In der Meister-Saison entschied Leverkusen reihenweise Spiele für sich in der Schlussphase. Diese Qualität ist ihnen abhandengekommen, wie das jüngste Unentschieden in Leipzig zeigt.
Fußball-BundesligaWirtz-Zauber ohne Ertrag: Leverkusen verliert sein Momentum
Unzählige Finten, dreimal Pfosten und doch nur ein Punkt: Florian Wirtz war nach seiner Gala bei RB-Leipzig ebenso enttäuscht wie sprachlos. Schnell noch das Trikot zu den Fans geworfen, dann trottete der 21-Jährige schweigsam und mit gesenktem Kopf in die Kabine von Bayer Leverkusen. Das 2:2 bei den Sachsen war nicht nur ein vermeidbarer Rückschlag im Kampf um die Meisterschaft, es fühlte sich vor allem an wie eine Niederlage.
„Das Ergebnis könnte besser sein“, gab sich Trainer Xabi Alonso noch diplomatisch. „Wir hatten genug Chancen, um mehr Tore zu schießen.“ In der Tat hatte Bayer zwei Optionen, das Spiel für sich zu entscheiden und den Rückstand zu Bayern München nicht auf sechs Punkte anwachsen zu lassen: Den 2:0-Vorsprung im Stile eines Meisters verteidigen oder eben mindestens eine der drei Großchancen nutzen.
Unnötige Unentschieden
Auf eine Meister-Diskussion wollte sich bei Bayer natürlich niemand offen einlassen. „Das ist nicht, wo wir zu viel Energie verschwenden sollten. Es sind noch viele Spiele“, sagte Sportchef Simon Rolfes. Es klang ein wenig nach dem einstigen „Bis Paris ist es noch weit“ von Jan Ullrich, wenn er bei der Tour de France mal wieder Zeit auf seinen großen Rivalen Lance Armstrong verloren hatte. Am Ende gewann der US-Amerikaner in Paris und in der Bundesliga deutet vieles auf die Meisterschaft der Bayern hin.
Aktuell bleibt der Eindruck, dass Bayer sein Meister-Momentum verloren hat. Gewann man in der vergangenen Saison reihenweise Spiele in der Schlussphase, gibt man nun unnötig Punkte ab. Ein 2:2 in Bremen im Oktober, ein 1:1 in Bochum im November. Nun binnen weniger Tage ein 1:2 bei Atlético Madrid und das Remis von Leipzig. Alles Spiele mit Gegentoren nördlich der 84. Minute. In diesem Zeitraum steht dem ein Sieg mit einem Last-Minute-Tor in der Königsklasse gegen Inter Mailand entgegen.
„Wir hätten das Spiel killen müssen“, sagte Nationalspieler Jonathan Tah. Gleich zwei dieser Kill-Momente vergab der überragende Wirtz - jeweils mit einem Schlenzer an den Pfosten. Durch Patrik Schick - Abstauber nach dem ersten von drei Wirtz-Pfostentreffern - und Aleix Garcia lag Leverkusen klar vorn, ein abgefälschter Freistoß von David Raum sowie ein Eigentor von Edmund Tapsoba sorgten für bescheidene Laune unterm Bayer-Kreuz.
Wirtz' mentaler Sprung
Das steht wiederum fast diametral zu dem, was Wirtz gerade auf dem Platz abliefert. Die Dribblings des Jungstars bekam Leipzigs Abwehr nie in den Griff, fielen unter die Kategorie Augenweide. „Was er da macht, ist schon Kunst“, sagte Bayer-Torwart Lukas Hradecky. Selbst Leipzigs Trainer Marco Rose war ganz entzückt: „Da waren vier, fünf Weltklasse-Aktionen. Es war ein Vergnügen, ihm zuzusehen und als Deutsche können wir uns glücklich schätzen, so einen Fußballer zu haben.“
Was in Spielen wie in Leipzig fehlt, ist der Ertrag des Zaubers. Bei der Entwicklung von Wirtz ist das aber sicherlich nur eine Frage der Zeit. Wichtiger dürfte den Bayer-Bossen die mentale Entwicklung des Zauberlehrlings sein, die rasant verläuft. Ließ er sich in der hitzigen Atmosphäre bei Atlético noch von seinen Emotionen leiten, blieb er in Leipzig fokussiert. Als ihn Willi Orban an der Seitenlinie provozierte, antwortete Wirtz auf seine Weise. Er spielte den Leipziger Abwehrchef kurz darauf schwindelig und bereitete die Führung vor. Da war die Laune noch prächtig. (dpa)