Kreis Heinsberg ansässige Unternehmen Neumann & Esser plant den Aufbau einer sogenannten PEM-Elektrolyseproduktion. Bei dem Verfahren entsteht grüner, also klimaneutral erzeugter Wasserstoff. Bis zu 400 Arbeitsplätze sollen daran hängen, hieß es bislang – das wäre für Neumann & Esser ein Personalwachstum um ein Drittel. Doch nun herrscht Unsicherheit. Ein Sprecher des Unternehmens will die Zweifel an der Finanzierung am Mittwoch nicht kommentieren.
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Oder Get H2, ein Projekt zum Aufbau eines Wasserstoffnetzes von Lingen im Emsland bis Gelsenkirchen im Ruhrgebiet. Zu den Partnern gehören unter anderem RWE, Evonik, BP, Nowega und Thyssengas. Es geht nicht nur um Leitungen, sondern um die Einbindung von Erzeugern, Speichern und industriellen Abnehmern. RWE ist bereits in Vorleistung gegangen, hat dafür schon zwei 100-Megawatt-Elektrolyseure bestellt, Genehmigungen eingeholt – und warte auf Klarheit, schreibt ein Sprecher des Energiekonzerns dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. An Spekulationen wolle sich RWE allerdings nicht beteiligen.
Der Chemiekonzern Evonik stellt im Rahmen von Get H2 Pipelines zur Verfügung und sehnt Wasserstoff sowohl als Energieträger als auch als Ausgangsstoff für chemische Produkte herbei. Grüner Wasserstoff sei einer „der wichtigsten Eckpfeiler“ auf dem Weg von einer konventionellen Energieversorgung zu einer nachhaltigen Gaswirtschaft, schreibt ein Konzernsprecher.
Die Projektpartner wissen nicht, wie es weiter geht. Ob die aktuelle Situation Auswirkungen auf die Projektbausteine von Get H2 hat? „Dazu können wir zum jetzigen Zeitpunkt nichts sagen“, sagt Frank Heunemann, Geschäftsführer von Nowega, auf Anfrage. „Das wäre reine Spekulation.“ Nowega koordiniert die Aktivitäten der Initiative.
Kölner Projekt steht auf der Kippe
Auf der Kippe steht auch die Finanzierung eines Kölner Projekts: Bei ChemCh2ange arbeiten der Chemiekonzern Ineos und der Chempark-Betreiber Currenta zusammen, sie wollen eine 100-Megawatt-Elektrolyse zur Herstellung grünen Wasserstoffs aufbauen. Der Ineos-Standort in Köln-Worringen plant mit diesem Wasserstoff ebenso wie der Currenta-Chempark in Dormagen. Die geplante Anlage sei „für die Chemieindustrie Nordrhein-Westfalens ein Leuchtturmprojekt“, sagt eine Sprecherin von Ineos. Eine Machbarkeitsstudie habe das Unternehmen bislang einen mittleren einstelligen Millionenbetrag gekostet, das Land NRW habe knapp 800.000 Euro zugeschossen.
Ineos will Klarheit, der Aufbau einer Wasserstoffindustrie erfordere staatliche Unterstützung, sagt die Sprecherin: „Wird das Projekt nicht durchgeführt, fällt ein Baustein zur Dekarbonisierung für die Industrie in NRW weg.“
Thyssenkrupp hat den Förderbescheid schon erhalten
Die fünf genannten Projekte eint, dass sie im Rahmen einer EU-Förderung als „wichtige Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse“ gewertet werden, so lässt sich die Abkürzung IPCEI eindeutschen. Ein IPCEI-Projekt ist auch die sogenannte Direktreduktionsanlage von Thyssenkrupp, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden und klimaneutralen Stahl produzieren soll. Der Unterschied zu den gefährdeten Projekten: Den insgesamt milliardenschweren Förderbescheid von Bund und Land hat Thyssenkrupp vor wenigen Monaten schon erhalten. Bei den fünf Wasserstoff-Projekten, die jetzt fraglich sind, steht die dafür notwendige Notifizierung der EU-Kommission aber noch aus. Sie soll nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in diesen Tagen erfolgen. Aber ob der Bund das Geld, das doch aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen sollte, dann noch lockermacht, ist offen.
Die Alternative zur grünen Transformation der Wirtschaft sei eine „harte strukturelle Disruption“, sagt derweil NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur. „Das kann niemand ernsthaft wollen, weil uns dieses Szenario Sicherheit, Souveränität und Wohlstand kosten wird.“ Das Gebot der Stunde sei es jetzt, in Bündnissen und über Parteigrenzen hinweg ernsthaft zusammenzuarbeiten.
Land NRW kann fehlende Bundesmittel nicht ausgleichen
Dietmar Brockes, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP im Landtag, erklärte, jetzt „räche“ sich die „grüne Subventionsideologie“. Die finanziellen Mittel des Bundes seien nicht unbegrenzt, deshalb sei jetzt eine Prioritätensetzung des Bundeswirtschaftsministeriums dringend erforderlich. „Wasserstoffprojekte müssen höchste Priorität haben, sie sind für unsere Wirtschaft und Industrie in NRW überlebenswichtig. Bundeswirtschaftsminister Habeck steht in der dringenden Pflicht, die Zusagen gegenüber unseren europäischen Projektpartnern und den Unternehmen einzuhalten“, sagte Brockes unserer Zeitung.
André Stinka ist der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Er will wissen auf „welche eigenen Füße die Landesregierung ihre Wirtschafts- und Klimaschutzpolitik zu stellen gedenkt“. „Zukunftsinvestitionen müssen im Land wie im Bund ermöglicht werden. Die Schuldenbremse darf in dieser Lage keine Zukunftsbremse werden“, sagte Stinka. Effektiver Klimaschutz sei eine Menschheitsaufgabe und könne nicht „aus der Portokasse eines Haushaltsjahres angestoßen werden.“ Aktuell würde das Land auf eine Erderwärmung von 3 Grad Celsius statt 1,5 Grad im Jahr 2100 zusteuern. „Die Zeit zu handeln ist jetzt“, sagte der SPD-Politiker dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Die schwarz-grüne Landesregierung hatte bereits angekündigt, es sei nicht möglich, fehlende Bundesmittel durch Gelder aus dem NRW-Haushalt zu kompensieren. „Wir erwarten, dass der Bund zu seinen Zusagen steht und die wichtige finanzielle Unterstützung aller Zukunftstechnologien in NRW sicherstellt“, sagte Christian Untrieser, Wirtschaftsexperte der CDU-Landtagfraktion. „Hier werden wir genau hinsehen und Klarheit für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen einfordern.“