GeschichteGerhard Pomykaj erinnert in Gummersbach an die NS-„Machtergreifung“ vor 90 Jahren

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Ein älterer Mann sitzt an einem schwarzen Tisch auf einer Bühne und hält ein Blatt in der Hand. Hinter ihm ist ein historisches Bild auf einer Leinwand zu sehen, das Reichsbanner-Demonstrationszug zeigt.

Das historische Bild zeigt keinen Nazi-Aufmarsch, sondern einen Reichsbanner-Demonstrationszug in der Innenstadt. Dieser Widerstand wurde 1933 gebrochen.

Am Montag, 30. Januar, jährt sich Hitlers Ernennung zum Reichskanzler zum 90. Mal. Der Heimathistoriker Gerhard Pomykaj sprach über die Machtergreifung der Nazis in Oberberg.

Am kommenden Montag jährt sich Hitlers Ernennung zum Reichskanzler durch Reichspräsidenten von Hindenburg zum 90. Mal. Doch es gibt auch aktuelle Anlässe, daran zu erinnern, wie sich die sogenannte Machtergreifung am 30. Januar 1933 in Gummersbach vollzog. Allemal war das Interesse groß, als der frühere Stadthistoriker und -archivar Gerhard Pomykaj nun in der Halle 32 Auszüge aus dem noch unveröffentlichten dritten Band der „Gummersbacher Geschichte“ vortrug. Trotz Handball-WM versammelten sich mehr als 100 Zuhörer im großen Saal.

Pomykaj wies eingangs darauf hin, dass der Rechtspopulismus in vielen westlichen Demokratien derzeit Erfolge erzielt, und fragte: „Kann man aus der Geschichte lernen? Ich glaube schon.“ Keinen ausdrücklichen Bezug nahm er auf die aktuelle Debatte, ob die Gummersbacher Hindenburgstraße wieder „Unter den Linden“ heißen soll. Gerhard Jenders, Vorsitzender des Vereins „Oberberg ist bunt, nicht braun“, warb im Anschluss an den Vortrag für diese Initiative: „Es ist allerhöchste Zeit, die Hindenburgstraße umzubenennen.“ Dass es dafür gute historische Gründe gibt, wurde in Pomykajs Vortrag deutlich.

NSDAP wurde bei der Reichstagswahl  1932 in Gummersbach stärkste Partei 

Die „Machtergreifung“, die eben kein Putsch, sondern eine legale Machtübertragung war, wurde damals in Gummersbach keineswegs als der Epochenbruch wahrgenommen, als der sie heute gilt. Selbst die lokale NSDAP veranstaltete erst einige Tage später zusammen mit dem deutschnationalen Stahlhelm eine Feier zu Ehren Hitlers im evangelischen Gemeindehaus.

Bei der Reichstagswahl im November 1932 war die NSDAP in Gummersbach mit 29,5 Prozent zwar stärkste Partei geworden, war aber lang nicht so populär wie in Oberbergs Süden und blieb unter dem Reichsdurchschnitt. Die NSDAP wurde von den nationalkonservativen Parteien zwar als Konkurrent, aber nicht als Gegner wahrgenommen. Man arbeitete zusammen, um den Einfluss der SPD zurückzudrängen. Selbst das katholische Zentrum und die liberale DDP hatten keine Berührungsängste, obwohl die liberale „Volkszeitung“ bereits 1930 davor warnte, dass sich diese Strategie rächen werde.

Die Deutschnationalen machten die NSDAP im Mittelstand salonfähig.   Diese Politik erreichte ihren Höhepunkt am 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“. Bei den Feierlichkeiten zur Eröffnung des Reichstags präsentierte sich Hitler als demütiger, aber legitimer Nachfolger des von Deutschnationalen verehrten Reichspräsidenten Hindenburg. Diese Inszenierung wirkte ungemein beruhigend auf die Gummersbacher Konservativen, die sich ohnehin vielmehr vor den gottlosen Kommunisten gefürchtet hatten, wie Pomykaj anhand mehrerer Quellen nachweist.

Die nationalsozialistische Ideologie mit ihrem Antisemitismus habe sich danach zügig in die Gummersbacher Stadtgesellschaft „hineingefressen“. Der Schützenverein schloss satzungswidrig den jüdischen Textilhändler Siegfried Löwenstein aus. Die Brüder Steinmüller und andere Industrielle arrangierten sich schnell mit dem neuen Regime. In einem Rückblick aus dem Jahr 1939 verkündete die Kreisleitung der NSDAP denn auch stolz, wie Pomykaj in seinem Manuskript für die Gummersbacher Geschichte zitiert: „Schon 1933 wurde der Parteienstaat zu Grabe getragen. Der vom Nationalsozialismus vertretene Führergedanke war zur Wirklichkeit geworden.“

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