Kölner Verkehrsdezernent im Interview„Ich will den Autoverkehr nicht um jeden Preis reduzieren“

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Der Kölner Verkehrsdezernent Ascan Egerer im Interview

„Wir stellen fest, dass es Unsicherheiten gibt“, sagt Ascan Egerer über die Tempo-20-Zone auf der Venloer Straße.

Der Kölner Verkehrsdezernent steht wegen chaotischer Verkehrsversuche in der Kritik. Im Interview wehrt er sich gegen die Vorwürfe.

Herr Egerer, warum ist es so schwer, gute Ideen in Verkehrsversuchen auch gut umzusetzen?

Verkehrsversuche sind grundsätzlich ein gutes Instrument, um Pläne schneller umzusetzen, als es mit umfangreichen baulichen Maßnahmen möglich wäre. Klar, und von uns auch immer wieder betont ist, dass der Zustand nicht so schön ist wie auf einer neu gebauten Straße, die Maßnahmen können etwas abrupt daherkommen. Aus rein verkehrlicher Sicht ist es aber sinnvoll, auf diese Weise neue Verkehrsführungen zu erproben.

Hat Sie die Wucht der Kritik an dem Versuch auf der Venloer Straße überrascht?

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Zunächst steht dahinter ein klarer Wunsch der Menschen nach Veränderung. Die vorherige Situation dort war unangenehm, sie stellte eine hohe Belastung für alle dar, vor allem für Fußgängerinnen und Fußgänger. Das zu verbessern, ist unser Ausgangspunkt. Wir haben die Anwohnenden informiert, aber natürlich können wir nicht alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer vorab erreichen, die die Venloer Straße als Weg nutzen. Eine gewisse Eingewöhnungszeit bei entsprechenden Veränderungen ist ebenfalls normal, hier gilt es, noch mehr Menschen zu erreichen. Das wird sich erfahrungsgemäß nach einer gewissen Zeit einspielen.

Warum ist es für viele so schwer, die neuen Regelungen zu verstehen?

Wir stellen fest, dass es Unsicherheiten gibt. Aber wir sind auf Grundlage klarer Regeln unterwegs. Tempo 20 ist klar kommuniziert, die Rechts-vor-links-Regel auch. Wir sehen, dass die Verkehrsregeln nicht ausreichend wahrgenommen werden und haben deswegen zusätzlich beschildert. Von den Verkehrsteilnehmern müssen wir als Stadt aber auch erwarten, dass sie sich an das halten, was gilt – man fährt ja auch nicht über eine rote Ampel.

Wir ahnden diese Verstöße, wie das auch sonst üblich ist. Mit den Fahnen, die zusätzlich auf die Neuerungen hinweisen sollten, aber schwer erkennbar sind, sind wir auch nicht glücklich. Für Banner über der Straße fehlte uns die Zustimmung von Hauseigentümern. Aus diesen Erfahrungen werden wir lernen. Grundsätzlich sind wir bei der Ausgestaltung der Tempo-20-Zone und den einzuhaltenden Rahmenbedingungen aber durch das Straßenverkehrsrecht rechtlich stark eingeschränkt.

Es scheint aber Verhandlungsspielraum zu geben, den eigentlich nicht vorgesehenen Zebrastreifen durften Sie nun doch aufmalen.

Das stimmt eingeschränkt, die Bezirksregierung als Aufsichtsbehörde hat den Zebrastreifen in Gelb erlaubt, weil diese Farbe signalisiert, dass es sich um eine temporäre Lösung handelt. Hier haben wir einen Kompromiss erzielt. Die Radschutzstreifen sind rechtlich ebenfalls nicht erlaubt, es hätte aber sehr lange gedauert, sie zu entfernen. Deswegen arbeiten wir hier mit den gelben Kreuzen. Es ist ja weiterhin auch erlaubt, mit dem Rad über die Streifen zu fahren. Perspektivisch ist unser Ziel, dass sich alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer den Raum auf der Venloer Straße teilen – und er soll primär ausgerichtet sein für Fußgängerinnen und Fußgänger.

Warum führen Sie nicht direkt die Einbahnstraßenregelung ein?

Die Diskussion wurde geführt. Mit dem Ergebnis, dass beide Varianten, mit und ohne Einbahnstraße, am Ende miteinander verglichen werden können. Es ist wichtig und gut, im ersten Schritt zu sehen, wie die zusätzlichen Querungen und Tempo 20 mit zwei Spuren funktioniert. Alles auf einmal wäre eine Stufe zu viel gewesen.

Wer wollte die zwei Stufen, Sie oder die Politik?

Wir als Verwaltung haben den Ablauf fachlich so vorgeschlagen, die Politik ist uns gefolgt. Wir konnten hierdurch auch schneller in die Umsetzung gehen, und dem dringenden Handlungsbedarf auf der Venloer Straße begegnen.

Haben Sie in den vergangenen Wochen erwägt, Stufe zwei angesichts der chaotischen Zustände doch vorzuziehen?

Ja, das haben wir diskutiert. Aber wir bleiben in der bereits begonnenen Zweistufigkeit.  Die Maßnahmen, die wir jetzt eingeführt haben, zahlen aber bereits auf die zweite Stufe ein, an der wir festhalten, für die aber noch weitere Vorbereitungen erforderlich sind.

Ist denkbar, dass der Versuch am Ende als gescheitert gilt und wir zu den vorherigen Regelungen zurückkehren?

Ja, auch das ist denkbar. Hierüber müsste dann am Ende des Versuchs  ein entsprechender politischer Beschluss getroffen werden. Das ist ja Teil des Versuchs, am Ende zu bewerten und über das weitere Vorgehen zu entscheiden.

Wäre das für Sie eine Niederlage?

Nein, wir sind hier ja nicht in einem Wettbewerb. Aber wir verfolgen das Ziel, die Aufenthalts- und Lebensqualität im Stadtquartier zu verbessern. Menschen sollen in Zukunft mehr Wege zu Fuß gehen können und wollen, der Autoverkehr soll reduziert und auf andere, hierfür ausgelegte Achsen verlegt werden. Insofern wäre ein Zurückführen schade, denn diese Veränderungen sind Teil der dringend erforderlichen Mobilitätswende, die wir anstreben.

Sie wollen den Autoverkehr also nicht um jeden Preis reduzieren?

Nein. Die Reduzierung des Autoverkehrs bleibt ein wichtiges Ziel. Zudem ist Verkehrssicherheit nicht zu verhandeln. Das sind die Grundlagen für unsere Maßnahmen. Wenn wir diese mit unseren Maßnahmen, zu denen auch Tempo 20 gehört, erreichen können, dann wäre es mir sehr wichtig, den Autoverkehr auf der Venloer Straße langfristig auch wirklich zu reduzieren.

Andere Szenerie: Sie haben monatelang zugeschaut, wie Autos illegal über die Ehrenstraße gefahren sind, bevor Sie mit der Aufstellung von Baken reagiert haben. Geht das nicht auch schneller?

Wir haben relativ schnell, aber abgestuft, reagiert. Auch hier sprechen wir von einem Verkehrsversuch, bei dem man die besten Maßnahmen zur Nachsteuerung erstmal erarbeiten muss. Auch die Baken sind nur ein Provisorium, sie werden durch feste Elemente ersetzt. Unsere Prozesse sind zwar schon schneller geworden, aber es geht eben auch nicht alles von heute auf morgen.

Warum machen Sie die Ehrenstraße nicht gleich zur Fußgängerzone? Schnelle Fahrradrouten verlaufen auch parallel.

Weil wir die Radfahrenden auch hier nicht ausschließen wollen, dieses Ziel möchte ich nicht vorschnell aufgeben, denn es werden ja hier auch Ziele angefahren. Die parallel verlaufende Magnusstraße ist in der Tat die schnelle Radverbindung, um die Ehrenstraße zu umfahren.  Wir beobachten hier zunächst, das Umsteuern bleibt möglich. Wir stellen aber fest, dass die Beschwerden bereits abnehmen.

Wie funktioniert die Beobachtung der Verkehrsversuche?

Wir erheben Daten dazu, wie sich die Zahl der Autos, Fahrräder und Fußgänger verändert, messen Geschwindigkeiten und Querschnittsbelastungen. Gleichzeitig finden Befragungen in unterschiedlicher Form statt, bei Anwohnenden und bei Einzelhändlern. Wir wollen ständig herausfinden, wie wir die Verkehrssituation weiter verbessern können.

Im Umfeld der Deutzer Freiheit gibt es nicht viele Parkmöglichkeiten. Haben Sie es mit der Streichung der Parkplätze dort übertrieben?

Wir haben die aktuelle Bedeutung der – bewirtschafteten – Parkplätze dort offenbar unterschätzt. Deswegen haben wir einen Kompromiss im Veedelsbeirat gefunden, der nun auch politisch beschlossen wurde. Es gibt jetzt wieder etwas mehr Parkplätze. Der Verkehrsversuch ist aber nicht – wie es an mancher Stelle hieß – gescheitert, wir haben Anpassungen vorgenommen, wie sie im Rahmen eines Versuches auch sinnvoll sind. Langfristig ist aber auch klar, dass sich die Struktur im Veedel insgesamt durch den Deutzer Hafen verändern wird und die Attraktivität und Aufenthaltsqualität der Deutzer Freiheit verbessert werden soll.

Sollte man den Einzelhandel nicht früher einbeziehen?

Ja, das ist sicher ein Erfahrungswert aus dem Verkehrsversuch in Deutz.

Warum wird es erstmal keine weiteren Verkehrsversuche geben?

Weil uns dafür die Kapazitäten fehlen. Wir wollen jeden Versuch kontinuierlich und intensiv begleiten, das wäre nicht möglich, wenn wir noch mehr starten. Außerdem wollen wir die Ergebnisse der laufenden Projekte abwarten, um diese auf die nächsten Projekte anzuwenden. Denn grundsätzlich halten wir Verkehrsversuche weiterhin für ein gutes Instrument.

Für die Verkehrswende reichen Versuche nicht aus, es braucht auch einen Ausbau des Bus- und Bahnnetzes. Woran arbeiten Sie dort?

Wir haben hier eine ganze Reihe von Projekten auf der Agenda, die wir in der neuen ÖPNV-Netzentwicklung zusammengefasst haben. Es steht die Entscheidung zur südlichen Verlängerung der Stadtbahn in Richtung Rondorf und Mechenisch bevor, an der Bonner Straße bauen wir bereits. Ein wichtiges Projekt ist natürlich der Ausbau der Ost-West-Achse, hier starten wir in diesem Jahr den Entscheidungsprozess zur Frage, ob es einen Tunnel geben soll oder nicht. Auch die Linie 4 wollen wir ausbauen, in Widdersdorf wartet man seit Jahren auf eine bessere Anbindung – hier sind wir in der Planung bereits einige Schritte weitergekommen. Bei der Verbindung Köln-Niederkassel-Bonn haben wir uns inzwischen mit den anderen Kommunen verständigt und einen Förderbescheid für die Planung vom Land bekommen. Beim S-Bahn-Ausbau der Deutschen Bahn wird in den nächsten Jahren ebenfalls viel passieren, wir müssen unsere Maßnahmen darauf abstimmen. Es gibt wahnsinnig viel zu tun!

Wie wollen Sie beim Netzausbau schneller werden?

Wir schauen hier auch in Richtung Land und Bund und wollen frühzeitig Finanzierungsvereinbarungen abschließen. Die Bundesfinanzierung wurde und wird weiterhin deutlich ausgeweitet, das hilft für die Verkehrsprojekte. Unser Austausch mit dem Land ist sehr gut. Wir müssen insbesondere bei Planung und Genehmigungsverfahren noch deutlich schneller werden und nutzen dafür alle Instrumente, die wir haben.

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