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Fahrgeschäfte als Kölner AnschlagszielMutmaßliche Terroristen spähten am Ostermontag Deutzer Kirmes aus

Lesezeit 4 Minuten
15.04.2023, Köln: Reportage auf der Osterkirmes 2023 in Köln Deutz. Foto:Dirk Borm

Besucherinnen und Besucher der Deutzer Kirmes im April 2023

Die Verdächtigen wurden auf dem Volksfest beschattet. Es bestand zudem Kontakt zu den jetzt in Anschlagspläne auf den Dom verwickelten Männer.

Die Mobile Fahndungseinheit der Polizei folgte am Ostermontag 2023 den drei Verdächtigen stundenlang. Einer der beiden mutmaßlichen Anführer einer zentralasiatischen Zelle der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ in der afghanischen Provinz Kohrasan (ISPK) hatte sich am Hauptbahnhof mit zwei Komplizen getroffen.

Im Vorfeld hatte der turkmenische Flüchtling Ata A., 27, aus Ennepetal im Telegram-Gruppenchat mit ihnen den Ablauf der Zusammenkunft abgesprochen. Zunächst ging es um den Versand einer Spende an inhaftierte IS-Leute in Syrien oder Russland. Dabei fiel einem der drei auf, dass die Christen mit zwei Feiertagen das Osterfest begingen. Aus dem Geldtransfer wurde daher nichts, doch die Islamisten verfolgten offenbar noch ein anderes Vorhaben.

IS-Anhänger fuhren auf Fahrgeschäften auf Kölner Kirmes in Deutz

Am Nachmittag sollen sie die Deutzer Kirmes als mögliches Anschlagsziel ausgespäht haben. Dies belegen Vermerke des Bundeskriminalamts (BKA), die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte. Dabei testeten die IS-Anhänger auf dem Jahrmarkt etliche Fahrgeschäfte aus. Die Männer machten Selfies und fotografierten die Umgebung. Einer hob während der Fahrt in einem Karussell den Zeigefinger zur sogenannten Tauhid-Geste. Ein Siegeszeichen, das häufig von radikal-islamischen Salafisten benutzt wird.

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Die Bundesanwaltschaft und die niederländische Justiz ließen die insgesamt neun Personen umfassende ISPK-Terrorgruppe am 6. Juli 2023 festsetzen. Die Ankläger in Karlsruhe gehen davon aus, dass die überwiegend aus Tadschiken bestehende Zelle, die Deutzer Kirmes besuchte, „um abzuklären, ob es sich um einen geeigneten Anschlagsort handelt“.

Terroralarm in Deutschland: Berliner Moschee im Visier

Zeitweise geriet auch die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin-Moabit ins Blickfeld. Das Gebetshaus lädt Muslime jeglicher Fasson ein – und engagiert sich auch für die LGBTQ-Bewegung unter den Gläubigen. Zugleich versuchten sich die Beschuldigten laut BKA Schusswaffen für ihre Terror-Pläne zu beschaffen. Um eine Kofferbombe zu platzieren, testeten sie das Fassungsvermögen mit Flaschen und versandten entsprechende Fotos. Auch reichten die Kontakte bis nach Österreich.

Aus ihrem Umfeld stammen ferner jene Verdächtigen, die in Anschlagspläne auf den Kölner Dom, in Wien und Madrid an Silvester verwickelt sein sollen.

Einer der beiden mutmaßlichen Köpfe der nordrhein-westfälischen Terror-Zelle saß im niederländischen Breda: Abdusamad A., ein Tadschike, der bereits drei Jahre zuvor bei Zusammenkünften mit ISPK-Leuten Terror-Attentate in Europa erörtert hatte. Die holländischen Behörden hatten eine Vertrauensperson (VP) an ihn herangespielt. In Gesprächen mit ihm wütete er über in seinen Augen Ungläubige. Allein schon, wenn er deren Kinder betrachte, spüre er das Verlangen, sie zu töten. In Chats sprach die Gruppe über Anschläge. Bald werde man in Deutschland handeln, hieß es.

Terroralarm in Deutschland: Spitzel lieferte Polizei brisante Informationen

Offenbar verfügte die ISPK-Zelle über weitreichende Kontakte zu einem internationalen Netzwerk militanter Islamisten. So fädelte man Geldtransfers mit einem Finanzvermittler der Terror-Miliz in der Türkei ein. Der ISPK hatte laut der US-Bundespolizei FBI eigens einen Mann nach Deutschland geschickt, der sich als Spendensammler und Logistiker für gefälschte Papiere der Gruppe anschloss.

Nach der Festnahme der Gruppe lieferte ein Spitzel dem BKA brisante Informationen. Er stand in engem Kontakt mit dem zweiten Anführer, dem turkmenischen Flüchtling Ata A. Glaubt man den Angaben des V-Manns, war das Anschlagsrisiko noch höher als gedacht. So berichtete Ata A. von einem Kontaktmann aus der Ukraine, der ihm für 5000 US-Dollar eine Stinger-Rakete angeboten habe. Der Verkäufer kämpfe derzeit im Donezk-Becken, reise aber häufig nach Deutschland, um hier Waffen zu veräußern. Die Muslime hierzulande seien alle zu weich, nicht radikal genug, erregte sich der Extremist. Man müsse die Religion mit einem großen Knall ans Licht bringen.

Offenbar litt seine Gruppe zeitweise unter Geldnot. In der Unterhaltung mit dem BKA-Spitzel sprach Ata A. von Plänen, in zwei Ländern, darunter in Frankreich, „Panik“ zu verbreiten. Dann aber sei ihr Finanzier aus Khorasan bei Gefechten gefallen. Der Geldfluss stoppte. Inzwischen aber habe man einen neuen Investor gefunden, einen Tschetschenen aus Österreich, bekundete der 27-jährige Terror-Chef. Den Geldgeber kannte er offenbar aus gemeinsamen Zeiten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Wie gut die Kontakte der deutschen Tadschiken-Gruppe zur militanten Islamisten-Szene in Österreich waren, erläuterte der V-Mann im BKA-Protokoll vom September 2023. Demnach habe ihm Ata A. erzählt, dass drei „Brüder“ in der Alpenrepublik verhaftet worden seien. Einer sei Tschetschene, die anderen stammten aus Südosteuropa. Die Jungs sollten den Angaben zufolge eine LGBTQ-Parade in Österreich attackieren. Der Auftrag sei in Deutschland abgesegnet worden, behauptete der ISPK-Anhänger. Bewusst seien jüngere Dschihadisten ausgewählt worden, da sie geringere Strafen zu erwarten hätten.

Da Ata A. im Sommer die Abschiebung in seine Heimat drohte, wollte er sich nach Österreich absetzen. Dort kenne er viele „Brüder“, erklärte der Terrorverdächtige dem Polizeispitzel. Am 7. Juli wollte er untertauchen. Tags zuvor wurde er festgenommen.