Gewalt an FrauenSchutzhaus im Kreis Euskirchen ist ständig voll belegt

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Engagieren sich gegen Gewalt an Frauen: Ellen Mende (v.l.), Alesha Gasior und Astrid Günther vor dem Kreishaus.

Der 25. November ist der Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Auch im Kreis Euskirchen machen sich verschiedene Einrichtung stark für dieses Thema. Ellen Mende (v.l.), Alesha Gasior und Astrid Günther informieren über das Programm.

Die Gewalt an Frauen hat zugenommen. Doch mehr als 90 Frauen mussten im vergangenen Jahr am Schutzhaus in Euskirchen abgewiesen werden.

Es waren nur wenige Sekunden. Nur für einen Augenblick stand die virtuelle Ampel im Internet auf Grün, da klingelte auch schon das Telefon. Nach dem Telefonat stellte das Schutzhaus im Kreis Euskirchen das Lichtzeichen wieder auf Rot. Kein Platz frei – weder für eine alleinstehende Frau noch für eine Mutter mit Kind oder gar Kindern, die Opfer von physischer oder psychischer Gewalt in den eigenen vier Wänden geworden ist. Alltag im Kreis Euskirchen.

„Unser Schutzhaus ist immer voll“, berichtet Alesha Gasior, Pädagogin und Mitarbeiterin im Schutzhaus. Im Jahr 2022 habe man 32 Frauen und 57 Kinder betreut, die Opfer von Gewalt geworden waren. Mehr als 90 Frauen und mindestens 300 Kinder habe man nicht aufnehmen können, weil die Kapazität nicht ausreichend sei, sagt Gasior im Gespräch mit dieser Zeitung.

Brötchentüten weisen auf Gewalt an Frauen im Kreis Euskirchen hin

Auch Gasior will den kommenden Samstag nutzen, um das Thema Gewalt an Frauen wieder in den Fokus zu rücken. Dann ist nämlich der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. „Wir benötigen im Kreis ein zweites Schutzhaus“, sagt Gasior, die sich eine Bedarfsanalyse wünscht.

Auch die Mitarbeiterinnen des Vereins Frauen helfen Frauen wollen den Tag nutzen, um auf das Thema hinzuweisen. Der Verein macht das schon seit mehreren Jahren mit einer eigenen Aktion. Im Rahmen der Aktion gehen Brötchentüten mit dem Slogan „Gewalt kommt bei uns nicht in die Tüte“ in verschiedenen Bäckereien in und um Euskirchen über die Ladentheke. „Die Aktion zielt darauf ab, Notrufnummern und Informationen zu Hilfsangeboten an gewaltbetroffene Frauen zu bringen“, sagt Ellen Mende vom Verein Frauen helfen Frauen.

Die Aktion zielt darauf ab, Notrufnummern und Informationen zu Hilfsangeboten an gewaltbetroffene Frauen zu bringen.
Ellen Mende, Frauen helfen Frauen

Zudem verteilen Mitarbeiterinnen der Frauenberatungsstelle zusammen mit Barbara Brieden, der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Euskirchen, am 29. November befüllte Brötchentüten und Infomaterialien in der Stadtverwaltung Euskirchen.

Die Resonanz auf die Aktion sei stets positiv, berichtet Mende: „Allein schon, weil die Brötchen in eine andere Tüte gepackt werden, gucken die Menschen wohl etwas genauer hin.“

Die Statistik weist alarmierende Zahlen aus

Statistiken zeigen nach Angaben des Vereins, dass die Zahlen nach wie vor alarmierend seien. Laut einer aktuellen europäischen Studie erleben etwa 30 Prozent aller Frauen und Mädchen ab 15 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt in einer Beziehung. Im Kreis Euskirchen wenden sich laut Mende jährlich mehr als 250 Frauen an die Frauenberatungsstelle, um Hilfe bei häuslicher und sexualisierter Gewalt zu suchen.

Die Gewalt beginne oft schleichend, mit Abwertungen, Demütigungen und Drohungen, bevor sie in körperliche Übergriffe münde, sagt auch Pädagogin Gasior: „Diese führen zu Gefühlen der Wehrlosigkeit und Wertlosigkeit, die es Frauen erschweren, sich aus diesen Beziehungen zu lösen.“

Die Auswirkungen seien nicht nur auf die betroffenen Frauen beschränkt, sondern betreffen auch Kinder und Jugendliche, die in einem Klima der Angst und Anspannung leben oder direkt mit der Gewalt konfrontiert sind. Mende, Diplom-Pädagogin, betonte im Gespräch: „Wir wissen, dass die Dunkelziffer dieser Fälle um ein Vielfaches höher ist, und wir appellieren an Angehörige, Freunde und Nachbarn: ‚Schaut hin!‘.“

In Euskirchen stehen verschiedene Anlaufstellen zur Verfügung, darunter die Frauenberatungsstelle, Tel. 0 22 51/ 7 51 40, und das Schutzhaus für Frauen und Kinder, Tel. 0 22 51/7 53 54. Das Hilfetelefon in mehreren Sprachen ist unter Tel. 0 80 00 11 6 0 16 erreichbar.


Ausstellung im Kreishaus und Vortrag gegen Antifeminismus

Mit der Istanbul-Konvention („Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“) ist der Einsatz gegen Gewalt gegen Frauen von einer Frage der persönlichen Überzeugung zu einer völkerrechtlich bindenden Verpflichtung geworden.

In Deutschland trat die Istanbul-Konvention am 1. Februar 2018 in Kraft. „Die Umsetzung der Istanbul-Konvention verlangt eine Vielzahl an staatlichen Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Intervention, Schutz und Sanktion“, sagt Astrid Günther, Gleichstellungsbeauftragte beim Kreis Euskirchen und Mitorganisatorin einer Sonderausstellung im Kreishaus zur Istanbul-Konvention. Die Verpflichtungen richten sich Günther zufolge zum einen an staatliche Stellen auf der Bundesebene, in den Ländern und in den Kommunen. Aber auch der Zivilgesellschaft weist die Istanbul-Konvention eine starke Rolle im Umsetzungsprozess zu.

Wir wollen mit der Ausstellung aufrütteln und zum Nachdenken anregen.
Astrid Günther, Gleichstellungsbeauftragte beim Kreis Euskirchen

Die vom Organisationsteam des Runden Tisches gegen häusliche Gewalt konzipierte Ausstellung im Foyer des Kreishauses konfrontiert vom 5. bis 15. Dezember 2023 die Besuchenden mit wesentlichen Kernaussagen der Istanbul-Konvention und lädt dazu ein, eine eigene Haltung dazu einzunehmen. Eröffnet wird die Ausstellung mit dem Vortrag „Antifeminismus – eine unterschätzte Gefahr?!“ am 5. Dezember um 16 Uhr.

Antifeminismus sei nicht nur das „Anti“ zu feministischen Bewegungen, sondern auch eine eigenständige Ideologie. Antifeminismus hat viele Gesichter und verbindet verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen und Strömungen. „Der Vortrag gibt eine Einführung ins Thema Antifeminismus und legt einen Schwerpunkt auf Antifeminismus von rechts“, berichtet Günther.

„Wir wollen mit der Ausstellung aufrütteln und zum Nachdenken anregen“, sagt Expertin Günther: „Wir haben auch auf kommunaler Ebene die Aufgabe, mehr zu tun, mehr anzustoßen. Es gibt Städte und Kreise, die ein eigenes Handlungskonzept haben.“ (tom)

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