Auch viele Kölner Schüler lassen sich ihre Aufgaben jetzt von Chat GPT erstellen. Verbieten will das Schulministerium die KI dennoch nicht, sondern in den Unterricht einbeziehen.
Künstliche IntelligenzChat GPT an Kölner Schulen wird „Lernen und Prüfen radikal verändern“
Es ist ja nicht so, dass es in den Schulen an Herausforderungen mangelt: Die Digitalisierung und die Debatte darüber, wie guter digitaler Unterricht aussehen kann, steckt noch immer in den Anfängen. Lehrermangel und Unterrichtsausfall sorgen dafür, dass die Schulen am Limit arbeiten. Und jetzt steht die nächste Mega-Herausforderung ins Haus: Mit dem Computerprogramm Chat GPT ist die Künstliche Intelligenz (KI) quasi über Nacht in die Schulen eingefallen. Damit können Schülerinnen und Schüler nun mithilfe von KI ihre schriftlichen Hausaufgaben oder Referate erstellen lassen.
„Etwas, von dem viele ja durchaus schon mal gehört haben, dass es da draußen existiert, ist plötzlich in allen Schulen akut“, sagt Alexandra Habicher, Expertin für Digitale Lehre am Zentrum für LehrerInnenfortbildung der Uni Köln. Es sei nicht weniger als eine Revolution des Lernens und Prüfens, in die die Schulen jetzt gezwungen würden. Denn: Viele Aufgaben, die Schülerinnen und Schüler heute noch lösen sollen, werden so nicht mehr gestellt werden könne, weil die KI die Aufgaben quasi vollständig bearbeiten kann. Lehrkräften ist es nicht mehr möglich zu erkennen, ob der Schüler oder die KI die Leistung erbracht hat.
Schüler probieren Chat GPT schon eifrig aus
Wer sich in den Kölner Schulen umhört, dem wird bewusst: Während viele Eltern beim Wort Chat GPT noch ratlos mit den Schultern zucken, wird das Tool von den Schülerinnen und Schülern schon allenthalben eifrig ausprobiert: Elena Schneider geht in die Q1 auf ein Kölner Gymnasium. Beim Thema Globalisierung lautete im Englischunterricht die Aufgabe: Schreibe einen Essay über die britische Doku-Reihe „Blood, Sweat and T-Shirts“ aus Sicht eines britischen Reporters. Es sei wirklich erstaunlich gewesen, was da rausgekommen sei und wie gut das sprachlich war, erzählt die 16-Jährige, die eigentlich anders heißt.
Schneider hat den KI-Essay letztlich nicht abgegeben, sondern selbst geschrieben „Aber machen wir uns nichts vor“, meint Michael Wittka-Jelen, Leiter des Humboldt-Gymnasiums. Wenn der diesjährige Jahrgang der Oberstufenschüler der Q1 im März ihre großen Facharbeiten abgibt, dann werde die ein oder andere erstmals auch mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz von Chat GPT erstellt worden sein. Der Bot antwortet auf Fragen mit einem gut formulierten Text und liefert auch Gliederungen und Literaturlisten.
„Und es gibt aus dem Schulministerium derzeit noch keine Erlasslage, wie wir damit umgehen sollen, wenn wir das feststellen“, sagt Wittka-Jelen. Die Schulen hängen also in der Luft, da es noch keinerlei rechtliche Reglungen gibt, wie sie mit Chat GPT umgehen sollen. Ganz zu schweigen von ethischen und datenschutzrechtlichen Leitlinien.
Eine Nachfrage beim NRW-Schulministerium ergibt, dass die Dringlichkeit auch dort gesehen wird: Das Ministerium arbeite zurzeit mit Hochdruck an einer Handreichung zu dem Thema für die Schulen, die zeitnah versendet werde, heißt es dort. Was allerdings schon klar ist: Anders als teilweise in den Schulen in den USA , ist ein Verbot zur Nutzung von KI-Anwendungen in der Schule in NRW ausdrücklich nicht geplant.
Künstliche Intelligenz soll in den Unterricht integriert werden
„Das würde der zunehmenden Relevanz solcher Anwendungen mit Blick auf den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen zuwiderlaufen“, hieß es zur Begründung. Ganz davon abgesehen, dass es dann heimlich doch genutzt würde. Künstliche Intelligenz solle vielmehr in den Unterricht integriert werden. Schülerinnen und Schüler müssten lernen, KI-basierte Anwendungen im Unterricht kritisch auf Chancen und Risiken zu befragen, heißt es reichlich akademisch.
Wie das gehen kann, lässt sich zum Beispiel im Oberstufen-Deutschkurs am Montessori-Gymnasium beobachten: Dort testete Deutschlehrerin Christiane Deis mit ihren Schülerinnen und Schülern im Unterricht, wo Nutzen und Grenzen von Chat GPT beim literarischen Lernen liegen: Die Fragen zu Goethes „Faust“ gingen jeweils parallel an die Schüler und an Chat GPT. Wobei die Schülerinnen und Schüler sofort festgestellt hätten, dass sie sebst viel differenziertere Antworten etwa auf die Schuldfrage Fausts oder Gretchens geben konnten als Chat GPT, erläutert die Pädagogin. Auch unvollständige Aussagen oder Falschaussagen konnten die Lernenden ermitteln. „Sie haben festgestellt, dass die KI sich nur dann korrigiert, wenn man entsprechend nachzuhaken weiß. Und das setzt eben Vorkenntnisse voraus“, erläutert Deis den Lernprozess.
Genau das sei der richtige Weg, ergänzt Mechtild Wiesmann, ebenfalls Digitalexpertin am Zentrum für LehrerInnenausbildung der Uni Köln. Das Thema nicht totschweigen, sondern offen damit in der Schule reflektieren und Medienkompetenz vermitteln: „Woher bekomme ich Daten und wie nutze ich die KI so, dass sie mir wirklich weiterhilft? Das ist der Fokus.“ Man könne sich Anregungen holen, müsse diese aber kritisch hinterfragen. Und eben kompetente Fragen stellen.
Denn die Qualität des Ergebnisses hängt von der Genauigkeit der Eingaben ab. Wenn man diese immer weiter präzisiert, werden die Antworten immer genauer. „Wer präzise, spezifische Fragen stellt, der kann damit seine Texte ganz gezielt optimieren“, so Habicher – gerade die Facharbeiten. Zumal schon im Frühjahr eine neue Version von Chat GPT herauskommen soll, angeblich leistungsfähiger als die jetzige.
Es sei aber zu befürchten, dass KI wie schon Digitalisierung und Homeschooling die Bildungsungerechtigkeit noch weiter vergrößere, so Habicher. Die ohnehin guten Schüler werden durch so ein Werkzeug noch besser, weil sie kritisch damit umgehen können, schwache Schüler kopieren für die Hausaufgaben den von KI ausgeworfenen Text und lernen nichts. Gerade deshalb sei die Vermittlung von Medienkompetenz jetzt so zentral.
Klausuren müssen künftig anders gestellt werden
Im Übrigen wird der Einfall der Künstlichen Intelligenz in der Schule die Prüfungskultur reformieren. Das Bildungssystem muss sich nun gezwungenermaßen auf Veränderungen einlassen, die nach Ansicht der beiden Digitalexpertinnen Habicher und Wiesmann längst überfällig sind: Bis jetzt habe man digitales Wissen bei Prüfungen systematisch draußen gehalten. Unterricht bedeutete Wissensvermittlung und Klausuren fragten den Stoff ab, den die Schülerinnen und Schüler sich auf den Prüfungstermin hin im Kopf angeeignet haben. Solche Formen der klassischen Klausuren ergäben aus Sicht der Expertinnen aber künftig keinen Sinn mehr: Von Nöten seien komplexere und individuellere Aufgabenstellungen, die KI nicht einfach so beantwortet. „Es wird darum gehen, mehr den Lernprozess in den Blick zu nehmen und weniger das Ergebnis“, so Habicher.
Bei einer Klausur geht es derzeit beispielsweise meist darum, auf der Basis von im Unterricht erworbenem Wissen einen Text zu analysieren. Künftig würde man die Klausuraufgabe dann beispielsweise so stellen: Formuliere eine Aufgabe für Chat GPT und bewerte das Ergebnis im Hinblick auf bestimmte Kriterien. Auch andere Prüfungsformate wie etwa eine kollaborative Arbeit im Team als Klassenarbeit werden denkbar. „Wir müssen uns jetzt jedenfalls über Qualität und Art von Aufgaben ganz neue Gedanken machen“, sagt André Szymkowiak, Leiter des Gymnasiums Thusneldastraße in Deutz. Solche mit geringer Komplexität gingen jetzt nicht mehr – sonst lerne keiner was. Er findet, Schule muss an Veränderungen durch KI angst- und wertfrei rangehen und darin eine Herausforderung sehen.
Zumal KI gerade für die Lehrerinnen und Lehrer verheißungsvolle Entlastung bietet: Mit Chat GPT können sie Aufgaben und Arbeitsblätter erstellen lassen oder Lückentexte. Oder auch Escape-Rooms, in denen die Schüler sich auf kreative Art einen Inhalt erarbeiten müssen. Auch Lernmaterial für unterschiedliche Lernniveaus lassen sich mit Chat GPT ausarbeiten. Kein Wunder, dass Lehrerinnen und Lehrer gerade in Scharen die ersten digitalen Fortbildungen in der Netzgemeinde nutzen. Online-Barcamps wie #LernenmitKI oder digitale Angebote, die auf #twitterlehrerzimmer verbreitet werden, würden geradezu überrannt, hat man am Kölner Zentrum für LehrerInnenfortbildung beobachtet.
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