Dokumente überstanden FlutMechernicherin schreibt Buch über Liebesbriefe der Großeltern

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Lina Siedler aus Mechernich präsentiert das Buch über ihre Großeltern. Vor ihr auf dem Tisch liegen einige alte Briefe.

Stolz auf ihr Erstlingswerk: Die Studentin Lina Siedler aus Mechernich hat ein Buch über die Kennenlernphase ihrer Großeltern geschrieben. Quelle waren Briefe, die die Flutkatastrophe überstanden haben.

Früher und heute im Vergleich: Die Studentin Lina Siedler aus Mechernich hat ein Buch übers Dating geschrieben – und über ihre Großeltern.

Ziemlich perplex muss Lina Siedler gewesen sein, als ihr Opa Fritz einst die Frage, ob es bei ihm und seiner Frau Luise Liebe auf den ersten Blick gewesen sei, mit einem klaren Nein beantwortete. „Ich war damals noch ein Kind, aber mein Opa hat sein Nein sehr schön begründet“, sagt die 22-Jährige aus Mechernich: Er habe die Liebe mit einem Baum verglichen, der erst wachsen müsse.

Die Autorin zieht Vergleiche zwischen der Kennenlernphase damals und heute

„Wie der junge Baum, der ständig gepflegt werden muss, braucht auch die Liebe neben Pflege, Zeit und Geduld, um zu erblühen“, zitiert die junge Mechernicherin ihren Großvater in ihrem Buch mit dem Titel „Zeilen von dir“.

Wenn wir eines Tages einmal alt sind, werden wir vermutlich keine Kiste auf dem Dachboden mit WhatsApp-Chats und Screenshots finden
Lina Siedler über Chats im Vergleich zu „altmodischen“ Briefen

Dass Lina Siedler ein Buch über die Beziehung ihrer Großeltern geschrieben hat, ist auch eine Folge der Flutkatastrophe vom Juli 2021. Bei Luise und Fritz Siedler aus Euenheim stand das Wasser in der Nacht zum 15. Juli bis zur Kellerdecke. Am nächsten Tag rückte die ganze Familie an, um mit dem Aufräumen zu beginnen. Fast alles, was im Keller gelagert war, sei kaputt oder unbrauchbar gewesen, erinnert sich Lina Siedler: „Aber mein Opa kam plötzlich mit einer grünen Metallkassette auf mich zu und zeigte mir ganz gerührt deren Inhalt: Briefe aus der Kennenlernzeit des Paares.“

Paar aus Euenheim beklagt Verlust von vielen Erinnerungsstücken

Viele Erinnerungsstücke seien durch die Flut zerstört worden. „Das hat meine Großeltern sehr mitgenommen“, sagt Lina Siedler. Umso höher sei für sie daher der Wert der alten Liebesbriefe. Die Großeltern stimmten zu, dass ihre Enkelin die Briefe lesen dürfe. „Ich studiere Germanistik in Bonn, habe schon immer gerne selbst geschrieben, aber noch nie etwas veröffentlicht“, berichtet die 22-Jährige im Gespräch mit dieser Zeitung: „Nach dem Lesen der Briefe hatte ich dann die Idee, ein Buch darüber zu schreiben.“

Mehrere alte Briefe liegen auf einem Tisch, einer ist mit Schlamm verschmutzt.

An manchen Briefen sind noch Schlammspuren zu erkennen. Sie waren in einer Metallkassette aus einem überfluteten Keller gerettet worden.

Darin vergleicht Siedler das Dating – wie man heute neudeutsch den Vorgang des sich Verabredens und Kennenlernens nennt – zur Zeit ihrer Großeltern und heute. Dabei macht die Studentin keinen Hehl aus der Tatsache, dass sie von der modernen Variante mitunter nur noch genervt ist, wie sie in ihrem Buch schreibt: Belanglose Nachrichten, die immer wieder gleichen Antworten und dazu die Flüchtigkeit der digitalen Kommunikation.

„Wenn wir eines Tages einmal alt sind“, so formuliert es Siedler, „werden wir vermutlich keine Kiste auf dem Dachboden mit WhatsApp-Chats und Screenshots finden.“ Vielleicht ist das auch der Grund, warum sie selbst – ganz altmodisch – auch heute noch Brieffreundschaften pflegt.

Keine Angst vor intimen Details in den Briefen der Großeltern?

Aber hatte die Autorin keine Angst, beim Lesen der Briefe auf pikante Details aus dem großelterlichen Liebesleben zu stoßen? Immerhin waren die Großeltern damals im gleichen Alter wie die Enkelin heute. „Nee, überhaupt nicht“, lacht Lina Siedler: „Das Schlimmste, was ich gelesen habe, war die Erwähnung eines Streits, den die beiden damals hatten.“

Aber da hätten die erzwungenen Kommunikationspausen zwischen den Briefen vielleicht ganz gutgetan, vermutet die junge Autorin: „In einem ihrer Briefe schreibt meine Oma, dass Fritz sie aufrege, wenn sie sich träfen. Es rege sie aber noch viel mehr auf, wenn er nicht bei ihr sei.“

Anfang der 60er-Jahre besucht Fritz Siedler nach seiner Bäckerlehre und der Gesellenzeit im westfälischen Rheine die Meisterschule in Köln. Er und seine Freundin Luise, die sich kurz zuvor in Westfalen kennengelernt haben, können sich nur unregelmäßig an den Wochenenden besuchen. „In dem Jahr, das Fritz in Köln verbringt, schreiben sich die beiden regelmäßig. Aus dieser Zeit der Fernbeziehung stammen die Briefe, die wir im Keller gefunden haben“, berichtet Enkelin Lina.

Buch ist auch ein Geschenk zur Diamant-Hochzeit

Dabei hat die Mechernicherin, die ihr Abitur am Bad Münstereifeler St.-Angela-Gymnasium gemacht hat, aber auch viel Neues aus dem Leben der Großeltern erfahren. „Ich wusste zum Beispiel gar nicht, dass mein Opa einen Motorroller hatte und in Köln auch Mitglied im Vespa-Klub war“, so die Studentin.

Lina Siedler hat ihr Buch auf der Internetplattform „Story.One“ geschrieben, wo sie an einem Schreibwettbewerb teilgenommen hat. „Gewonnen habe ich leider nicht, aber immerhin ist das Buch jetzt im Handel erhältlich“, sagt die Autorin über ihr Erstlingswerk. Ein schöneres Geschenk zur Diamanthochzeit der Großeltern, die noch in diesem Jahr gefeiert werden soll, kann man sich eigentlich nur schwer vorstellen.


Das Buch „Zeilen von dir“ von Lina Siedler hat knapp 70 Seiten und ist zum Preis von 18 Euro im Buchhandel erhältlich. ISBN: 978-3-7108-9636-1.

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