Der Austritt der USA aus der Weltgesundheitsorganisation sollte uns aufrütteln. Die WHO ist ineffizient und zu stark von China beeinflusst.
Hendrik Streeck„Der von Donald Trump initiierte WHO-Austritt ist auch eine Chance“
Der angekündigte Rückzug der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist ein Alarmsignal. Doch statt uns darüber zu empören, sollten wir die Gründe dafür einmal in Ruhe analysieren. Denn so unbequem es klingt: In einigen Punkten haben die USA recht. Dieser beispiellose Schritt könnte deshalb auch eine Chance sein – eine Chance, die WHO und die Vereinten Nationen zu reformieren und zukunftsfähig zu machen.
Damit es keine Missverständnisse gibt: Ich halte eine starke WHO für absolut unverzichtbar. In einer globalisierten Welt ist sie unser Frühwarnsystem und zentraler Koordinator im Kampf gegen Pandemien und Gesundheitskrisen. Aber genau hier liegt das Problem: Die WHO, wie sie heute aufgestellt ist, kann diese Aufgabe nicht mehr erfüllen. Es braucht tiefgreifende Reformen.
Die Vereinigten Staaten kritisieren die WHO zu Recht als ineffizient, politisiert und zu stark von China beeinflusst. Besonders auffällig ist Chinas Sonderrolle. Obwohl es eine der größten Volkswirtschaften der Welt ist, profitiert es nach wie vor von seinem Status als „Entwicklungsland“ – ein Anachronismus, der Spannungen nicht nur in der WHO verursacht, sondern im gesamten UN-System. Die WHO muss sich wieder auf ihr Kernmandat konzentrieren, anstatt Spielball geopolitischer Interessen zu sein. Ihre Arbeit muss unabhängig von politischem und privatem Einfluss erfolgen, und die Finanzierung muss nachhaltig und fair gestaltet werden.
Deshalb gehört der Beitragsschlüssel für die Pflichtbeiträge, die sogenannte „UN Scale of Assessment“, dringend auf den Prüfstand. Die Pflichtbeiträge machen aber nur einen kleinen Teil des Gesamtbudgets der WHO aus. Der Großteil besteht aus freiwilligen Beiträgen. Es ist nicht akzeptabel, dass China, nicht nur geringere Pflichtbeiträge zahlt, sondern auch überproportional wenig freiwillige Mittel beisteuert und doch in gleichem Maße von der WHO und ihren Programmen profitiert. Hier braucht es ein faires und solidarisches Modell.
Eine gerechtere Verteilung der finanziellen Beiträge würde nicht nur die Akzeptanz stärken, sondern auch die Stabilität des Systems erhöhen. Zugleich müssen große Beitragszahler wie die USA stärker eingebunden werden – durch gezielte Anreize.
WHO sollte erneuert werden
Doch Reformen müssen über bloße Finanzierungsfragen hinausgehen. Transparenz in Entscheidungsprozessen, wissenschaftliche Unabhängigkeit und ein klarer Fokus auf globale Gesundheitskrisen sind essenziell. Themen wie die Pandemievorsorge, der Umgang mit chronischen Krankheiten wie Krebs und Diabetes sowie der Schutz vulnerabler Gruppen berühren sowohl amerikanische als auch europäische Interessen. Hier liegen große Überschneidungen, die für eine engere Zusammenarbeit genutzt werden sollten.
Nach dem Motto „Never waste a good crisis!“ – Vergeude nie eine gute Krise! – sollten wir den Moment nutzen, um jetzt eine starke internationale Gesundheitspolitik zu schaffen, die neue Möglichkeiten für Fortschritt schafft. Eine erneuerte WHO, die effizient und unabhängig agiert, könnte wieder Vertrauen schaffen – auch bei den USA.