Würglich?Die Rückkehr der Halsband-Mode

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Illustration: Frau mit Halsbandschmuck

Ein Hingucker: Choker liegen im Trend

Von den alten Ägyptern über Anne Boleyn bis hin zu Vivienne Westwood: Choker sind seit Jahrhunderten begehrte Accessoires. Derzeit liegt das enge Halsband wieder im Trend. Über ein Schmuckstück, das nicht immer nur der Optik diente.

Die Tudors sind immer für eine Geschichte gut. Über kaum ein anderes Herrschergeschlecht gibt es so viele Romane, Sachbücher, Verfilmungen und Dokumentationen. Eine der schillerndsten Figuren der englischen Dynastie ist jedoch nur angeheiratet: Anne Boleyn. Die zweite der insgesamt sechs Ehefrauen von König Heinrich VIII. galt als außerordentliche Schönheit mit ebenmäßigen Gesichtszügen, sehr dunklem Haar – und einem Schwanenhals, den sie auf besondere Weise zu betonen wusste: Sie trug mit Vorliebe extra weit ausgeschnittene Roben und ein Halsband mit einem „B“ für Boleyn als Anhänger. Ein berühmtes Porträt von ihr, das von einem unbekannten Künstler lange nach ihrem Tod angefertigt wurde, zeigt sie mit dieser eng anliegenden Kette, auch Choker genannt.

Anne Boleyn gilt damit als Prototyp der Trägerin eines ganz besonderen Schmuckstücks. Man muss nicht historisch bewandert sein, um ein großes „B“ an einer Kette sofort mit ihr in Verbindung zu bringen. Jeder Film, jede Serie über Heinrich VIII. und seine Frauen setzt dieses Schmuckstück in Szene. Möglich, dass sich Model Hailey Bieber davon inspirieren ließ: Die Ehefrau von Popsänger Justin Bieber zeigte sich in diesem Jahr auffallend oft mit einem großen „B“-Anhänger aus Diamanten. Allerdings baumelte dieser eher von einer lockeren Kette. Anne Boleyn als Choker-Queen ist damit also längst nicht entthront. Doch die Konkurrenz wächst stetig: Das Würgehalsband („to choke“ bedeutet „würgen“) liegt im Trend.

Es ist nicht das bequemste Schmuckstück.
Yvonne Markowitz,Schmuckexpertin

Stars wie die Schauspielerinnen Elle Fanning, Isabelle Huppert und Uma Thurman oder Model Rosie Huntington-Whiteley glänzten damit diesen Sommer bei den Filmfestspielen in Cannes und Venedig. Der Schweizer Luxusjuwelier Chopard hat eine eigene „Red Carpet Kollektion“, in der Choker ebenso Bestandteil sind wie in der „Return to Tiffany Kollektion“ von Tiffany & Co. Auf den Laufstegen präsentierte 2023 neben Dior unter anderem Louis Vuitton eng anliegende Ketten, auch für Männer. Und natürlich fehlte das Halsband nicht bei den Schauen von Vivienne Westwood. Die britische Designerin, die im vergangenen Dezember mit 81 Jahren starb, hat zu ihren Lebzeiten ganz entscheidend dazu beigetragen, dass die einst oft nur Königinnen und Adeligen vorbehaltenen Halsbänder zum begehrten – und letztlich auch für jedermann erschwinglichen – Modeaccessoire wurden.

Westwood wird zwar immer als Erfinderin der Punkmode beschrieben. Doch „punkig“ waren ihre Entwürfe im Grunde nur in ihrer Anfangszeit in den Siebzigerjahren, als sie damals noch zusammen mit ihrem Partner Malcom McLaren, dem Manager der Punkband Sex Pistols, mit Nietenschuhen, karierten Hosen mit Zierreißverschlüssen und Slogan-T-Shirts von sich reden machte. Schon bald orientierte sie sich verstärkt an historischer Kleidung, bevorzugt jener der Oberschicht. Sie zerlegte auf radikale Weise royale und adelige Garderobe, indem sie beispielsweise tragbare Kreationen mit Krinolinen und Korsetts schuf. Eine ihrer berühmtesten Kollektionen war die sogenannte Portrait Collection für die Herbst- und Wintermode 1990/1991. Auffälligstes Accessoire war der „Three Row Pearl Bas Relief Choker“, ein Halsband aus künstlichen Perlen mit einem Strassanhänger in Form von Westwoods Logo: einem Reichsapfel mit Kreuz und Saturnring.

Unvergessen: Das heute legendäre Geschmeide von Prinzessin Diana

Der immer noch erhältliche Modeschmuck wird vom britischen Traditionskaufhaus Harrod’s damit beworben, dass es sich nicht einfach nur um eine Kette handele, sondern um ein kulturelles Phänomen. Westwoods Choker löste tatsächlich eine modische Welle aus: Unechte Halsbänder wurden zum typischen weiblichen Accessoire der Neunzigerjahre, bevorzugt aus Stoff, Leder und Plastik. Dagegen nahm sich das heute legendäre Geschmeide von Prinzessin Diana, das sie 1994 bei einem Spendendinner trug, geradezu hochherrschaftlich aus: Der Perlen-Choker mit eingearbeitetem Saphir betonte den Ausschnitt ihres sogenannten Rache-Kleides, mit dem sie an dem Abend, als Charles in einem TV-Interview erstmals seine Affäre mit Camilla bestätigte, alle Aufmerksamkeit auf sich zog.

Mit dem Revival von Stilelementen der Neunzigerjahremode wurde vor zwei Jahren Westwoods Choker-Kreation plötzlich auf Tiktok gehypt. Influencerinnen und Models wie Bella Hadid, aber auch Stars wie Rihanna und Dua Lipa schmückten sich damit. Die Netflix-Serie „Bridgerton“, zeitlich angesiedelt in der ebenfalls halsbandaffinen Empire-Ära um 1813, befeuerte zudem den sogenannten Royalcore-Trend, bei dem Perlen-Choker nicht fehlen dürfen.

Seitdem hält die Begeisterung für das Halsband an. Im Unterschied zum Collier liegt es quasi auf dem Kehlkopf. Wenn man dort empfindlich ist, lässt man besser die Finger davon: „Es ist nicht das bequemste Schmuckstück, das man tragen kann“, weiß Yvonne Markowitz. Die Schmuckexpertin aus den USA hat mehrere Bücher über historischen Schmuck verfasst und entsprechende Ausstellungen in Museen kuratiert.

Aus dem Alpenraum stammt der deutsche Begriff Kropfband. Es gehört bis heute vielerorts zur Tracht, sollte früher aber vor allem die oft durch den Jodmangel in den Bergen entstandene Kropfbildung bei Frauen kaschieren. Doch das Halsband diente in der Vergangenheit nicht nur der Optik: Der Hals gilt gemeinhin als besonders verwundbar. Eng um die Kehle gewundene Amulette hatten daher schon in vorchristlicher Zeit bei Sumerern und Ägyptern eine symbolische Bedeutung: Sie sollten das Leben der Träger schützen. Bei Anne Boleyn hat diese Schutzfunktion versagt – Heinrich VIII. ließ sie bekanntlich enthaupten. Ihr Halsband ist bis heute verschollen. Es gibt jedoch das Gerücht, dass einige Perlen in der Imperial State Crown eingearbeitet sind. Annes Tochter Elisabeth I. trug sie bei ihrer Krönung, Elisabeth II. zu den Parlamentseröffnungen. (RND)


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