SchreibabysZentrum in Weilerswist bietet überforderten Eltern Hilfe

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Ein Baby liegt im Bett und schreit.

Dauerhaftes Babygeschrei kann Familien sehr belasten. Das Eltern-Kind-Kompetenz-Zentrum in Weilerswist will helfen.

Seit August 2021 gibt es in Weilerswist eine Schreibabyambulanz. Das Henrys Eltern-Kind-Kompetenzzentrum bietet Hilfestellung für Eltern, die nicht damit zurechtkommen, dass ihr Baby nahezu ununterbrochen schreit.

Endlich ist er da, der Tag auf den man neun Monate, wenn nicht sogar länger, gewartet hat: Das Baby, ein neuer kleiner Mensch, ist auf der Welt. Die Eltern sind erleichtert, froh, glücklich. Doch dann schreit das Baby und es hört damit kaum auf. Es schläft nicht, lässt sich nicht ablegen und auch nicht beruhigen. „Wir waren einfach so überfordert“ berichtet Nicole Vidovic. Ihr Mann und sie hätten irgendwann einfach nur noch heulend dagesessen.

Es ist Freitagvormittag. Vidovic sitzt auf einer Matte im Kursraum des DRK Henrys Eltern-Kind-Kompetenz-Zentrum in Weilerswist. Im Arm hält sie ihren kleinen Sohn. Die junge Frau ist eine von acht Müttern, die an diesem Morgen zum Offenen Treff des Zentrums gekommen sind.   Seit August 2021 hat das Zentrum geöffnet und bietet verschiedene Kurse und Beratungen zu Themen von Schwangerschaft über Rückbildung und Trotzphasen bis hin zu Sternenkindern an. Der Offene Treff ist für die Teilnehmer kostenlos. Hier haben Eltern von Kindern im Alter bis zu drei Jahren einen Raum, zusammenzukommen und sich auszutauschen.

Schon jemand zu haben, der Verständnis zeigt, kann helfen 

Sie habe sich so hilflos gefühlt, berichtet Vidovic. Zwischenzeitlich habe sie Angst gehabt, ihr Baby werde ohnmächtig vom vielen Schreien. Ihr Mann habe dann schließlich im Eltern-Kind-Kompetenz-Zentrum angerufen und um Hilfe gebeten. Keine 24 Stunden später hatten die beiden ihren ersten Termin bei Miriam Nachtkamp, die Kinderkrankenschwester und ausgebildete Krisenbegleiterin mit langjähriger Erfahrungen in der Schreibabyambulanz ist.

Alleine jemanden zu haben, der Verständnis zeige, habe ihr so sehr   geholfen, berichtet Vidovic dankbar. „Zu sehen, dass man nicht alleine ist“, stimmt Lisa Wahn ihr zu. Auch sie und ihr Mann kommen schon seit einer Weile ins Eltern-Kind-Kompetenz-Zentrum und lassen sich von Nachtkamp beraten.

Zuerst wird nach einer möglichen organischen Ursache gesucht

Wenn die Eltern das erste Mal zu ihr kommen, so Nachtkamp, sei der erste Satz oft: „Ich will das Baby nicht mehr.“ So groß sei die Verzweiflung. Zunächst kläre sie dann ab, ob das Verhalten des Kindes eine organische Ursache hat. Waren die Eltern schon beim Kinderarzt? Als Kinderkrankenschwester habe sie schließlich auch einen medizinischen Hintergrund.

Wenn eine organische Ursache für das Schreien ausgeschlossen sei, versuche sie gemeinsam mit den Eltern herauszufinden, warum das Kind so viel schreit und wie sie es besser beruhigen können. Wichtig sei ihr dabei, die Eltern nicht zu belehren. „Hier wird jede Mutter mit ihrem Problem gesehen.“ Jedes Kind sei nun einmal anders. Und manchen falle die erste Zeit ihres Lebens schwerer als anderen. Sie haben eine sogenannte Regulationsstörung. Sie schreien. Und obwohl die Eltern sie tragen und versuchen zu beruhigen, hören sie nicht auf. Sie können sich nicht regulieren.

Heike Iven (DRK) und Miriam Nachtkamp sitzen im Beratungszimmer des Henrys Eltern-Kind-Kompetenzzentrum. Das Zimmer ist bewusst gemütlich und kuschelig gestaltet

Wollen Eltern und Kindern helfen: Heike Iven (l.) und Miriam Nachtkamp im gemütlich gestalteten Beratungsraum des Zentrums.

Für Eltern sei das schwer zu ertragen, weiß Nachtkamp. Zur absoluten Übermüdung kommen Schuldgefühle, Versagensängste und schließlich auch Wut und Aggression. Die Realität kollidiere mit den eigenen Erwartungen, Hoffnungen und Träumen an das Elternsein. Im schlimmsten Falle werde daraus eine postpartale Depression.

Nachtkamp weiß, wovon sie spricht – nicht nur aus beruflicher Erfahrung. Sie hat es selbst erlebt. Es habe Momente gegeben, da habe sie ihr Baby gehasst. Und niemand habe ihr damals geholfen. Bei ihr liegt die Erfahrung schon viele Jahre zurück, ihre Kinder sind erwachsen und trotzdem kommen die Gefühle in den Gesprächen mit den Eltern noch heute wieder hoch, sagt sie.

Wie zeige ich dem Kind, dass ich da bin? Wie kann ich ihm Halt geben?
Lisa Wahn

Besonders wichtig in ihrer Arbeit ist es ihr, die Bindung zwischen Eltern und Kind zu stärken, „dass das nicht abreißt durch Wut und Aggression“. Ein Punkt der auch Lisa Wahn wichtig ist: „zu lernen: Wie zeige ich dem Kind, dass ich da bin. Wie kann ich ihm Halt geben.“ Trotz Gebrüll. Sie und die anderen Mütter haben im Eltern-Kind-Kompetenz-Zentrum einen Ort gefunden, an dem sie loslassen können, an dem sie verstanden werden, an dem sie einfach auch mal weinen und schreien dürfen. Sie erhalten Verständnis und Hilfe.

Schon das erste Gespräch mit Nachtkamp habe sie richtig erlöst, berichtet Wahn. „Das ist so eine großartige und wichtige Arbeit“, sagt auch May Manica, die ebenfalls mit ihrem Baby zum Offenen Treff gekommen ist. Es gehe nicht nur um die Eltern, sondern viel um die Kinder und um Prävention –   Stichwort Schütteltrauma.

Immer wieder kommt es vor, dass Eltern ihre Babys schütteln

Nach wie vor kommt es vor, das Eltern ihre Babys schütteln. Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sterben 10 bis 30 Prozent der geschüttelten Kinder, die in eine Klinik gebracht werden. Viele andere erleiden Folgeschäden wie Seh- und Sprachstörungen oder Krampfanfälle. Zwischen 100 und 200 Säuglinge und Kleinkinder mit Schütteltrauma werden laut Bundeszentrale schätzungsweise pro Jahr in deutsche Kliniken gebracht. Nachtkamp geht davon aus, dass die Dunkelziffer höher liegt. „Anhaltendes Babyschreien gilt als Hauptauslöser für das Schütteln“, so die Bundeszentrale.

Anhaltendes Babyschreien gilt als Hauptauslöser für das Schütteln.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Nachtkamp unterstreicht das. Die Belastung durch ständiges Schreien und kaum Schlaf setzten die Schwelle, das Kind zu schütteln, deutlich nach unten. Auch deshalb erhalten Eltern, die bei ihr anrufen, innerhalb von 24 Stunden einen ersten Termin.

So wie Familie Vidovic. Inzwischen hatten sie mehrere Beratungsstunden bei Nachtkamp. „Und jetzt sitze ich hier und er ist voll entspannt“, sagt Mutter Nicole mit liebevollem Blick auf ihren kleinen Sohn. Der liegt friedlich auf ihrem Schoß und schaut sich um.


Beratungen sind teuer: Daher werden Sponsoren gesucht

Einen Nachteil hat die Schreibabyambulanz im Henrys Eltern-Kind-Kompetenz-Zentrum. Etwa 80 Euro koste eine Stunde, berichtet Heike Iven, Leiterin der Familienbildung beim DRK im Kreis Euskirchen. „Da kommen ganz viele nicht, weil sie das Geld für fünf bis sechs Sitzungen nicht aufbringen können.“

Wegen Corona habe das Zentrum eine Förderung erhalten und die Schreibabyambulanz von Juli bis Dezember diesen Jahres kostenlos anbieten können. Doch die Förderung laufe aus. Sie habe auch schon einen neuen Antrag auf Förderung beim Kreis gestellt, doch der zuständige Ausschuss tage erst wieder im März. Sie hoffe, die Zeit bis dahin mit Sponsoren überbrücken zu können.

Der Kursraum in Henrys Eltern-Kind-Kompetenzzentrum Weilerwist ist hell und gemütlich eingerichtet. Er bietet viele Kissen und Matten zum entspannten Liegen.

Ein Ort, an dem man sich austauschen kann: Im Kursraum des Eltern-Kind-Kompetenz-Zentrums in Weilerswist findet der Offene Treff statt.

„Um alle dringlichen Anfragen und Notlagen versorgen zu können, benötigen wir ein Jahresbudget von rund 18.000 Euro“, so Iven. Daher freue man sich über jede Unterstützung, jeder Betrag könne helfen. Wer das Henrys unterstützen will, kann sich per Mail an Iven wenden. Spenden können Sie hier.

Die Idee zum Eltern-Kind-Kompetenz-Zentrum stammt von Iven selbst. Viele Jahre habe sie ihre Schreibabyambulanz in einer Hebammenpraxis in Weilerswist angeboten, so Miriam Nachtkamp. Doch die sei verkauft worden. Da sie auch schon lange beim DRK tätig sei, habe sie Iven gefragt, was sie denn jetzt machen solle. „Sie hat gesagt: ‚Wir machen das jetzt einfach selbst‘.“

Räumlichkeiten wurden gefunden und renoviert und im August 2021 öffnete das Zentrum. Sie hätten einen Ort schaffen wollen, an dem viele Fachrichtungen gebündelt seien, berichtet Iven. Neben Nachtkamp sind noch weitere Dozentinnen im Henrys tätig, darunter Hebammen, eine Erzieherin und eine Bewegungstherapeutin. „Die Eltern haben hier einen Ort, an dem sie alles in einem Zentrum bekommen“, erklärt Nachtkamp.

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