Die Liste der NRW-Minister, die der Frechener Anwalt Claus Brockhaus für seine Zwecke einspannen wollte, ist lang. Uns liegt sie vor.
SkandalMutmaßlicher Chef der Schleuser hatte zahlreiche Kontakte zur NRW-Landesregierung
Monatelang zapften die Ermittler der Bundespolizei das Handy des mutmaßlichen Chefs der sogenannten Luxusschleuserbande an. Die Ermittlungen konzentrierten sich auf den Frechener Juristen Claus Brockhaus, der mit einem Anwaltspartner zirka 350 meist begüterte Chinesen samt ihren Familien mit falschen Arbeitspapieren und fingierten Investor-Legenden versorgt haben soll, um eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland zu erschleichen. Im Gegenzug kassierte die Bande bis zu 350.000 Euro pro Kunde.
Brockhaus, langjähriges CDU-Mitglied, hat zahlreiche Kontakte zu regionalen und überregionalen aktiven oder einst einflussreichen Politikern von CDU, Grünen und SPD geknüpft. Die wolle er auch für „die Sache mit den Chinesen“ nutzen, sagte er seinem Steuerberater. Als Mitbesitzer der Berliner Kommunikationsagentur „Republic Affairs“ arbeitete er auch mit vielen Ex-Politikern, die Kontakte zu Ministerien knüpfen konnten. Wer sollte denn ahnen, dass ein mutmaßlicher Schleuser-Boss die politische Lobbyarbeit über die PR-Agentur für eigene Zwecke missbrauchen wollte?
Die „Türöffner“ zur Landesregierung
So setzte der Anwalt vielfach „Türöffner“ zur NRW-Landesregierung ein. Dies geht aus einer Antwort auf eine SPD-Anfrage im Landtag hervor, die dieser Zeitung vorliegt. Demnach arrangierte der ehemalige Grünen- Bundestagsabgeordnete Hubert Kleinert am 27. April 2023 einen Termin im Umweltministerium bei seinem Parteifreund Oliver Krischer, dem NRW-Umweltminister. Letztlich empfing am 26. Juni 2023 nicht der Minister, sondern Staatssekretär Viktor Haase (Grüne) eine Delegation mit Kleinert und dem mittlerweile beschuldigten Schleuserboss Brockhaus.
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Die Herren wurden im Auftrag der Quarzwerk GmbH vorstellig. Es ging um die geplante Rohstoffabgabe der schwarz-grünen Landesregierung. Als bundesweiter Pionier wollte das Kabinett alle Unternehmen besteuern, die Sand und Kies schürften, um eine ressourcenschonenden Klimawirtschaft voranzutreiben. Tags darauf versuchte offenbar Ernst Schwanhold, ehemals langjähriger Bundestagsabgeordneter und SPD-Wirtschaftsminister, seinen Einfluss in einem Telefonat mit der grünen NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur geltend zu machen.
Die Diskussion gipfelte schließlich Ende August in einer Videokonferenz mit den beiden Grünen-Ministern Neubaur und Krischer sowie Vertretern der Quarzwerke samt Schwanhold und Anwalt Brockhaus. Noch ist unklar, zu welchem Ergebnis diese Unterredungen führten. Fakt ist, dass bis heute die umstrittene Abgabe nicht eingeführt wurde.
Acht Treffen mit Herbert Reul
Acht Mal traf sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) mit dem mutmaßlichen Schleuser-Anwalt, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ exklusiv berichtete. Mitunter empfing Reul das CDU-Mitglied im Ministerium. Meist aber sah man sich bei Veranstaltungen, auf denen der Minister Vorträge hielt. Die Opposition im Landtag witterte Unrat. Der CDU-Politiker musste sich erklären. Vor allem auch vor dem Hintergrund, dass Brockhaus im Jahr 2022 insgesamt knapp 30.000 Euro an den Kreisverband des Innenministers gespendet hatte. Die Zuflüsse, gestückelt in drei Tranchen unter 10.000 Euro, hatte er für Reuls damaligen Landtags-Wahlkampf überwiesen.
Mit den Enthüllungen unserer Zeitung ging der Minister von Anfang an offen um. Bei seinen Treffen mit dem Juristen, der 2022 noch als seriös und vertrauenswürdig galt, habe er „keinen Verdacht geschöpft, dass der etwas mit krummen Sachen“ zu tun haben könnte, berichtete Reul Ende Mai im Landtag. „Ich war damals total arglos“. Ihm sei gesagt worden, der Mann wolle ihn unterstützen. Demnach habe es sich um ein engagiertes CDU-Mitglied gehandelt, Vater von drei Kindern, mit Kanzlei und gutem Leumund. „Ich war mir ganz sicher, das ist ein anständiger Mensch, wo ich mir keine Gedanken machen muss“, so Reul.
In belauschten Telefonaten hatte Brockhaus zuvor davon berichtet, gezielt das Gespräch mit dem Landesinnenminister suchen zu wollen. Im Februar 2022 entwickelte der mutmaßliche Schleuser-Chef entsprechende Pläne. Am Handy erkundigte sich der Jurist bei einem seiner mutmaßlichen Komplizen, wie dieser zu Herbert Reul stehe. Bei dem Gesprächspartner handelte es sich um einen vermögenden Unternehmer. Brockhaus schlug vor, den Kontakt zum Innenminister durch eine Parteispende herzustellen.
Dann wolle er sich zwei Stunden mit Reul zusammensetzen und ein paar Themen besprechen. Ferner sei es doch eine Überlegung wert, eine mehrköpfige Gruppe aus dem Netzwerk zusammenzutrommeln, um den Innenminister dann dazu einzuladen. Dies könnte superspannend werden.
Zwei Tage später berichtete Claus Brockhaus einem altgedienten CDU-Politiker, dass er beim Minister gewesen sei. Der früher führende CDU-Politiker mahnte den Anwalt, in einer Überweisung höchstens 9.999 Euro anzuweisen. Alles andere sei verdächtig. Laut Parteiengesetz müssen Beträge ab 10.000 Euro öffentlich ausgewiesen werden. Brockhaus tat wie ihm empfohlen.
Herbert Reul hat stets betont, dass es keine Gegenleistungen gegeben habe. Er habe mit dem Anwalt auch nie über Spenden oder Migranten aus China gesprochen. Die abgehörten Telefonate belegen, dass der mutmaßliche Schleuserboss die knapp 30.000 Euro im Glauben spendete, dass ihm der Kontakt zu einem der führenden Kabinettsmitglieder der Landesregierung möglicherweise irgendwann nützen könnte. Offenbar entsprach dieses Kalkül eher einem Wunschdenken. Die Ermittlungen haben bisher keinen Hinweis für das Gegenteil geliefert.
Auch Kölner Ex-Bundestagsabgeordnete Gisela Manderla (CDU) eingespannt
Auch die ehemalige Kölner CDU-Bundestagsabgeordnete Gisela Manderla legte sich für die Agentur „Republic Affairs“ mächtig ins Zeug. Ende Oktober 2023 bat sie per Mail um ein Meeting mit Ina Scharrenbach (CDU), der nordrhein-westfälischen Ministerin für Kommunales und Bau.
Gewiss ahnte Manderla nicht, für wen sie das Treffen anbahnte: Und zwar für Schleuserboss Brockhaus und einen seiner Komplizen, den Dürener SPD-Politiker und damaligen Chef der kommunalen Indeland-Entwicklungsgesellschaft, Jens Bröker. Der saß bis vor kurzem in Untersuchungshaft, weil er laut Staatsanwaltschaft von der Schleuserbande mit hunderttausenden Euro geschmiert wurde, damit er sie bei den fingierten Aufenthalts-Anträgen unterstützte.
Bröker versuchte, der Ministerin beim Treffen ein Beratungsmodell für Kommunen im Bereich „Digitalisierung“ schmackhaft zu machen. Ein Projekt, das auf kein Gegeninteresse stieß. Zu Brockhaus, so stellt Scharrenbach klar, habe es keine weiteren Kontakte gegeben. Ebenso scheiterten zwei Versuche des Schleuser-Chefs, ein Gespräch mit dem nordrhein-westfälischen Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) zu vereinbaren. In dem Treffen sollte es um eine Kooperation des Ministeriums mit türkischen Berufsschulen und Universitäten gehen, um dadurch Fachkräfte im Handwerk und Pflegeberufen anzuwerben.
Den Staatssekratär der NRW-Staatskanzlei in der Regierungszentrale besucht
Die Verbindungen von Brockhaus reichen dem Regierungsbericht zufolge bis zum Amtschef der Staatskanzlei. Staatssekretär Bernd Schulte, 39, und der Jurist kannten sich aus gemeinsamen Studienzeiten. Anfang Mai 2023 besuchte Brockhaus seinen ehemaligen Kommilitonen in der Regierungszentrale in Düsseldorf. Warum dies geschah, bleibt offen im Bericht der Landesregierung.
Im Herbst bat Brockhaus den Staatssekretär darum, bei einer Veranstaltung in Köln über die Landespolitik zu referieren. Schulte kam dem Wunsch am 16. November nach. Später lud Brockhaus den CDU-Politiker zu einem Dinner ein, bei dem man sich mit anderen Politikern zu aktuellen Themen austauschen könne. Am 8. April 2024 fand das Event im Beisein des Staatssekretärs statt. Neun Tage später wurde Brockhaus bei einer großangelegten Schleuser-Razzia verhaftet.
Opposition fordert, alle Verbindungen zwischen Claus Brockhaus und Politikern „lückenlos offenzulegen“
In den Augen von Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD, hat die Landesregierung für Claus Brockhaus „offenbar mehr Türen geöffnet als bisher bekannt“. Irritierend sei der Kontakt zum Amtschef der Staatskanzlei. Der Anwalt habe ja auch im NRW-Innenministerium wegen der Neuregulierung des Glücksspielstaatsvertrags vorgesprochen. „Für die Koordination mit den anderen Bundesländern ist aber die Staatskanzlei verantwortlich“, sagt Kampmann. „Wir wollen daher wissen: Worum ging es bei den Gesprächen zwischen Schulte und dem Anwalt?“
Moritz Körner, Generalsekretär der FDP NRW, zeigt sich besorgt „dass hochrangige Politiker aus verschiedenen Parteien, darunter CDU, Grüne und SPD, in diesen Skandal verwickelt sind“. Körner fordert, „alle Verbindungen zwischen Claus B. und den beteiligten Politikern lückenlos offenzulegen“.
Die Staatskanzlei teilte auf Anfrage mit, dass beim kurzen Besuch des Schleuserbosses bei Staatssekretär Schulte einzig persönliche sowie allgemein politische Themen erörtert wurden. Gelegentlich, so hieß es weiter, habe der Staatssekretär Brockhaus privat getroffen, aber „nicht regelmäßig“.