Long-Covid-Betroffene aus dem Kreis Euskirchen berichten von der unsichtbaren und wenig erforschten Krankheit, die ihr Leben veränderte.
Long-CovidWie das Coronavirus das Leben verändert
Vor zwei Jahren hat Manuela noch als Erzieherin in einer Kita gearbeitet. Sie mochte ihren Job. Im Dezember 2021 infizierte eines der Kinder sie mit dem Coronavirus. Der Verlauf war milde. Trotzdem hat sich das Leben von Manuela, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung nennen möchte, vollkommen verändert. Seit mittlerweile 20 Monaten ist die Erzieherin krank geschrieben. Das Haus verlässt sie kaum noch. Ihr größter Wunsch ist es, wieder in der Kita arbeiten zu können. Doch ihr Körper lässt es nicht zu. Ihre Diagnose: Long-Covid.
Seit zwei Jahren hat Sarah (Name geändert) ihre Mutter nicht mehr besucht. Ihre Mutter lebt in Trier. Und die Autofahrt dorthin erfordere eine Aufmerksamkeit, die sie einfach nicht mehr habe, sagt sie. Sitzt sie am Steuer eines Autos, verlässt Sarah die Grenzen des Kreises nicht: „Vielleicht von Mechernich nach Euskirchen – dann ist aber Schluss.“
Ob Sarah sich jemals wieder ans Lenkrad setzen würde, war lange unklar. Vor zweieinhalb Jahren steckte sie sich mit dem Coronavirus an. Eine Genesung hat es für Sarah nie gegeben. Ihr Energielevel stagnierte: „Es war, als hätte man mir den Stecker gezogen.“ Ein ganzes Jahr verbrachte Sarah im Bett – meistens schlafend. Auch ihre Diagnose ist das Long-Covid-Syndrom.
Das Long-Covid-Syndrom ist bisher nur wenig erforscht
Doch bis es zu dieser Diagnose und vor allem zu deren Akzeptanz kam, war es für Sarah und Manuela ein langer Weg. „Am Anfang wusste keiner, was überhaupt los ist“, sagt Sarah. Weder sie selbst, noch die Ärzte wussten, womit sie es zu tun hatten – geschweige denn, wie es zu behandeln sei.
„Natürlich wusste das niemand, schließlich hatten über Nacht alle plötzlich mit einer komplett neuen Erkrankung zu tun“, sagt Sarahs und Manuelas Therapeutin Doris Linden-Schulz. In ihrer Praxis in Mechernich sitzen die beiden Long-Covid Patientinnen in tiefen Ledersesseln. Wem kalt ist, der bekommt eine Decke. Wer die Füße hochlegen möchte, der bekommt einen Hocker. Wer Durst hat, bekommt von Linden-Schulz ein volles Glas in die Hand gedrückt. Wenn jemand nach Hause möchte, begleitet die Therapeutin die Patientin.
Weil die Krankheit unberechenbar ist, müssen Pläne stets angepasst werden
Das hat überhaupt nichts mit Wellness zu tun. Es sei die einzige Art, mit Erkrankten umzugehen, sagt Sarah: „Long-Covid ist nämlich unberechenbar.“ Manchmal habe sie eine gute Stunde, gute zwei Tage vielleicht sogar. Aber ganz plötzlich könne das wieder vorbei sein. Sie müsse immer damit rechnen, dass sie im nächsten Moment ins Bett müsse und lange Zeit nicht mehr aufstehen könne.
„In der Gruppe werden wir gemeinsam lernen, was die Bedürfnisse erkrankter Menschen sind. Wir müssen ihnen zuhören und lernen, darauf einzugehen“, sagt die Therapeutin. Mit der Gruppe meint sie eine Selbsthilfegruppe für Long-Covid Patienten, die sie ab September leitet. Sarah und Manuela werden dabei sein. Für Menschen, die an etwas leiden, das Nicht-Betroffene weder sehen noch nachfühlen könnten, sei der Austausch mit anderen Betroffenen wichtig, sagt Sarah.
Die Patienten sind für ihre Erkrankung selbst die Experten
Denn auch, wenn es inzwischen Spezialkliniken für Erkrankte gibt: „Für unsere Krankheit sind wir die Experten.“ Jeden Tag sammelten Betroffene Erfahrungswerte darüber, was ihnen gut tut (zum Beispiel Atem- und Entspannungsübungen) und darüber, was ihnen nicht gut tut (zum Beispiel mehr als zwei Termine am Tag). „Mir haben außerdem die Reha-Maßnahmen nicht gut getan“, sagt Manuela.
Zu anstrengend war der Mix aus Vorträgen, Sport, Spielen und Ernährungsberatung: „Bei den Vorträgen bin ich immer eingeschlafen.“ Sport und Spiele waren für sie purer Stress. Es waren Maßnahmen, die auch nach anderen Erkrankungen angeboten werden, etwa einem Schlaganfall oder einer Depression. „Ich habe aber keine Depression – absolut nicht“, sagt sie und ist plötzlich aufgebracht. Als arbeitsunfähig wurde sie nach den Maßnahmen nach Hause geschickt. An einer Reha möchte sie heute nicht mehr teilnehmen.
Das Nervensystem der Betroffenen ist ständig überreizt
„Unser vegetatives Nervensystem ist einfach vollkommen übersteuert“, sagt Sarah. Das dürfe man nicht außer Acht lassen. Vor kurzem sei sie bei der Massage gewesen und selbst das sei schnell unangenehm gewesen. Als sie das angesprochen habe, habe die Physiotherapeutin gesagt: „Ihr Long-Covid-Leute seid alle so komisch. Kaum fasst man euch an, ist es schon zu viel.“ Ja, sagt Sarah: „Das stimmt.“ Körper und Geist könnten die Reize nicht in der Geschwindigkeit verarbeiten, in der sie auf sie einprasselten.
Sarah spricht leise. „Gerade merke ich, dass ich wieder abbaue“, sagt sie. Ihre Stimme bricht. Seit mehr als einem Jahr geht Sarah jetzt zur Logopädin. Ihre Stimme verschwand, weil sie das Sprechen kaum mit ihrer Atmung koordinieren konnte. Wenn es ihr schlechter geht, hört ihre Familie das an ihrer Stimme.
Die Familie kann ein Auffangnetz sein
Dass sie eine Familie als Auffangnetz haben, darüber sind Manuela und Sarah froh. „Weil auch die finanzielle Existenz auf dem Spiel steht, bin ich froh, einen guten Ehemann zu haben, der noch arbeiten gehen kann“, sagt Manuela. „Mein Sohn übernimmt einen Großteil der Hausarbeiten“, sagt Sarah. Doch der studiert inzwischen und ist nicht immer zuhause.
„Wenn ich mit der Arbeit alleine zuhause bin, dann verstecke ich sie vor mir selbst“, sagt Sarah. Sie schließt die Türen, um das Chaos nicht zu sehen, oder wirft eine Decke darüber. Zu sehr frustriere es sie, ständig sehen zu müssen, was sie alles nicht mehr schafft.
Die Patienten machen sich oft selbst Vorwürfe
„Die Patienten haben oft eine Erwartungshaltung an sich selbst“, erklärt Linden-Schulz. Die komme zustande, weil sie ihr gesundes Leben mit dem Leben mit der Erkrankung vergleichen. „Immer wieder denken sie, es müsste doch langsam mal besser werden. Und werfen sich selbst vor, dass sie noch nicht einmal Kleinigkeiten hinbekommen.“
Aber es sind nicht nur die Patienten selbst, die sich Vorwürfe machten. Auch Kollegen, Bekannte, manchmal sogar Fremde haben Sarah und Manuela schon darauf hingewiesen, dass sie sich doch „einfach mal zusammenreißen“ könnten. „Noch heute Morgen sagte eine Arzthelferin mir, es sei ihr nach einer Corona-Erkrankung auch schlecht gegangen. Sie hätte es dann aber einfach ignoriert“, sagt Sarah: „Ich kann es aber nicht einfach ignorieren.“ Ihre so sanfte und leise Stimme ist plötzlich ungewöhnlich laut.
Doris Linden-Schulz sagt, bei Long-Covid handele es sich um eine unsichtbare Erkrankung: „Und was die Leute nicht sehen können, können sie nur schwer nachvollziehen.“ Anders verhalte es sich etwa mit einem gebrochenem Bein. Dafür hätten die Menschen leichter Verständnis, schließlich könnten sie den Gips sehen. „Doch beim gebrochenen Bein weiß man: Irgendwann kommt der Gips ab.“ Wie lange es dauert, bis die Long-Covid-Erkrankung vorübergeht – und ob überhaupt, das wisse heute noch niemand. Sarah: „Und so lange wir noch im Dunkeln tappen, wünsche ich mir, dass man uns zuhört und uns ernst nimmt.“
Long-Covid-Selbsthilfegruppe
Im Kreis Euskirchen gibt es bislang keine Selbsthilfegruppe für Patienten mit Long-Covid-Erkrankung. Dabei verändert die Erkrankung oft das gesamte bisher gewohnte Leben. Patienten sind häufig neben der medizinischen auch mit der einhergehenden psychischen Belastung überfordert und fühlen sich von Umfeld, Krankenkasse und Ärzten allein gelassen.
Ab Samstag, 23. September, von 14.30 Uhr bis 16 Uhr haben diese Patienten Gelegenheit zum Austausch mit ebenfalls Betroffenen. Die Gesprächsgruppe trifft sich regelmäßig jeden vierten Samstag im Monat in Mechernich. Interessierte Betroffene können sich bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle Kreis Euskirchen melden, Telefon 02251/866 28 08. (kkr)