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Exklusiv

Geständnis
Schlüsselfigur der Schleuser-Affäre belastet Dürens Landrat

Lesezeit 6 Minuten
18.04.2024, Nordrhein-Westfalen, Düren: Polizisten durchsuchen in der Nähe der Innenstadt Wohnungen und Häuser im Rahmen einer Razzia gegen Schleuserkriminalität. (zu dpa: «Razzia gegen Schleuser in NRW fortgesetzt») Foto: Roberto Pfeil/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Polizisten durchsuchen im April in Düren Wohnungen und Häuser im Rahmen einer Razzia gegen Schleuserkriminalität.

Der Dürener SPD-Politiker Jens Bröker kam nach seiner Vernehmung aus der U-Haft. Landrat Wolfgang Spelthahn bestreitet die Vorwürfe.

Er gilt als eine der Schlüsselfiguren in der „Luxus-Schleuseraffäre“ um reiche Migranten vor allem aus China. Jens Bröker wurde am 17. April bei einer großangelegten Razzia verhaftet. Der SPD-Politiker, der im Kreis Düren eine wichtige Rolle bei der Ansiedlung ausländischer Investoren spielte, soll mit 300.000 Euro seit 2018 geschmiert worden sein, um bei der Ausländerbehörde und bei Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU) Einfluss zu nehmen. Das Geld stammte laut Staatsanwaltschaft Düsseldorf aus dem Schleusertopf rund um die mutmaßlichen Bandenchefs, die Anwälte Johannes Dähnert und Claus Brockhaus.

Finanzielle Hilfen

Zweieinhalb Monate in Untersuchungshaft scheinen einen bleibenden Eindruck bei Bröker hinterlassen zu haben. In der Gefängniszelle will der SPD-Politiker nachdenklich geworden sein. Es sei ihm klar geworden, dass er einen großen Fehler begangen habe, gab der Untersuchungshäftling bei seiner Vernehmung am 4. Juli in einer schriftlichen Erklärung zu Protokoll. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ konnte die Schriftstücke einsehen.

Verschämt gab Bröker zu, von der Schleuserbande um den mutmaßlichen Kopf Claus Brockhaus Schmiergelder in sechsstelliger Höhe angenommen zu haben. Nun aber, so versicherte der Beschuldigte, wolle er dazu beitragen, den Fall aufzuklären. Seine Verteidigerin äußerte sich auf Anfrage nicht.

Herr Spelthahn hat sich zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form an Schleusungen beteiligt
Benedikt Pauka, Anwalt des Dürener Landrats

Brökers Geständnis hat es in sich. Der Ex-Chef der kommunalen Indeland-Entwicklungsgesellschaft im Kreis Düren belastete Landrat Spelthahn (CDU) schwer. Gegen Spelthahn ermittelt die Staatsanwaltschaft inzwischen wegen des Anfangsverdachts des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern und der Bestechlichkeit. Laut Bröker soll der Christdemokrat die Aktivitäten der Schleuser unterstützt haben. Auch soll es finanzielle Hilfen für den Fußballclub 1. FC Düren gegeben haben. Spelthahn ist Präsident des Regionalliga-Vereins. Spelthahns Verteidiger Benedikt Pauka widerspricht den Angaben.

Vor gut drei Wochen jedenfalls ließ die Staatsanwaltschaft Düsseldorf im Landratsbüro durchsuchen, zugleich wurde eine angemietete Villa der Spelthahns am Ammersee nach weiterem Beweismaterial durchstöbert. In 81 Fällen sollen Spelthahn und Bröker laut Durchsuchungsbeschluss geholfen haben, den „Kunden“ der Schleuser-Bande über das Ausländeramt einen deutschen Aufenthaltstitel zu beschaffen. Den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft zufolge wurden die erschlichenen Aufenthaltsgenehmigungen dann in einigen Fällen sogar verlängert, obwohl sich die angeblichen Migranten gar nicht in Deutschland aufhielten.

Anwalt Pauka weist sämtliche Vorwürfe zurück: „Herr Spelthahn hat sich zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form an Schleusungen beteiligt und zu keinem Zeitpunkt Kenntnisse darüber gehabt. Der Sachverhalt ist ihm ausschließlich über die Medien und die Einsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Düsseldorf bekannt.“

Anwalt widerspricht

Auch habe der Landrat zu keinem Zeitpunkt auf einzelne Verwaltungsvorgänge im Bereich des Ausländerwesens Einfluss genommen, so sein Verteidiger. „Soweit allgemeine Besprechungen aus dem Bereich stattgefunden haben, waren stets Mitarbeiter der Fachbehörde anwesend und in jeder Hinsicht umfassend informiert. Zu keinem Zeitpunkt hat es für eine Personengruppe oder Einzelpersonen einen von Herrn Spelthahn vorgegeben Kurs außerhalb des gesetzlichen Rahmens gegeben“, betonte sein Anwalt.

Das Geständnis am 4. Juli brachte dem Beschuldigten Bröker die Freiheit. In seiner schriftlichen Einlassung schilderte der SPD-Mann den Verlauf der Affäre seit ihrem Beginn im Jahr 2017. Seinerzeit habe er die mutmaßlichen Bandenchefs im Büro des Landrats kennengelernt. Es sei über ausländische Investoren gesprochen worden. Fortan traf sich Bröker häufiger mit Brockhaus. Vollmundig referierte der Frechener Anwalt über „China als Wirtschaftsmacht“, über die Chancen, sollte man reiche Geldgeber aus Fernost nach Deutschland kommen lassen.

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Die angemietete Villa Wolfgang Spelthahns am malerischen Ammersee wurde durchsucht. (Symbolbild)

Im Frühjahr 2018 startete man zur ersten von fünf China-Reisen. Initiiert wurde die Werbe-Tour für den Wirtschaftsstandort Düren durch ein Unternehmen, das laut Staatsanwaltschaft zahlreiche logistische Aufgaben im Schleusergeschäft wahrgenommen haben soll. Mit an Bord waren Landrat Spelthahn, SPD-Mann Bröker, der mutmaßliche Schleuser-Jurist Brockhaus sowie zwei Geschäftsleute. Bei der Ankunft scheint es wie bei einem Staatsbesuch zugegangen zu sein: Rote Teppiche, ein Rolls-Royce fuhr die Dürener Delegation der Aussage Brökers zufolge zu den Terminen mit chinesischen Honoratioren.

Spelthahn habe bei seinem Vortrag neben den Vorzügen einer hervorragenden Schullandschaft und Infrastruktur auch mit der Sicherheit in der Dürener Region geworben, so Bröker. Im Herbst ging es noch einmal nach Peking und Shanghai. Erneut verlief der Trip mit viel Pomp und Gloria.

Bis zu 1500 Euro in bar

In der Folgezeit fungierte Bröker nach eigenen Angaben als Türöffner für die Schleuser im Kreis Düren. Vollmundig habe Anwalt Brockhaus damals getönt, dass er in allen Regionen, in denen er seine Geschäfte abwickle, über solche „Türöffner“ verfüge. Für jeden Antragssteller will Bröker zwischen 500 und 1500 Euro in bar erhalten haben. Die Scheine seien durch Brockhaus oder einen Fahrer in Tüten übergeben worden. Wie beim Pizzaboten sei es zugegangen, heißt es im Protokoll. Zugleich betonte Bröker, dass er nichts von seinen Einnahmen an den Landrat abgegeben habe.

Im Jahr 2023 stand eine neue China-Tour an. Bröker erinnerte sich an ein Gespräch mit dem Landrat am Ammersee. Spelthahn habe dieses Mal nicht mitfliegen wollen, sollte er von Brockhaus & Co. kein Geld für seinen Verein, den 1. FC Düren, bekommen, behauptet Bröker.

Der Verteidiger des Landrats hingegen betont: „Diese Äußerung ist weder wörtlich noch sinngemäß gefallen. Herr Spelthahn hat zu keinem Zeitpunkt einen China-Aufenthalt mit Zahlungen an den 1. FC Düren verknüpft.“ Bei dem Gespräch sei es vielmehr darum gegangen, dass Herr Spelthahn die China-Reise von der Teilnahme an der Automobil-Messe in Shanghai abhängig gemacht habe, da er meinte, „dass ohne eine Präsentation der Wasserstoff-Aktivitäten des Kreises Düren auf dieser Messe eine Dienstreise keinen Sinn machte. Nachdem ihm zugesagt wurde, dass er eine solche Präsentation auf der Automobil-Messe halten könne, sagte er seine Teilnahme zu. Die Präsentation fand statt.“

Wussten die Schleuser von der Razzia?

Fakt ist jedenfalls, dass Spelthahn letztlich mitgeflogen ist. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat auch der mutmaßliche Schleuser-Chef Brockhaus den Dürener Landrat in einer Vernehmung während der Untersuchungshaft belastet. Was den Fußballverein betreffe, sei der CDU-Politiker stets auf der Suche nach Geldgebern gewesen, hat auch Anwalt Brockhaus demnach in einer Vernehmung ausgesagt. Deshalb sei eine Firma des Netzwerkes als Trikotsponsor eingesprungen, eine andere sei mit Bandenwerbung im Stadion vertreten gewesen. Was wahr oder falsch ist, werden die weiteren Ermittlungen ergeben.

Am Ende der Einlassung des Dürener Schleuserkomplizen Bröker wird es nochmal heikel. Geht es nach dem Belastungszeugen, scheint die Schleuser-Bande etwas von einer Razzia durch die Strafverfolger geahnt zu haben. So erkundigte sich der mutmaßliche Bandenchef Brockhaus bei Bröker in den Wochen vor den ersten Durchsuchungen am 17. April 2024, ob dieser etwas von einem geplanten Einsatz gehört habe. Der verneinte. Bisher bleibt offen, wie der mutmaßliche Schleuserboss an die Informationen gelangte, dass sich die Schlinge zuziehen könnte.

In der – hier geringfügig modifizierten – Ursprungsversion unseres Textes hieß es, die Durchsuchung im Landratsbüro habe vor zwei Wochen stattgefunden. Richtig ist, dass sie vor gut drei Wochen, am 9. Juli, stattgefunden hat.