Hilfe für Sri LankaBad Münstereifelerin schickte 322 Fahrräder nach Colombo

Lesezeit 7 Minuten
Eine Gruppe von Menschen steht vor einem mit Fahrrädern voll beladenem Container.

Kalika Wagner-Gillen verschickte mithilfe des Rotary Clubs Euskirchen 322 Fahrräder nach Sri Lanka.

322 Fahrräder haben Kalika Wagner-Gillen und der Rotary Club Euskirchen insgesamt für Sri Lanka gesammelt – und das trotz vieler Probleme.

Im Dämmerlicht flitzte eine kleine Frau im Abendkleid von Tür zu Tür. In hohen Schuhen nahm sie an Haustüren gebrauchte Fahrräder entgegen und spannte sie auf einen Anhänger. Zum Abholen der Räder nutzte Kalika Wagner-Gillen aus Bad Münstereifel jeden Weg – egal, ob sie gerade vom Einkaufen kam oder von einem klassischen Konzert.

Im vergangenen Jahr hatte die Bad Münstereifelerin eine Idee: Sie wollte nicht mehr benötigte Fahrräder aus den Kellern, Schuppen und Garagen des Kreises nach Sri Lanka schicken – dorthin, wo sie gerade dringend gebraucht werden. „Ich hielt das zu Beginn für eine Schnapsidee“, kommentiert ihr Mann Christoph Wagner-Gillen.

Kalika Wagner-Gillen fasst einen Plan und lässt sich nicht davon abbringen

Doch seine Frau ließ sich von ihrem Plan nicht abbringen. Denn das Land Sri Lanka befindet sich aktuell in einer Krise und die gebürtige Sri Lankerin wollte helfen. „Nach der Corona-Pandemie ist die Wirtschaft in Sri Lanka von heute auf morgen zusammengebrochen“, erklärt sie.

Durch den ausbleibenden Tourismus sei ein großer Teil des Landeseinkommens weggefallen. „Ein großer Teil unseres Einkommens“, sagt Kalika Wagner-Gillen. Denn immer, wenn sie über Sri Lanka spricht, sagt sie „wir“.

Nach der Pandemie kam die Wirtschaft auf Sri Lanka zum Erliegen

Die frisch gewählte Regierung habe „zu viel Geld rausgehauen“. Und in Folge der Corona-Pandemie hätten sich die staatlichen Geldtöpfe auch nicht mehr gefüllt. Die Folge: „Wir waren bankrott.“

Der International Monetary Fund (IMF), eine Institution, die weltweite ökonomische Entwicklungen beobachtet, um Risiken zu identifizieren und finanzielle Stabilität zu gewährleisten, stufte Sri Lanka als kreditunwürdig ein.

„Es kam zum Stillstand“, sagt Kalika Wagner-Gillen. Nichts habe mehr funktioniert, nichts konnte mehr importiert werden, denn das Land konnte schließlich kein Geld mehr herausgeben. Der Importstopp betraf jeden Bereich. „Es war elend. Quasi über Nacht gab es keine Medikamente mehr oder bezahlbares Benzin“, sagt sie.

Es war ein deutschlandweiter Bericht über Fahrräder, die hierzulande kaum noch genutzt werden und einfach nur in den Kellern vor sich hinstehen.
Kalika Wagner-Gillen

Regelmäßig telefonierte Kalika Wagner-Gillen in dieser Zeit mit ihrer Verwandtschaft auf Sri Lanka. Ganze Abende verbrachte die Familie am Hörer und überlegte gemeinsam, wie den Menschen von Deutschland aus geholfen werden kann. Doch die Überlegungen blieben ohne Ergebnis. Immer wieder stießen sie auf dasselbe Problem: das Importverbot.

Doch dann fiel Kalika Wagner-Gillen ein Zeitungsartikel in die Hände. „Es war ein deutschlandweiter Bericht über Fahrräder, die hierzulande kaum noch genutzt werden und einfach nur in den Kellern vor sich hinstehen.“ Wie ein Blitz schoss es der Bad Münstereifelerin durch den Kopf: „Wir könnten die Fahrräder doch aus den Kellern holen, und als Spende nach Sri Lanka schicken.“

Dorthin, wo Schulwege viel weiter sind als hier; wo Kinder nicht einfach in den Bus steigen können; wo künftig auch das Mopedfahren nicht mehr bezahlbar ist. „Ich musste das einfach versuchen“, sagt sie.

Kalika Wagner-Gillen sitzt auf ihrer Terrasse und bedient ein Tablet.

Kalika Wagner-Gillen hat unzählige Briefe geschrieben und nächtliche Telefonate geführt, um ihre Idee zu verwirklichen.

Dabei waren die Menschen auf Sri Lanka ihre erste Anlaufstelle. Kalika Wagner-Gillen wollte von ihren Freunden vor Ort wissen, ob es eine Notwendigkeit gebe, die Fahrräder dort hinzuschiffen. Sie wollte sichergehen, nichts kaputtzumachen, keinem Fahrradhersteller vor Ort Konkurrenz zu machen, die Wirtschaft nicht zu korrumpieren, im Großen und Ganzen: nichts zu verschlimmbessern.

Doch das Feedback war eindeutig. In Sri Lanka – oder „da unten“, wie Kalika sagt – fand man die Idee großartig. 100 Fahrräder wollte sie sammeln. Doch schon während sie über die dreistellige Zahl nachdachte, beschlichen sie erste Zweifel. Ihre größte Sorge war, dass es im ehemaligen Flutgebiet kaum noch „übrig gebliebene Räder“ gebe.

Gibt es im flutbetroffenen Kreis Euskirchen genug Fahrräder?

Schließlich standen viele Keller vor zwei Jahren unter Wasser. Ähnliche kritische Stimmen gab es zunächst auch aus dem Rotary Club Euskirchen, dem Kalika Wagner-Gillen und ihr Mann, der Rotary-Mitglied ist, das Projekt vorstellten. Wo solle man die Fahrräder hernehmen? Gebe es im Kreis überhaupt genug? Wer sammle die ein, wo stelle man die unter? Alles Fragen, auf die es zunächst keine Antwort gab.

Doch der Knoten löste sich, nachdem Rita Witt vom Rotary Club einen Aufruf für die Fahrrad-Sammelaktion gestartet hatte. Christoph Wagner-Gillen: „Es war wie eine Explosion. Das Telefon hat plötzlich einfach nicht mehr still gestanden.“ Im ganzen Kreis wollten die Menschen ihre Fahrräder für Sri Lanka spenden.

„Und das waren wirklich keine Schrottfahrräder“, sagt er. „Das erste Spenderfahrrad, das ich abgeholt hab, gehörte einer Lehrerin und war nigelnagelneu.“ Abgeholt haben Christoph und Kalika Wagner-Gillen die Räder mit ihrem Anhänger – drei Stück passten da drauf. Auch andere Mitglieder des Rotary Clubs waren unterwegs.

In einer Lagerhalle stehen viele Fahrräder.

Die meisten gespendeten Fahrräder waren fahrtauglich. Einige mussten repaqriert werden.

„Einfach jeder hat plötzlich mitgemacht“, sagt Kalika Wagner-Gillen. Christian Jonas aus Bad Münstereifel stellte seine Lagerhalle zur Verfügung, Mitglieder und Freunde reparierten samstags Fahrräder, Kirchen und Fahrradhändler spendeten großzügig. Am Emil-Fischer Gymnasium gründete sich eine AG namens „Colombo Bicycle Club“.

Dort reparierten Schüler nachmittags Fahrräder, die mit den anderen Rädern in die Hauptstadt Sri Lankas geschickt werden sollten. Sie lernten auch viel über das Land. An die Lenker der reparierten Fahrräder hingen sie Briefe in englischer Sprache – für eine Euskirchen-Colombo Brieffreundschaft. „Absolut süß war das“, kommentiert Kalika Wagner-Gillen.

Einfach jeder hat plötzlich mitgemacht.
Kalika Wagner-Gillen

Es sei genau diese Energie gewesen, die sie während des ganzen Projekts angetrieben habe: „Und all die Anrufer, die fragten ,Kalika, was können wir noch tun?' Immer wieder ist mir das Herz geschmolzen“, sagt sie.

Doch dann geriet das Projekt ins Stocken. Zu Beginn hatte Kalika Wagner-Gillen häufig mit der Botschaft telefoniert. Und von einem auf den anderen Tag ging dort niemand mehr ans Telefon. Das war der Moment, in dem ihr nichts Gutes schwante.

Das ganze Wolhltätigkeitsprojekt der Bad Münstereifelerin gerät in Gefahr

Ein paar Telefonate später hatte sie rausgefunden, was passiert war: Das ganze Land befand sich in politischer Instabilität. Eine neue Regierung wurde eingesetzt, die alte abgelöst. In diesem ganzen Chaos haben Botschaften geschlossen, oder wurden neu besetzt. Außerdem gab es ein neues, noch strengeres Importverbot.

Die Personen, die Kalika Wagner-Gillen das Projekt zugesagt hatten, waren plötzlich nicht mehr zu erreichen. Die Gesetze, die den Import ermöglicht hatten, waren verändert. Und alles, was aus Bad Münstereifel heraus ein paar Tage zuvor noch möglich erschien, war plötzlich unmöglich geworden.

Doch weil es ein Wohltätigkeitsprojekt war und kein Import, an dem irgendjemand etwas verdienen würde, gab Wagner-Gillen nicht auf. Sie holte Unterschriften ein, genauso wie Genehmigungen und Bestätigungen. Brachte das Schreiben eines Ministeriums zu einem anderen Ministerium und umgekehrt.

Zwei Männer stehen auf Leitern und stapeln Fahrräder in einem Container übereinander.

In drei Etagen wurden die Räder in einem Container übereinander gestapelt.

Doch es sei ein bürokratischer Kreislauf gewesen, erklärt sie. „Immer wieder kamen wir dort raus, wo wir gestartet sind.“ Das ganze Prozedere, erklärt sie, sei dazu gedacht, der Korruption in dem Land Einhalt zu gebieten. Aber so wie sich das Ganze letztendlich dargestellt habe, sagt sie, habe es jeder Handlung Einhalt geboten.

„Ich war frustriert“, sagt sie. „So viele Leute haben geholfen und am Ende kommt mein eigenes Land mit so einem Blödsinn um die Ecke.“ Bis zum Präsidenten habe sie das Problem vorgetragen – ohne Ergebnis.

„Irgendwann entschied ich, die Reißleine zu ziehen und die Fahrräder nach Ghana zu bringen.“ Auch dort würden sie gebraucht. „Aber ich fühlte mich den Leuten gegenüber schlecht deswegen.“ Sie alle hatten für einen Zweck gespendet, erklärt Kalika Wagner-Gillen, und jetzt komme sie, und entfremde einfach so den Zweck: „Elend – ich fühlte mich elend. Alles war ganz falsch.“

So viele Leute haben geholfen und am Ende kommt mein eigenes Land mit so einem Blödsinn um die Ecke.
Kalika Wagner-Gillen

Aber dann – als die Wagner-Gillens die Hoffnung schon aufgegeben hatten – flatterte die Importgenehmigung ins Haus. „Plötzlich hielten wir alle nötigen Papiere in den Händen“, sagt die Bad Münstereiflerin.

Der Container, mit dem die 322 gesammelten Fahrräder aus dem Kreis nach Colombo verschifft werden, ist jetzt unterwegs. Am 26. Juli wird er die Hauptstadt Sri Lankas erreichen. Und von da aus würden die Fahrräder im ganzen Land verteilt, berichtet Kalika Wagner-Gillen.

Besonders im Norden, in den ländlichen Gebieten, würden die Räder gebraucht. Dort sei es nicht unüblich, dass Kinder 15 Kilometer zur Schule gehen müssten. „Die gerechte Verteilung vor Ort überlassen wir dem Ministerium für Frauen, Kinder und Soziales und dem Rotary Club dort unten“, sagt sie. „Von hier aus können wir jetzt nichts mehr tun.“

Ob Kalika Wagner-Gillen so ein Projekt noch einmal stemmen würde? Sie weiß es nicht: „Auf der einen Seite habe ich gerade wirklich keine Lust mehr, auf der anderen Seite weiß ich jetzt, wie das alles funktioniert.“ Sie lacht. Und ihr Mann sieht sie besorgt an.

KStA abonnieren