Anzeigen nach „böswilliger“ WortwahlEmpörung über Zahnarzt-Vorwürfe von Merz gegen abgelehnte Asylbewerber

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26.09.2023, Berlin: Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der CDUCSU Fraktion, spricht vor Beginn der Fraktionssitzung im Bundestag. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

26.09.2023, Berlin: Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der CDUCSU Fraktion, spricht vor Beginn der Fraktionssitzung im Bundestag. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Asylbewerber würden Deutschen Arzttermine wegnehmen, sagt Merz. „Falsch“, sagt Nancy Faeser. Auch von Mona Neubaur kommt Kritik.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat die Bundesregierung mit einem drastischen Vergleich zur Eindämmung der irregulären Migration aufgefordert – und heftige Kritik geerntet. „Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen“, sagte Merz im „Welt-Talk“ des Fernsehsenders Welt. „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine“, fügte Merz an. Von SPD und Grünen wurde ihm daraufhin übelster Populismus vorgeworfen.

Friedrich Merz verbreitet Unwahrheit: Scharfer Widerspruch von Nancy Faeser für „erbärmlichen Populismus“

Die Unionsfraktion verbreitete die Aussage ihres Chefs auch auf der Plattform X, vormals Twitter. „Wir müssen über die Pull-Faktoren sprechen, die hier in Deutschland wirken. Wir haben massive Faktoren, die dazu führen, dass über 30 Prozent der Asylbewerber aus ganz Europa nach Deutschland kommen“, sagte er demnach.

Mit Pull-Faktoren meint Merz solche, die eine Sogwirkung auf Migranten haben. Der Koalition warf er vor, nicht zu handeln. „Was Sie hier machen, ist eine Katastrophe für dieses Land.“

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Nur bei „akuter Erkrankung und Schmerzzuständen“ zahnärztliche Behandlung

Bundesinnenminister Nancy Faeser, SPD-Spitzenkandidatin für die Hessen-Wahl in eineinhalb Wochen, widersprach umgehend. „Das ist erbärmlicher Populismus auf dem Rücken der Schwächsten. Wer so spricht, spielt Menschen gegeneinander aus und stärkt nur die AfD“, schrieb sie auf X. „Und es ist falsch: Denn Asylsuchende werden nur behandelt, wenn sie akut erkrankt sind oder unter Schmerzen leiden.“

Im Asylbewerberleistungsgesetz heißt es in Paragraf 4 zu Leistungen bei Krankheit: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren.“ Eingeschränkt wird: „Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.“

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang äußerte sich ähnlich wie Faeser. „Friedrich Merz spielt ganz bewusst Gruppen gegeneinander aus, verbreitet dabei Falschinformationen. So wird kein einziges Problem gelöst, aber Hass geschürt“, schrieb sie auf X. Das sei eines „Vorsitzenden einer Volkspartei unwürdig“.

Scharfe Kritik von Ricarda Lang und Mona Neubaur: „Niederträchtig und brandgefährlich“

Die stellvertretende Ministerpräsidentin von NRW, Mona Neubaur (Grüne), zeigte sich unterdessen „fassungslos“ angesichts der „rhetorischen Radikalisierung von Friedrich Merz“. Bei X schrieb Neubauer: „In offensichtlicher Unkenntnis der Gesetzeslage einfach mal haltlose Ressentiments raushauen, ist niederträchtig und brandgefährlich. Damit werden Menschen böswillig gegeneinander aufgehetzt.“ Auch die Kölner Grünen-Politiker Katharina Dröge kritisiert Merz am Donnerstag scharf.  

Auch von der SPD gab es Kritik am CDU-Chef. „Wer so redet wie Merz, ist üblicherweise bei der AfD. Mit demokratischer Mitte hat das nichts mehr zu tun“, schrieb der bayrische Spitzenkandidat Florian von Brunn. „Wenn Merz noch einen Mini-Rest Anstand irgendwo findet, tritt er zurück“, schrieb unterdessen der EU-Abgeordnete Tiemo Wölken (SPD). „Ansonsten ist er halt ein anstandsloser, lügender, seelenloser Rechtspopulist“, fügte Wölken an.

CDU-Chef in der Kritik: „Wer so redet wie Merz, ist üblicherweise bei der AfD“

Innerhalb der CDU gab es am Mittwochabend ebenfalls kritische Worte für Merz. „Ich finde das schlimm“, schrieb der ehemalige Generalsekretär der Partei, Ruprecht Polenz, ebenfalls bei X. „Die CDU muss unsere Gesellschaft zusammenführen, statt die Mehrheit gegen Minderheiten aufzubringen“, erklärte Polenz. „Statt zu erklären, bestätigt Merz dumpfe Vorurteile.“

Auch über Anzeigen gegen Merz wegen des Verdachts der Volksverhetzung wurde in den sozialen Netzwerken berichtet. „Ich habe soeben Friedrich Merz über die Internetwache der Polizei angezeigt“, erklärte Volt-Politiker Sahak Ibrahimkhil auf X. 

Verdacht der Volksverhetzung: Berichte über Strafanzeigen gegen Friedrich Merz

Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken, Dietmar Bartsch, kommentierte Merz’ Wortwahl beim TV-Sender Phoenix: „Das ist eine völlig inakzeptable Position, weil es die Schwächsten gegen die Schwachen ausspielt und es stimmt schlicht nicht“, sagte Bartsch. „Man schürt Ängste, die in dieser Form überhaupt nicht da sein sollten und das finde ich, gerade, weil es ja auch mit den Wahlen in Bayern und Hessen zu tun hat, wirklich unverantwortlich.“ Von einem CDU-Vorsitzenden, so Bartsch weiter, habe er das nicht erwartet.

Die Linken-Abgeordnete Clara Anne Bünger wies unterdessen darauf hin, dass der AfD-Abgeordnete Martin Sichert einst im Bundestag ähnliche Worte wie nun CDU-Chef Merz gewählt hatte. „Die Vorlage hatte ich doch irgendwo schon mal gehört“, schrieb Bünger zu einem Video des AfD-Politikers. „Herr Merz sollte sich schämen“, fügte sie an.

Sichert hatte in seiner Rede im Bundestag am 22. September von Ukrainern in „Nobelkarossen“ gesprochen, die sich auf Kosten der Allgemeinheit in Deutschland die Zähne richten ließen.  „Genau so haben Nazis hier im Haus über Juden gesprochen“, hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Wortmeldung damals kritisiert. (mit dpa)

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