Social-Media-Trend EisbadenIm Freilinger See erlebt ein Warmduscher einen Kälteschock

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RRG-Redakteur Thorsten Wirtz mit Wollmütze und Badehose beim Verlassen des Freilinger Sees. In der Hand hält er ein Handy.

Schnell wieder raus: Beim ersten Versuch habe ich das Gefühl, dass meine Füße schockgefrostet werden – 1000 Nadeln stechen eiskalt zu. Mit dem Handy wollte ich übrigens ein Video machen, aber da war ich multitaskingmäßig völlig überfordert.

Was ist dran am Social-Media-Trend Eisbaden? – Ein Selbstversuch im sieben Grad kalten Wasser des Freilinger Sees bei Blankenheim.

Es gibt diese Sätze, da weiß man schon, während man sie spricht, dass man aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen wird: In der Redaktionskonferenz habe ich angekündigt, eine Reportage übers Eisbaden schreiben zu wollen. Winterschwimmer, das sind diese „Verrückten“, die auch in den kalten Monaten zwischen September und Mai in Teiche, Tümpel und Seen steigen, um aller Welt im Anschluss davon zu erzählen, wie toll dieses Gefühl ist, wie wohltuend für Körper, Geist und die Gesundheit allgemein.

Habe ich wirklich die Vokabeln „Selbstversuch“ und „ausprobieren“ laut ausgesprochen? Die Reaktion der Kolleginnen und Kollegen lässt leider keinen anderen Schluss zu. „Du weißt, wie kalt das ist?“, feixt eine Kollegin und misst zur Verdeutlichung eine ziemlich kurze Strecke mit Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand ab.

Herr Boning geht baden, und ich gehe mit

Dass ich überhaupt aufs Thema Eisbaden aufmerksam geworden bin, ist zunächst einmal den Sozialen Netzwerken zu verdanken: Immer wieder ploppen Beiträge von mehr oder weniger prominenten Zeitgenossen auf, die bei Minustemperaturen ins Wasser von Flüssen, Seen oder – wie Wahl-Eifeler Thomas D – ihres unbeheizten Außenpools steigen.

Der Komiker, Musiker und Fernsehmoderator Wigald Boning, dem ich auf Instagram folge, hat vor gut anderthalb Jahren damit begonnen, täglich schwimmen zu gehen. Er hat sich vom kalten Wasser Linderung für sein schmerzendes Schultergelenk erhofft, und obwohl sich diese bereits rasch eingestellt hat, hält er auch in den Wintermonaten an seiner Baderoutine unter freiem Himmel fest.

Inzwischen (Stand: 15. Februar 2024) sind es 594 Tage in Folge, an denen Boning ins Wasser gestiegen ist – und da sind nicht nur in seiner Heimat am Ammersee ein paar ganz schön kühle Tage dabeigewesen. Ich habe in einem Video gesehen, wie Boning mit einem kleinen Hammer ein Loch ins Eis haut, bevor er ins Wasser steigen kann.

Der Entertainer, der inzwischen ein Buch mit dem Titel „Herr Boning geht baden“ geschrieben hat, steigt auch dann ins kühle Nass, wenn er beruflich auf Tour ist. In Köln hat er unlängst ein Bad im Aachener Weiher genommen, vor wenigen Tagen stieg er in Duisburg in die Ruhr.

Eisbaden in der Eifel? Der Freilinger See zieht mich an

Da gibt es in der Eifel aber schönere Gewässer – den Freilinger See zum Beispiel. Aber gibt es auch hier Menschen, die bei Eis und Schnee oder novembrigem Nebel und Nieselregen ins Wasser gehen? Anruf beim neuen Freilinger Ortsvorsteher Karl Heinz Ramers: „Ich kenne nur Freilinger, die ab Mai schwimmen gehen“, berichtet der. „Aber jetzt im Winter?“ Fehlanzeige.

Die Eifeler halten sich also an die tradierten, an die normalen Badezeiten – aber wie sieht das auf der anderen Seite des Sees aus? Malin Fahs, die Auszubildende in der Zentrale des Eifel-Camps, hat sofort eine Idee. „Wir haben da eine Camperin, die ganzjährig baden geht – ich frage da mal nach“, verspricht sie.

RRG-Redakteur Thorsten Wirtz mit Bademantel und Wollmütze neben Winterbaderin Jutta Lorenz am Ufer des Freilinger Sees.

Eisbaderin Jutta Lorenz hat mich bei meinem ersten winterlichen Badeausflug am Freilinger See begleitet.

Noch am gleichen Tag meldet sich Jutta Lorenz bei mir. Die 61-jährige Sozialarbeiterin stammt vom Niederrhein, hat ins Saarland geheiratet und auf halber Strecke dazwischen eine Parzelle auf dem Campingplatz am Freilinger See gefunden und gepachtet. „Wenn ich hier bin, gehe ich jeden Tag ins Wasser“, berichtet sie. Und ja, sie nimmt mich gerne zum Baden mit.

Eins vorweg: Ja, ich bin Warmduscher

An dieser Stelle muss ich etwas vorausschicken: Ich bin Warmduscher. Ich habe relativ viel Geld für ein Gerät bezahlt, welches mithilfe des elektrischen Stroms das Wasser, das ich zum Duschen verwende, auf muckelige 41 Grad Celsius erwärmt. Und wenn ich dusche, mische ich kaum kaltes Wasser dazu. Ich scheue auch davor zurück, mir zum Abschluss des Duschvorgangs kaltes Wasser über Beine und Arme laufen zu lassen, wie es der olle Pfarrer Sebastian Kneipp und in dessen Nachfolge auch meine Frau empfehlen.

RRG-Redakteur Thorsten Wirtz steht bis zum Bauch im kalten Wasser des Freilinger Sees.

Was man auf diesem Bild nicht sieht: Ich war bis zur Brust im Wasser!

Meine Frau ist es, die mich am Tag des bevorstehenden Winterbads im Freilinger See weiter anstachelt: Als ich am Frühstückstisch ganz leise Zweifel äußere, ob ich angesichts des kühlen Wetters tatsächlich selbst in die kalten Fluten des Gewässers steigen werde, schimpft sie mich einen Feigling: „Deine Kollegin, die in der Zeitung immer über die Sportarten schreibt, die sie selbst ausprobiert, die würde das machen.“ Okay, mein männlicher und kollegialer Ehrgeiz ist geweckt. Ich werde das jetzt – Achtung: Wortspiel! – eiskalt durchziehen.

Tipp vom Profi: „Geh ruhig wieder raus, wenn es dir zu kalt ist“

Ich treffe Jutta Lorenz am See. Lufttemperatur: 6,5 Grad. „Das Wasser dürfte eine ähnliche Temperatur haben“, sagt Lorenz zur Begrüßung. Sie hat ein Badethermometer dabei, das sie zur Bestätigung in den See hält. Das Wasser ist sieben Grad kalt. „Es ist völlig okay, wenn du mehrere Anläufe brauchst. Geh ruhig wieder raus, wenn es dir zu kalt ist“, sagt sie.

Winterbaderin Jutta Lorenz kniet mit einem Thermometer am Ufer des Freilinger Sees. Sie trägt einen blauen Badeanzug und eine orangefarbene Badehaube.

Mit einem Badethermometer misst Jutta Lorenz die Wassertemperatur im Freilinger See: Sieben Grad.

Ich trage Badeschuhe an den Füßen, eine Mütze auf dem Kopf. Sie selbst hat Neopren-Handschuhe übergestreift. „Den Kopf sollte man im Winter nie untertauchen, und die Hände sind auch sehr kälteempfindlich“, erklärt meine „Bademeisterin“. Und: „Allgemein hilft es natürlich, wenn man sich regelmäßig kalt abduscht, um sich ans kalte Wasser zu gewöhnen.“ Die Information hätte ich früher... ach nee, hatte ich ja.

Vom sicheren Ufer aus schaue ich zunächst zu, wie Lorenz ins Wasser geht. Schnurstracks marschiert sie hinein, das sieht kinderleicht aus. Und ich höre auch keine spitzen, mädchenhaften Schreie. Entspannt steht sie da im See, das Wasser reicht ihr bis zur Brust. „Man muss schauen, ob man so weit rein geht, dass das Herz unterhalb der Wasserlinie ist“, sagt sie später, als es um ihre ganz persönlichen Tipps fürs Eisbaden geht.

Im dritten Anlauf klappt es dann doch noch

Dann bin ich an der Reihe. Beherzt schreite ich voran ins kühle Nass. Und nach fünf Sekunden gleich wieder raus: Das kalte Wasser sticht wie tausend Nadeln auf meine Füße ein. Möglich, das ein spitzer, mädchenhafter Schrei zu hören ist. Zweiter Versuch, auch nicht besser. Ich stehe zwar schon bis zu den Knien im Wasser, aber der Kältereiz an den Füßen ist mir zu heftig – also wieder raus.

Außerhalb des Wassers fühlt es sich jetzt gar nicht mehr kalt an. Meine Füße und die Beine werden rot und sind offenbar sehr gut durchblutet. Kurze Pause, der dritte Versuch. Ich gehe soweit hinein, bis mir das Wasser bis zur Brust reicht. Das löst ein beklemmendes Gefühl aus, weshalb ich den See verlasse. Die Kälte war aber jetzt ganz gut auszuhalten.

Jutta Lorenz gratuliert mir zur bestandenen Badetaufe. Sie selbst zieht ihr ganzjähriges Badeprogramm seit rund fünf Jahren durch. „Da war ich an Neujahr in Holland am Meer, und da gab es so ein Bade-Event“, berichtet sie. „Ich war aber schon als Kind eine echte Wasserratte – meine Mutter musste mich immer rausrufen, wenn meine Lippen blau wurden.“

Und welchen Effekt hat das Winterbaden für sie? „Es macht mich glücklich, man spürt danach die Endorphine“, erzählt Lorenz: „Und es ist natürlich auch etwas, auf das man stolz sein kann.“ Das kann ich nachvollziehen. Auch körperlich tue ihr das kalte Wasser gut: „Ich habe ein gutes Abwehrsystem und die Knochen und Gelenke fühlen sich für mein Alter noch gut an.“


Ein paar Regeln fürs Bad im kalten See

Eisbaderin Jutta Lorenz hat einige Regeln fürs Eisbaden formuliert:

1. Nie allein ins kalte Wasser: „Es kann immer etwas passieren, deswegen ist es gut, wenn jemand in der Nähe ist.“

2. Aufs Herz achten: „Mediziner sagen, dass Personen, die an Herz-Kreislauf-Störungen leiden, unbedingt Rücksprache mit ihrem Arzt halten sollen, ob das Kältetraining für sie geeignet ist. Auch Bluthochdruck-Patienten sollten zunächst abklären lassen, ob Eisbaden möglich ist.“

3. Vorher gut aufwärmen: „Die Muskeln sollten nicht kalt sein – ein kurzer, schneller Spaziergang reicht dafür schon aus.“

4. Ausrüstung: „Mütze, Handschuhe und Badeschuhe anziehen. Nie die Hände oder den Kopf unter Wasser tauchen und nachher sofort raus aus den nassen Sachen.“


Kaltes Wasser von Pfarrer Sebastian Kneipp bis „Iceman“ Wim Hof

Dass kaltes Wasser einen positiven Effekt auf Körper und Seele ausüben kann, diese Erkenntnis ist nicht neu: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte der katholische Pfarrer Sebastian Kneipp die nach ihm benannte Wasserkur bekannt.

Kneipp setzte verschiedene Wasseranwendungen wie Tauchbäder, Güsse und Wickel ein, um die verschiedensten Beschwerden seiner Zeitgenossen zu lindern. Der Kurort Bad Wörishofen entwickelte sich zum Zentrum der Kneipp-Bewegung, die auch in der Eifel zahlreiche Freunde fand. Gemünd, Daun und Manderscheid wurden zu Kneipp-Kurorten, in Bad Münstereifel hat der Verband Deutscher Kneippheilbäder und -kurorte noch heute seinen Sitz.

Der Niederländer Wim Hof setzt auf besonders kaltes Wasser. Der Extremsportler („The Iceman“) kombiniert Eisbaden und eine spezielle Atemtechnik. 

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