Die Schriftstellerin Husch Josten hat ein paar Fragen an mächtige Männer – rein zu Versuchszwecken. Ein Gastbeitrag
Gastbeitrag von Husch JostenAb mit den Hetzern auf die Psychologen-Couch
Napoleon und Wladimir Putin eint ein Maß. 1,68 Meter. Bei Napoleon wissen wir es dank des Kammerdieners Louis Constant Wairy genau: „Cinq pieds deux pouces trois lignes.“ Bei Putin ahnen wir es wegen seiner absatzstarken Schuhe und der offiziellen Angabe von 1,70 Meter: Keiner offiziellen Aussage Putins ist zu trauen. Er wird also kleiner sein.
Dass Napoleon klein gewesen sein soll, zu diesem Gerücht haben Porträts geführt, die ihn an der Seite größerer Wachleute zeigen. Tatsächlich war der General und Kaiser für seine Epoche „normal“ groß. Trotzdem hat der Psychologe Alfred Adler 1926 nach Napoleon einen Komplex benannt, der das Gefühl der Minderwertigkeit offenbar durch einen besonders starken Willen und Aggressivität kompensiert.
Eine niederländische Studie aus dem Jahr 2018 und zahllose andere haben Adler immer wieder bestätigt: Kleine Männer verhalten sich in Wettkämpfen und Konkurrenzsituationen im Allgemeinen aggressiver als große. Kleine Männer können großen Schaden anrichten. Kleine Männer können in ihrer Beharrlichkeit weit kommen – im Schlechten wie im Guten: Mahatma Gandhi maß 1,65 Meter, Wolodymyr Selenskyj kommt auf 1,70 Meter.
Trump ist das beste Gegenbeispiel für große kognitive Begrenztheit
Ein Kleingeist spaziert natürlich nicht zwangsläufig kurz geraten durch die Landschaft. Mit 1,90 Meter ist Donald Trump das beste Gegenbeispiel für große kognitive Begrenztheit. Aber die gefährlichen und kriminellen Machthaber unserer Zeit unter küchenpsychologischen Aspekten zu betrachten, erscheint angesichts der desolaten Weltlage immerhin einen Versuch wert. Ganze Generationen von Großmüttern haben vom Herd aus mit gesundem Menschenverstand oft zutiefst Wahres aus der Hüfte geschossen, geradezu beiläufig zwischen Kartoffelschälen und Äpfel einmachen den Kern eines Problems erkannt und aus rein menschlicher Erfahrung hochkomplexe Fragen in fassbare Dimensionen gemendelt, die differenzierte Denker – das ist nachvollziehbar – als naiv und zu begrenzt ablehnen müssen.
Trotzdem: Weil alles für alle zu viel geworden ist und kaum ein Normalbürger noch die Kraft findet, sich mit jedem einzelnen Konflikt unserer Zeit so differenziert und substanziell auseinanderzusetzen, wie es nötig wäre… Was spricht dagegen, sich für wenige Minuten vom Gebrüll und Gekeife, dieser „großen Gereiztheit“, wie Thomas Mann sie nannte, zu entfernen, gewissermaßen an Großmutters Konfliktherd zu stellen und – in aller Einfachheit – zu fragen: Wäre Trump in einer liebevollen, zugewandten Familie nicht zu einem bekömmlicheren Zeitgenossen herangewachsen? Wäre Putins Haltung zur Welt nicht eine andere, hätte seine Mutter ihn öfter gelobt und in den Arm genommen? Dreht sich der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern um die wirklichen Streitfragen oder ist er nicht – wie der israelische Psychologe Eran Halperin schon 2014 nahelegte – vor allem ein hochemotionales Problem von Angst und Hass?
Der Haken an der Sache: Eine Therapie muss man wollen
Nur zu Versuchszwecken seien diese simplen Fragen gestattet. Und wenn man sie mit „ja“ oder „mag sein“ beantwortete und sodann ratlos die Schultern zuckte – „ändert nichts am katastrophalen Ergebnis“ –, sei eine ebenso schlichte wie verzweifelte Anschlussfrage erlaubt: Wäre es dann nicht längst geboten, dass Staatschefs und Unterhändler bei sämtlichen Krisen- und Vermittlungsgesprächen von Psychologinnen und Psychologen begleitet würden? Von geschulten Mediatoren, die nicht aus politischem, sondern emotionalem Blickwinkel auf die bi-, tri-, multilateralen Auseinandersetzungen und die verkorkste Gefühlswelt der Protagonisten schauen, Fragen und Antworten dementsprechend formulieren?
Alles ist Psychologie – wie wir reden, wie wir handeln, wann wir an die Decke gehen, wann wir verstehen, bereuen, einlenken, zu Kompromissen bereit sind, unsere Fehler eingestehen können. Der Haken an der Sache: Eine Therapie muss man wollen. Man kann sie niemandem aufdrängen. Wären Putin, Trump und ihresgleichen bereit, sich freiwillig auf eine Couch zu legen – und sei sie ein enormer Besprechungstisch, die Welt sähe anders aus.
Aber auch dafür hatten Großmütter eine handfeste Lösung: Manchmal müssen Menschen zu ihrem Glück gezwungen werden. Die Barbarei unserer Zeit rechtfertigte das Mittel. Es muss doch, verdammt nochmal, irgendeinen klugen und überzeugenden Hebel geben, die Wahnsinnigen der Welt in ein schickes Schweizer Sanatorium mit enormen Konferenztischen und einer kleinen Armee friedfertiger Psychologinnen und Psychologen zu lotsen. Und wenn man schon dabei ist, könnte die Bundesregierung auch gleich Psychotherapie für alle aufgewühlten Rechts- und Linksradikalen im Lande verordnen. Denn die Frage ist hier wie dort dieselbe: Was ist denn eigentlich wirklich los in all diesen zornigen, verletzten, rasenden kleinen Herzen?
Zur Person
Husch Josten, geboren 1969 in Köln, ist Schriftstellerin. 2021 erschien ihr Roman „Eine redliche Lüge“. Die Historikerin und gelernte Journalistin erhielt 2019 den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. (jf)