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Gewalt gegen FrauenPolitikerinnen sehen noch weiten Weg zum Schutz von Frauen

Lesezeit 4 Minuten
Ein neues Gesetz verpflichtet die Länder künftig dazu, ausreichend Schutz- und Beratungsangebote für Frauen zu schaffen, die von Gewalt betroffen sind. (Symbolbild)

Ein neues Gesetz verpflichtet die Länder künftig dazu, ausreichend Schutz- und Beratungsangebote für Frauen zu schaffen, die von Gewalt betroffen sind. (Symbolbild)

Ab 2032 sollen Frauen per Gesetz einen Anspruch auf Schutz vor Gewalt erhalten. Der Bund verspricht Milliarden Euro. Ist das ein Meilenstein oder eine Selbstlüge? Frauen im NRW-Landtag fordern mehr.

Nur Frauen ergreifen in der Aktuellen Stunde des NRW-Landtags das Wort, so als gehe Männer das Thema nichts an. Dabei sind Männer eigentlich die Hauptbeteiligten. Denn die Politikerinnen streiten über das jüngst von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gewalthilfegesetz zum Schutz von Frauen. 

Nach dem jüngsten polizeilichen Lagebild zur geschlechtsspezifischen Gewalt wurde 2023 bundesweit fast jeden Tag eine Frau von einem Mann getötet, weil sie eine Frau ist. 400 Frauen pro Tag wurden Opfer von Partnerschaftsgewalt. 

Fraktionsübergreifend herrscht Einigkeit bei den Frauen: Es müsse mehr getan werden für den Schutz von Frauen, Mädchen und Kindern vor Gewalt. Das sei auch eine Frage der inneren Sicherheit. 

Von Gewalt betroffene Frauen und Kinder haben mit dem von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Gesetz künftig einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung. Die Länder werden dazu verpflichtet, ausreichend Schutz- und Beratungsangebote zu schaffen. Sie erhalten dafür vom Bund zwischen 2027 und 2036 2,6 Milliarden Euro. Der Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung soll ab 1. Januar 2032 greifen. 

Meilenstein oder Selbstlüge?

Für CDU, Grüne und SPD im Landtag ist das Gesetz ein „Meilenstein“, aber die Hilfsangebote für Frauen müssten dennoch schneller ausgebaut werden. Die FDP sprach von einer „PR-Show“, die AfD von „Selbstlüge“. 

Auch Familien- und Gleichstellungsministerin Josefine Paul (Grüne) räumte ein, dass die Politik mit dem Gesetz noch längst nicht bei der Einlösung des Rechts auf ein gewaltfreies Leben angekommen sei. „Aber wir machen einen wichtigen Schritt.“ Straftaten gegen Frauen und Mädchen stiegen in allen Deliktbereichen - bei häuslicher, sexualisierter und digitaler Gewalt sowie auch beim Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung.

Bis der Rechtsanspruch gelte, stehe noch eine wirklich lange Zeit bevor, sagte die SPD-Abgeordnete Anja Butschkau. „Eine Zeit, in der Tausende Frauen Gewalt erfahren und in der sie Schutz und Hilfe suchen werden.“ Sie erwarte von der Landesregierung, dass sie jetzt Frauenhäuser, Beratungsstellen und Präventionsangebote ausbaue und nicht den 1. Januar 2032 zum Maßstab ihres Handelns mache. 

Zu wenig Geld für Schutz vor Gewalt

In vielen Kommunen stünden wegen leerer Kassen freiwillige Leistungen wie der Gewaltschutz aber zur Disposition. Ministerin Paul dürfe sich nicht mit Eigenlob überschütten. Auch bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen im Internet greife das Gewalthilfegesetz zu kurz. 

Die FDP-Abgeordnete Susanne Schneider bezeichnete die Debatte im Landtag als „reine PR-Show“. CDU und Grüne wollten sich „abfeiern“, täten aber bei der Hilfe für Frauen „nur das Mindeste“. Beim Gesetz drohe eine Finanzierungslücke und der Rechtsanspruch drohe ins Leere zu laufen, wenn immer noch Schutzplätze fehlten.

SPD: Parteien sind noch fähig zu Kompromissen

Wenige Tage vor der Bundestagswahl wiesen Rednerinnen aber auch darauf hin, dass es bei aller Uneinigkeit zwischen SPD, Grünen und CDU doch noch möglich sei, bei Themen von großer gesellschaftlicher Bedeutung zueinanderzufinden. „Das kommt dabei raus, wenn Konflikte von Frauen angepackt und gelöst werden“, sagte Butschkau. Grünen-Ministerin Paul pflichtete bei: Beim Gewalthilfegesetz sei es möglich gewesen, über die Parteigrenzen hinweg und auch zwischen Bund und Ländern aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu finden.

Wasser in den Wein goss die SPD-Politikerin Christina Kampmann. Es sei doch gerade die CDU gewesen, die im Bund noch verhindert hätte, dass auch Männer, Trans- und Interpersonen unter den Schutz des Gesetzes fielen. Knapp 30 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt in NRW seien 2023 Männer gewesen. 

In NRW gibt es nach Angaben der Landesregierung rund 700 Gewaltschutzplätze für Frauen, mehr als 740 Kinderplätze und etwa 20 weitere für Männer. Landesweit werden im bevölkerungsreichsten Bundesland 70 Frauenhäuser gefördert. Mit Stand Sommer 2024 gibt es fünf vom Land mitfinanzierte Schutzwohnungen für Männer.

Zu oft sind Plätze in Frauenhäusern belegt

Die Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer forderte einen weiteren Ausbau der Gewalthilfestruktur. Gewalt hinter der eigenen Haustür betreffe Frauen und Kinder auf dem Land und in der Stadt, junge und ältere Menschen, Reiche und Arme. Zu oft jedoch fänden Frauen keinen freien Frauenhausplatz. Die digitalen Übersichtskarten zeigen zu oft rote Symbole für „Kein Platz frei“. Zu oft trauten sich Gewaltopfer nicht, Hilfe zu holen. Die Scham sei zu groß. 

Auch die CDU-Politikerin Christina Schulze Föcking sagte: „Die Frauenhäuser in Deutschland sind überlastet.“ Jährlich suchten etwa 34.000 Frauen und Kinder Schutz. Sie erinnerte auch an das Leid der Kinder: „Sie sehen, wie die Mutter geschlagen wird, sie hören sie schreien. Sie spüren die Aggressionen, erleben unvorstellbare Ängste und fühlen die bedrohliche Atmosphäre.“ 

Paul: Gewalt gegen Frauen kennt keine Herkunft 

Die AfD-Abgeordnete Enxhi Seli-Zacharias warf CDU, Grünen und SPD eine „reine Selbstlüge“ vor. Sie verkauften das Gesetz als „historischen Tag“, obwohl Frauen in Deutschland jeden Tag Opfer von Gewalt würden. „Das ist kein Erfolg, das ist traurige Realität.“ 

Minutenlang zählte die AfD-Abgeordnete Gewaltdelikte nur von Männern mit Migrationshintergrund gegen Frauen auf. Ministerin Paul erwiderte: „Gewalt gegen Frauen und Mädchen kennt keine Herkunft, keinen sozialen Background und auch kein Alter. Das ist die traurige Realität vieler Frauen, die Gewalt in unserer Gesellschaft erfahren.“ 

Die SPD-Politikerin Kampmann warf der AfD vor, mit Absicht „wieder mal ganz viel menschenfeindlichen Unsinn“ zu verbreiten. „Jede Statistik sagt: Häusliche Gewalt ist kein Problem der Nationalität. Häusliche Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.“ (dpa)