Besuch von Kontaktmann aus der Ukraine: Humanitäre Hilfe aus Rhein-Berg sucht dringend Fahrzeuge, um Verwundete von der Front zu retten.
Humanitäre HilfeVideoanruf aus dem Schützengraben für Helfer in Rhein-Berg
Unruhig schaut Andrej Sorokopud auf die Uhr. Dann steht er auf vom Essen mit Helfern der Humanitären Hilfe im Bergischen Hof von Marialinden, geht vor die Tür, telefoniert mit seinen Freunden an der Front in der Ostukraine.
Eigentlich wollte er gemeinsam mit Pfarrer Wiktor Tkacz, dem Ökonom des örtlichen Bistums in seiner Heimat, „nur“ eben nach Deutschland kommen und einen gespendeten Rettungswagen aus Duisburg mit Hilfsgürten aus Overath und Bergisch Gladbach auffüllen und in die Ukraine bringen. Doch dann springt der Wagen erstmal nicht an . . .
Es ist kein gewöhnlicher Tag für Andrej und Wiktor, es ist der ukrainische Unabhängigkeitstag. Da ist die Gefahr besonders groß, dass die russischen Aggressoren das symbolträchtige Datum zu besonders starken Luftschlägen nutzen.
„Die Zahl der Raketen und vor allem Drohnen, die auch unsere Stadt Chmelnyzkyj etwa 1000 Kilometern entfernt von der Front treffen, hat erheblich zugenommen“, sagt Andrej. Eigentlich ist der Familienvater Anwalt in Chmelnyzkyj, wo die Humanitäre Hilfe Overath und Bergisch Gladbach seit fast zwei Jahren den Aufbau eines Zentrums für traumatisierte Soldaten und ihre Familien unterstützen. Seitdem die russische Armee jedoch den Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 massiv ausgeweitet hat, ist er nur noch zwei bis drei Tage in seiner Kanzlei.
Anwalt bringt von bergischen Helfern gespendete Krankenwagen zur Front
„In der übrigen Zeit fahre ich an die Front, bringe Hilfsgüter und vor allem Fahrzeuge dorthin und hole kaputte ab, die dann bei uns repariert und wieder zurück in den Osten gebracht werden“, sagt er.
Vor allem die Fahrzeuge, mit denen Verwundete von der vordersten Frontlinie geholt und in sogenannte Stabilisierungscenter gebracht werden, um Blutungen zu stillen und sie rasch für den Transport in Lazarette und Kliniken weiter weg von der Front zu bringen, halten im Schnitt nur rund drei Monate, weiß Andrej. „Sie müssen damit querfeldein fahren, über Felder, oft gibt es keine Straße, und dann immer der Beschuss – und die Drohnen.“ Andrejs Stimme stockt: „Wir brauchen unbedingt mehr Fahrzeuge, um noch mehr Menschen retten zu können“, sagt er nachdenklich.
Auf seinem Handy hat er Fotos von den Kleinbussen, Geländewagen und dem Krankenwagen, den die Helfer aus Overath und Bergisch Gladbach in den vergangenen Jahren nach Chmelnyzkyj gebracht haben.
„Ich habe sie weiter zur Front gebracht“, sagt er. Rund 30 Autos und Krankenwagen hat er durch Kontakte in den Westen bereits in die Ukraine gebracht, den Großteil bis an die vordersten Frontlinien. Wie er die Kontakte gefunden hat? „Nicht ich habe sie gefunden, sondern sie mich“, sagt er. „Ich habe einem Soldaten einmal als Anwalt geholfen, dann hatte ich im Nu zig weitere Anfragen“, erinnert er sich.
Beim Telefonat mit einem Freund an der Front schlägt ein Geschoss ein
Dann klingelt sein Handy: Ein Freund meldet sich aus einem Unterstand an der Front östlich von Kramatorsk. Er weiß, dass Andrej aktuell im Bergischen ist und wollte sich nur einmal persönlich bei den Helfern per Videotelefonat bedanken. Der Mann sieht abgespannt und ausgelaugt aus. Und doch: Er lächelt. Bis es hinter ihm gewaltig kracht.
Rauch steigt auf, ein Feuerball. Der Soldat zeigt es den bergischen Helfern mit seiner Videoschaltung via Satellit. „Ich muss Schluss machen“, sagt er schnell. „Wir müssen dorthin. Dort, wo es gekracht hat, sind Schreie zu hören.“ Im nächsten Augenblick erlischt das Videobild. Andrej legt das Handy beiseite.
Anwalt hat bereits 15 Freunde durch den Krieg an der Front verloren
Wie viele Freunde er schon durch den Krieg verloren hat. „Von den besten Freunden? Mehr als 15“, sagt Andrej. Wie vielen er durch seine Hilfslieferungen an die Front schon das Leben gerettet hat, darüber spricht er nicht.
Warum er das alles auch ohne bisher zum Militär eingezogen worden zu sein, macht? „Weil ich nicht will, dass meine Kinder diesen Krieg noch erben“, sagt er. Es sei schon schlimm genug zu sehen, dass es sein fünfjähriger Sohn als ganz normal empfinde, stets Kekse und Wasser mit im Schulranzen zu haben, falls er nach einem Raketenalarm in der Schule mal nicht wieder aus dem Luftschutzkeller herauskommt. Gefasst schaut Andrej an diesem Unabhängigkeitstag seines Landes auf das Bild seiner Kinder . „Wir müssen einfach weitermachen – und es schaffen“, sagt er mit fester Stimme.
Liegengebliebener Rettungswagen wird mit Hilfe aus Kürten wieder fit gemacht
Gute Nachricht vom liegengeblieben Rettungswagen: Thomas Migenda aus Kürten hat trotz Wochenendes eine Ersatzbatterie auftreiben können. So können der Anwalt und der Pfarrer am Sonntag doch noch zurück in Richtung Ukraine aufbrechen. Mit einem Rettungswagen bis unters Dach mit medizinischen Hilfsgütern vollgeladen.
„Ich melde mich, wenn ich wieder an der Front bin“, sagt er zum Abschied noch und bittet die Helfer, noch weitere Autos aufzutreiben. „Sie müssen nicht top in Ordnung sein“, sagt er, „Hauptsache der Antrieb ist noch in Ordnung und sie fahren zuverlässig, um alles andere kümmern wir uns. Ihr könnt uns helfen, Leben zu retten.“
Wer ein Fahrzeug oder einen Krankenwagen zur Verfügung stellen oder vermitteln kann, wird gebeten sich bei Norbert Kuhl von der Humanitären Hilfe Overath, 0170 / 350 30 40, oder Ulrich Gürster von der Humanitären Hilfe Bergisch Gladbach, 0179 / 458 24 44, zu melden.