Der ehemalige CDU-Chef und NRW-Ministerpräsident spricht über sein Wirken gegen die AfD, den Streit in der Ampel und die OB-Wahl in Köln.
Interview mit Armin Laschet„Ich bekomme jetzt Zuspruch von Leuten, die mich nicht gewählt haben“
Herr Laschet, Sie halten eindringliche Reden gegen die AfD, die millionenfach im Internet geteilt werden. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Armin Laschet: Die Reden, die Sie ansprechen, habe ich im gleichen Geist immer schon gehalten. Aktuell treffen sie womöglich besonders einen Nerv bei den Menschen und erzielen durch die Verbreitung in den sozialen Medien dann diese große Wirkung. Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist mein Herzensthema, seit meiner frühesten Jugend habe ich mich für die europäische Idee eingesetzt. Nach 1990 hätte ich nicht gedacht, dass es irgendwann noch einmal nötig sein würde, für die Demokratie und für Europa kämpfen zu müssen. Deswegen bin ich bei der Verteidigung auch leidenschaftlich. Wir sind in die Defensive geraten. Es wäre fatal, das Feld den Populisten zu überlassen.
Macht Sie die große Resonanz darauf auch ein bisschen stolz?
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Stolz nicht, manchmal überrascht, denn ich bekomme jetzt auch viel Zuspruch von Leuten, die mich bei der Bundestagswahl nicht gewählt haben. Aber darum geht es ja gar nicht. Mir geht es um den Umgang mit der AfD. Wir müssen aus dem Modus rauskommen, den Leuten zu sagen, „wir sind die Guten und wir empören uns über die Bösen“. Das macht diese radikalen Demokratieverächter nur noch wütender. Wir müssen stattdessen sachlich argumentieren und erklären, wohin die Pläne der AfD führen würden. Die Zerschlagung von Europa hätte ungeahnte Konsequenzen für den Wohlstand in Deutschland. Wir sind als Exportland mehr als alle anderen Partner auf ein Europa mit freien Grenzen angewiesen. In einer Phase, in der das europäische Friedensprojekt von äußeren Feinden bedroht wird, wäre ein Zerfall der Europäischen Union fatal.
Manche vergleichen die Rolle der AfD mit der der NSDAP in der Weimarer Republik. Ist das blanker Alarmismus oder gibt es Parallelen?
Die AfD ist nicht die NSDAP. Aber die Mechanismen, wenn radikale Parteien in einem Land an die Macht kommen, könnten vergleichbar sein. Sie würden versuchen, Einfluss auf die Unabhängigkeit von Justiz, Medien und Verfassungsschutz zu nehmen, um die Gewaltenteilung einzuschränken. Sie könnten Polizeipräsidenten, Leiter von Staatsanwaltschaften und Richter ernennen. Dieses Fenster darf niemals geöffnet werden.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass der Erfolg der Rechtspopulisten eingedämmt werden kann?
Sehr. Wir tun alles, damit die AfD nie in Regierungsverantwortung kommt. Es kommt jetzt aber darauf an, dass wir unsere Diskussionskultur ändern. Positionen werden zu oft mit einer moralischen Überheblichkeit vorgetragen. Das haben wir zum Beispiel in der Pandemie gesehen, als Menschen, die sich nicht gegen Corona impfen wollten, als schlechtere Menschen abgestempelt wurden. Wir sehen es auch in der Klimadebatte, wo über die richtigen Wege nur in Schwarz-Weiß-Schemata diskutiert wird. Wenn wir jedem, der nicht unsere eigene Meinung teilt, mit Überheblichkeit begegnen, dann treiben wir diese Menschen zur AfD. Daraus speist sich auch ihr Zulauf.
Sie halten nichts davon, die AfD zu kopieren. Machen Friedrich Merz und Markus Söder mit ihrer kritischen Haltung in der Zuwanderungspolitik die extreme Rechte stark?
Auch hier gilt: Wir müssen selbst sachlich argumentieren. Das tun wir. Im neuen Grundsatzprogramm der CDU zum Beispiel stehen sachliche Vorschläge, wie man Migration begrenzen kann. Die vertritt natürlich auch der Bundesvorsitzende. Wenn sich Regierung und Opposition zusammenraufen würden, könnten die Probleme gelöst werden. Die Zuwanderung muss geordnet werden und darf die Kommunen nicht überfordern. Ich bin dafür, Asylverfahren vor Ort im Ausland durchzuführen, wenn dort rechtsstaatliche Bedingungen garantiert werden können und die Abläufe international überwacht werden. Damit würden wir verhindern, dass Menschen nach Deutschland kommen, die keinen Anspruch auf Asyl haben und dennoch die lebensgefährliche Passage über das Mittelmeer auf sich nehmen. Hier müssen jetzt schnell Entscheidungen getroffen werden. Italien ist schneller als wir. Dort ist man mit Albanien im Gespräch, um Asylverfahren dorthin zu verlagern. Das könnte ein Modell für Deutschland sein.
In der Ampel-Koalition gibt es in der Frage keinen Konsens…
Ja, das ist leider so. Die Menschen haben nicht den Eindruck, dass von der Ampel gutes Regierungshandeln ausgeht. Statt auf den Sachverstand in den Ministerien zu vertrauen, werden wichtige Positionen mit Vertrauten besetzt, die ideologische Entscheidungen treffen, die in die Irre führen. Das sieht man am Heizungsgesetz, das für mehr Klimaschutz sorgen sollte. Die Folge der grotesken Regelungen war, dass noch nie so viele Öl- und Gasheizungen verbaut wurden wie 2023. Gut gemeint heißt leider zurzeit schlecht gemacht. Zu den handwerklichen Fehlern kommt dann noch der unnötige und lähmende Dauerstreit zwischen den Koalitionspartnern hinzu.
Wenn Sie Bundeskanzler in einer Jamaika-Koalition geworden wären, wäre das Klima im Kabinett dann besser?
Als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen habe ich immer auf die Stärke des gesamten Kabinetts gesetzt und darauf geachtet, dass auch der Koalitionspartner Punkte sammeln und glänzen konnte. Ich habe nicht den Eindruck, dass es in der Bundesregierung diesen Teamgeist gibt und dass der Regierungschef diesen fördert. Anton Hofreiter von den Grünen wirft seinem Bundeskanzler öffentlich vor, in der Taurus-Frage die Unwahrheit zu sagen. Da muss man doch als Kanzler erstmal zum Telefon greifen und die Frage klären, bevor man sie öffentlich so hoch eskaliert. Mein Eindruck ist, dass so etwas nicht passiert. Man redet nicht miteinander. Menschliche Kommunikation, aufeinander eingehen, den anderen zuhören, auch mal Verständnis zeigen – so kann man auch mal Heißsporne bremsen. Das hätte ich anders gemacht.
Denken Sie noch oft über die verpasste Chance bei der Bundestagswahl 2021 nach?
Nein, es ändert daran ja nichts.
Welche Rolle spielte in der Nachbetrachtung Ihr Lacher im Flutgebiet mitten im Wahlkampf?
Die Szene spielte sicher eine Rolle, war aber nicht der einzige Grund für die Niederlage. Nach 16 Jahren CDU-geführter Bundesregierungen gab es eine Wechselstimmung, auch der Streit mit der Schwesterpartei und die Kampagne war nicht gut. Die Macher von Negativ-Kampagnen in den sozialen Netzwerken warten nur auf vermeintliche Patzer, die sie gezielt ausschlachten können. Der beste Weg war offenbar, gar keine Emotionen zu zeigen. Mit dieser Strategie ist es Olaf Scholz gelungen, Kanzler zu werden. Ich kann mich aber nicht verstellen, möchte es auch nicht. Wenn mir jemand in der Fußgängerzone ein Eis schenkt, esse ich es und schmeiße es nicht in den nächsten Papierkorb. Aber selbst das wurde skandalisiert und lächerlich gemacht.
Was würden Sie als Kanzler denn anders machen als Scholz, etwa in der Taurus-Entscheidung?
Die Bedeutung von Taurus-Lieferungen für den Kriegsverlauf wird in der Debatte meines Erachtens überhöht. Ich halte es für viel wichtiger, dass wir der Ukraine die bereits zugesagten Waffen und Munition auch tatsächlich und schneller liefern. Darauf muss Verlass sein. Die grundsätzliche Position des Bundeskanzlers, mit Bedacht und Besonnenheit zu handeln, um nicht Kriegspartei zu werden, finde ich richtig. Aber er macht leider auch Fehler.
Welche?
Scholz hätte vom ersten Kriegstag an den Schulterschluss mit Frankreich suchen sollen. Aber das Gegenteil ist passiert. Mit öffentlichen gegenseitigen Bezichtigungen und versteckten Beschuldigungen hat das Verhältnis zwischen Berlin und Paris einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Als Bundeskanzler wäre ich gemeinsam mit Emmanuel Macron nach Moskau gereist. Das wäre ein starkes europäisches Signal gewesen. An Putins irrwitzig langem Tisch wäre jedenfalls genug Platz gewesen.
Sie sind Rheinländer und haben eine große Affinität zu Frankreich. Liegt es an der norddeutschen Mentalität, dass Scholz sich im Umgang mit Paris schwertut?
Natürlich wissen wir am Rhein historisch und geistig um die Beziehungen zu Frankreich. Paris ist näher als Berlin. Das wäre aber eine zu einfache Erklärung. Helmut Schmidt war auch Hamburger und pflegte einen engen Draht zu Frankreich und zum damaligen Präsidenten Giscard d’Estaing genau wie später Angela Merkel, deren Temperament auch eher norddeutsch geprägt ist. Beide aber haben intellektuell verstanden, wie wichtig die Achse mit Frankreich ist. Die Zusammenarbeit müsste eigentlich gerade durch die besorgniserregenden Entwicklungen in den USA noch enger werden. Europa muss souveräner und unabhängiger werden von Washington. Eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist übrigens schon vor 25 Jahren beim EU-Gipfel in Köln beschlossen worden.
Wie groß ist die Chance, dass Putin einem Frieden zustimmt, in dem er kein Territorium hinzugewinnt?
Völkerrechtlich besteht die Ukraine in den Grenzen von 1991. Es wird schwer für Russland, den Krieg militärisch zu gewinnen. Dafür ist die ukrainische Armee durch den Westen und andere zu stark gemacht worden. Ich hoffe auf einen Waffenstillstand, der zu Friedensverhandlungen führt. Das ist im Moment nur leider ähnlich schwer vorstellbar, wie dass die Ukraine den letzten Russen vom letzten Quadratmeter ihres Territoriums einschließlich der Krim vertreiben kann. Deshalb müssen wir Russland mit Stärke begegnen. Noch im Bundestagswahlkampf 2021 stand ich mit dem Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato ziemlich alleine da.
Der Abhörskandal zur Taurus-Konferenz erschüttert die Bundeswehr. Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie?
Der Fall zeigt unsere Verwundbarkeit beim Abhören von Kommunikation. Mich wundert es nicht, dass die Russen versuchen, sich in Telefonate von Bundeswehroffizieren zu hacken. Ich bin froh, dass die Inhalte, die da ans Licht gekommen sind, jedenfalls keinen Anlass zu Besorgnis geben.
Inwiefern?
Über die Voraussetzungen eines Taurus-Einsatzes zu diskutieren, gehört zum Job ranghoher Militärs. Zu keinem Zeitpunkt wurde in dem Gespräch das Primat der Politik bei der Entscheidung infrage gestellt. Das ist der beruhigende Aspekt an den Enthüllungen.
Blicken wir auf die Union: Rechnen Sie damit, dass Markus Söder CDU-Chef Merz die Kanzlerkandidatur streitig macht?
Wie sich Markus Söder verhalten wird, weiß nur er selbst.
Apropos Söder: Reden Sie nach ihrem harten Kampf in der K-Frage 2021 wieder miteinander?
Klar reden wir miteinander, wenn wir uns sehen. Daran hat sich nichts geändert.
Wie würde es die NRW-CDU verkraften, wenn die Union Hendrik Wüst ins Rennen um die Kanzlerschaft schicken würde?
Wir sollten in Nordrhein-Westfalen froh sein, mit so vielen Persönlichkeiten in der politischen Führungsriege der Union vertreten zu sein. Das war 2005, zu Beginn der Ära Merkel, ganz anders. Kein einziger Minister kam aus Nordrhein-Westfalen.
Glauben Sie, dass die Ampel bald auseinanderbricht und es dann zu einer Großen Koalition unter der Führung von Olaf Scholz kommt?
In normalen Zeiten würde die Ampel keinen Tag mehr beieinanderbleiben. Es ist ja manchmal kaum zu glauben, wie manche Regierungsmitglieder öffentlich über die eigene Regierung herziehen. Aber die Zeiten sind nicht normal. Keine der Ampel-Parteien würde derzeit von einer Neuwahl profitieren. In der Ukraine-Frage stehen SPD und CDU ja weiter auseinander als CDU, FDP und Grüne.
Viele Menschen haben große Angst vor einem erneuten Wahlsieg von Donald Trump. Worauf müssen sich die Deutschen gefasst machen, wenn es so weit kommt?
Man mag sich einen erneuten Präsidenten Trump nicht wünschen, das stimmt. Aber ich glaube, dass selbst Trump nicht am ersten Tag nach einem Wahlsieg aus der Nato austritt. Auch wenn er dieses Drohszenario aufgemacht hat. Selbst Trump muss begriffen haben, dass die Nato auch die amerikanischen Interessen schützt. Ich glaube, dass die innenpolitischen Verwerfungen in den USA nach einem Trump-Sieg größer und gefährlicher sein würden als die in der Außenpolitik. Er würde dann versuchen, die Institutionen, die sich gegen ihn gestellt haben, zu verändern und zu zerstören.
Die Kölner CDU sucht einen OB-Kandidaten. Sie sind in der Findungskommission. Ist es schlau, dass die CDU einen eigenen Kandidaten aufstellt? Henriette Reker war erfolgreich, weil sie auch von den Grünen und FDP unterstützt wurde.
Die Entscheidung der CDU für Henriette Reker vor zehn Jahren war richtig. Jetzt hat die Kölner CDU entschieden, in ihrer Nachfolge eine eigene Kandidatin oder einen Kandidaten aufzustellen. Damit kann sie erfolgreich sein. Größter Konkurrent in Köln sind die Grünen. Nach meiner Wahrnehmung haben die Grünen in den Städten, in denen sie regieren, Vertrauen verspielt. In Aachen und Bonn haben sie die Menschen mit fragwürdigen Verkehrsprojekten vor den Kopf gestoßen. Ich glaube nicht, dass die Kölner sich mehrheitlich für die Politik der Grünen erwärmen können. Köln will und sollte unter den deutschen Millionenstädten die dynamischste sein.