Der Betroffenen-Vertreter Karl Haucke kann die Kritik der Kirche am Persiflage-Wagen nicht nachvollziehen und spricht von „Schuldumkehr“.
GastbeitragBetroffenen-Vertreter nennt Kritik an Kölner Mottowagen zum Missbrauch „schäbig“
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Ein Mottowagen des Kölner Rosenmontagszugs thematisiert den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche: Aus einem Beichtstuhl heraus lockt ein Priester einen Messdiener an. Das Motiv stieß auf scharfe Kritik aus der Kölner CDU und aus der Kirche.
Copyright: Alexander Schwaiger
„An Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten“ – das sagen Kölner CDU-Politiker über den Mottowagen zum sexuellen Missbrauch in der Kirche. Unüberbietbar geschmacklos – ja, das war es. Damals, als mein priesterlicher Erzieher im Internat das Holzkreuz von seinem Schreibtisch nahm und in meine kindlichen Körperöffnungen stieß. Regelmäßig. Vom elften bis zum 15. Lebensjahr. Mehrfach wöchentlich.
Die um den guten Geschmack im Rosenmontagszug besorgten Ästheten dürfen sich das gern so drastisch vorstellen, wie es sich hier liest. Vielleicht kommen sie dann darauf, wie fehlorientiert ihr Feinsinn angesichts brutaler Gewaltverbrechen ist.
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Karl Haucke, Betroffenenrat bei der Missbrauchsbeauftragten des Bundes (UBSKM)
Copyright: Christine Fenzl
Kaum zu überbieten an Verachtung und demütigender Oberflächlichkeit ist es, wenn jetzt jene lautstark gegen ein Motiv im Rosenmontagszug aufbegehren, die geschwiegen haben, als die menschenverachtenden Strategien des Erzbistums Köln zum Umgang mit den Betroffenen sexualisierter Gewalt öffentlich wurden. Es liegt auf der Hand: Die Schuldumkehr, mit der jetzt erneut von jenen Strukturen abgelenkt werden soll, die den Missbrauch ermöglichten und ermöglichen, setzt die Verdeckung und Vertuschung fort, die sich durch das Vorgehen der „toxischen Institution“ katholische Kirche ziehen.
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Die Vergewaltigungen, denen ich mich unterwerfen musste, waren immer begleitet von geistlichen Worten.
Die Vergewaltigungen, denen ich mich unterwerfen musste, waren immer begleitet von geistlichen Worten: „Der liebe Gott will, dass wir uns lieben.“ – „Wenn es weh tut, so ist das Gottes Wille.“ – „Der Schmerz reinigt dich von deinen Sünden.“ Was also soll falsch sein an der Botschaft des Mottowagens, der den Täter im Beichtstuhl zu seinem Opfer „Jesus liebt dich“ sagen lässt?
Kritik an Kölner Mottowagen ist einfach nur schäbig
Seitdem der Persiflagewagen und der Protest aus Politik und Kirche öffentlich geworden sind, gibt es konträre Reaktionen, auch von Betroffenen. Aus dieser Gruppe heraus ist Kritik an dem Motiv im Rosenmontagszug nur von dort vernehmbar, wo sie zu erwarten war: vom Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln, der sich nicht an die Seite der Opfer von Priestern und kirchlichen Mitarbeitern stellt, sondern sich auch im Karneval in die Robe der Kirchenvertreter wirft und deren Lied singt.
Dass diese Betroffenen sich der Selbstschutznarrative der Institution („Missbrauch kommt auch anderswo vor, besonders in den Familien“) bedienen, ist einfach nur schäbig.
Die Gesundheit, das Vertrauen und auch den Glauben zunichtegemacht.
Zweifellos verdient der Tatkontext Familie mehr gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit, mehr politische Beachtung, mehr Präsenz in der Forschung, in den Medien und in Gesetzen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt. Jedoch hat dieses Thema einen eigenen Stellenwert und darf nicht als Alibi benutzt werden, um Kritik an den Missbrauch begünstigenden Strukturen der katholischen Kirche auszuhebeln.
Vertrauen und den Glauben zunichtegemacht
Die Vergewaltigungen von Kindern und Jugendlichen durch Priester haben nach Schätzungen im Dunkelfeld die Gesundheit, das Vertrauen und auch den Glauben von mehr als 100.000 Menschen allein in Deutschland zunichtegemacht.
Diese unbestrittene Wahrheit muss Christen anstößiger erscheinen als ein Mottowagen im Rosenmontagszug. Im Übrigen sind Karnevalisten schon aus „Berufsehre“ dazu verpflichtet, gegen die Obrigkeiten aufzubegehren: einst gegen Wintergeister und französische Besatzer, heute auch gegen machtversessene Kleriker und Moralisten, die sich über andere erheben und nichts von der Nächstenliebe leben, die sie predigen
Der Autor
Karl Haucke, geboren 1951, ist Mitglied im Betroffenenrat bei der Missbrauchsbeauftragten des Bundes (UBSKM) und im Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Bis zu seinem Austritt aus dem Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln 2020 war Haucke Sprecher dieses Gremiums. (jf)