In Berlin wurde am Montag die Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht - für Vernunft und Gerechtigkeit“ gegründet. Der Wechsel des Düsseldorfer Ex-OBs Thomas Geisel zum Bündnis sorgt in der NRW-SPD für Unmut. Treibt ihn „Eitelkeit“?
NRW-SPD sauer auf Ex-OB Geisel„Wechsel zu Wagenknecht wirft Schatten auf seine Amtszeit“
Thomas Geisel wirkt entspannt. Soeben hat der frühere Oberbürgermeister von Düsseldorf bei der Bundespressekonferenz in Berlin bekannt gegeben, dass er bei der Europawahl für das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) kandidieren wird. Der Ex-Genosse ist sich sicher, alles richtig gemacht zu haben. Die schweren Versäumnisse der SPD in der Friedens- und Asylpolitik hätten ihn zu einem „Heimatlosen“ gemacht, sagt Geisel im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Immer mehr Menschen hätten die Hoffnung aufgeben, dass „Politik noch etwas Gutes bewirken“ könne.
Am Montag stellte Sahra Wagenknecht in der Bundeshauptstadt die Führungsmannschaft ihrer neuen Partei vor. Dabei saßen auch der ehemalige Linken-Politiker Fabio De Masi und der langjährige SPD-Politiker Thomas Geisel auf dem Podium – die beiden sollen das Bündnis als Spitzenduo in die Europawahl führen. Am Vormittag hatte sich das BSW offiziell als Partei gegründet und den ersten Vorstand gewählt. Ein „historischer Tag“, findet Geisel. Die Partei habe schließlich „durchaus das Potenzial, das deutsche Parteienspektrum grundlegend zu verändern“.
Etwa 24 Stunden vor seinem ersten öffentlichen Auftritt mit Sahra Wagenknecht hatte Geisel bei der SPD seinen schnellstmöglichen Austritt beantragt. Laut der Partei lediglich in einem Dreizeiler ohne Begründung.
Geisel war ein Hoffnungsträger der NRW-SPD, fiel aber auch mit umstrittenen Thesen auf
Dabei gehörte der Jurist aus Baden-Württemberg lange Jahre zu den Hoffnungsträgern der NRW-SPD. Noch im vergangenen Jahr soll er Interesse bekundet haben, die Nachfolge von Thomas Kutschaty als Landesvorsitzender anzutreten.
Doch daraus wurde nichts: Viele Spitzengenossen haderten mit den umstrittenen Thesen des Ex-OBs zum Krieg in der Ukraine. Geisel forderte eine diplomatische Lösung des Konflikts. Deutschland solle den Krieg nicht mit Waffenlieferungen befeuern, sondern dazu beitragen, dass der Konflikt so schnell wie möglich beendet werde, fordert Geisel. Die SPD von Willy Brandt und Helmut Schmidt sei „immer eine Partei des Friedens und der Versöhnung“ gewesen.
Projekt mit Skandal-Rapper Farid Bang
Auch in der Eiwanderungspolitik sieht Geisel schwere Versäumnisse. Die SPD betreibe eine „ideologisch getriebene Realitätsverweigerung“. Das Grundrecht auf Asyl müsse durch ein Einwanderungsrecht abgelöst werden, das sich am Fachkräftebedarf orientiere, forderte Geisel.
Der frühere Oberbürgermeister aus Düsseldorf gehörte in der Regierungszeit der früheren Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) zur Führungsreserve der NRW-SPD. 2014 war er gefeiert worden, als er in der Landeshauptstadt den CDU-Amtsinhaber Dirk Elbers in der Stichwahl überraschend aus dem Amt verdrängte. Sein Stern sank allerdings, als er in Düsseldorf Umweltspuren einführte, was lange Staus produzierte und den Pendlern an den Nerven zerrte. In der Coronazeit sorgte ein gemeinsames Projekt mit dem Skandal-Rapper Farid Bang für Kopfschütteln.
In der NRW-SPD stieß der Wechsel von Geisel zum Wagenknecht-Bündnis auf massive Kritik. Generalsekretär Frederick Cordes sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, Geisel habe sich nach seiner Amtszeit als Düsseldorfer Oberbürgermeister „verrannt“: „Die SPD vertritt seit über 160 Jahren die Werte der Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Die zuletzt dargelegten Gründe für seinen Wechsel ins Lager von Sahra Wagenknecht lassen daran zweifeln, ob er diese Werte noch vertritt.“
Geisel scheine sich „von den sozialdemokratischen Werten entfernt“ zu haben. „Mit seiner Kandidatur für das Bündnis von Sahra Wagenknecht stellt er sich selbst ins Abseits und lässt zu, dass auf seine erfolgreiche Amtszeit als Düsseldorfer Oberbürgermeister fortan ein fragwürdiger Schatten liegen wird“, so Cordes.
Sinneswandel nach Jubilar-Feier?
Geisel war erst vor knapp einem Monat für seine 40-jährige Mitgliedschaft in der SPD geehrt worden. Damals hatte er gesagt, dass „sich jeder darauf verlassen“ könne, dass er „sein Leben lang Sozialdemokrat bleiben“ werde. Der 60-Jährige sieht seinen Wechsel nicht als Sinneswandel. Er bleibe seinen Werten treu, fühle sich aber beim BSW „besser aufgehoben“.
In Meinungsumfragen hatte das Wagenknecht-Bündnis zuletzt gut abgeschnitten. Experten rechnen damit, dass viele Protestwähler der AfD zu der neuen Partei wechseln werden. Aufgrund des Wahlrechts bei der EU-Wahl gilt der Einzug des BSW ins Brüsseler Parlament als relativ sicher. Die Parlamentarier erhalten eine monatliche Diät von rund 9800 Euro plus Zulagen.
Geisel erklärte, er kenne Wagenknecht seit mehr als 30 Jahren. In den vergangenen Monaten sei es dann zu intensiven Gesprächen gekommen. Der Ex-Sozialdemokrat hofft auf viele Nachahmer in der SPD. Jeder müsse selbst entscheiden, welchen Weg er gehen wolle. „Ich würde mich freuen, wenn mir viele von Euch dabei folgen würden“, schrieb Geisel in einem Brief an die Düsseldorfer SPD. Darauf habe er „viele positive Rückmeldungen“ erhalten, sagte Geisel unserer Zeitung.
Bei den NRW-Grünen sorgte der Schritt des Ex-OBs für Unverständnis. Parteichef Tim Achtermeyer sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wir Politiker haben ja die Angewohnheit, manchmal eitel zu sein. Die Frage ist nur: Beherrscht man die Eitelkeit oder beherrscht die Eitelkeit den Politiker?“ Bei Geisel sei „offensichtlich Letzteres“ der Fall. Der Parteiwechsel und die EU-Kandidatur seien „beide eindeutig nicht inhaltlich getrieben“, so der Grüne.