5 SituationenWann Kinder Eltern wahnsinnig machen und wie die damit umgehen können
Köln – „Du machst mich wahnsinnig!“ Eigentlich wollte man so etwas ja nie über sein Kind denken und schon gar nicht laut werden – doch dann explodiert man doch. Und wundert sich im Nachhinein, welche Furie da plötzlich zum Vorschein kam. Warum bringen uns Kinder immer wieder zu solchen emotionalen Ausbrüchen?
„Dass Kinder einen manchmal wahnsinnig machen, gehört dazu“, sagt Psychotherapeut Bastian Willenborg. „Eltern gehen dann plötzlich in die Luft oder werden ungerecht.“ Nicht jeder Vater oder jede Mutter aber flippe in den gleichen Momenten aus. Das sei absolut individuell. „Jeder Mensch hat sogenannte emotionale Trigger. Und Kinder schaffen es, diese Knöpfe zu drücken.“ Der Ursprung dieser Elterngefühle liege dabei oft in der Vergangenheit. „Eine Situation mit dem Kind kann die eigene Biografie aktivieren.“ Dann kämen Gedanken und Gefühle hoch, die das Elternteil in der eigenen Kindheit erlebt habe. „Hatte man damals in gewissen Situationen Angst und das eigene Kind befindet sich nun in so einem Moment, spürt man diese Emotionen von früher und reagiert stärker.“
Unerfüllte Bedürfnisse aus der eigenen Kindheit beeinflussen das Erziehungsverhalten
Oft habe das mit unerfüllten emotionalen Bedürfnissen zu tun. „Durfte jemand als Kind zum Beispiel nie sagen, wie es ihm geht, kann das den Umgang mit einem gefühlsstarken Kind im Heute beeinflussen.“ Habe man als Kind nicht gelernt, auch mal eigene Anliegen aufzuschieben, könne man es auch als Eltern nicht aushalten, schon wieder nachts für das Kind aufzustehen. „Wurden Bedürfnisse dagegen gut erfüllt, können Eltern besser damit umgehen, wenn sie einem Bedürfnis, zum Beispiel dem Wunsch nach Ruhe, nicht direkt nachgehen können.“
„Werden Eltern sich ihrer emotionalen Bedürfnisse klar, verstehen sie besser, warum sie in die Luft gehen“, sagt Bastian Willenborg, „schon dadurch kann sich ihr Verhalten ändern.“ Im Alltag sollten sie deshalb auch mal die Vogelperspektive einnehmen und sich bei der Erziehung beobachten. „Nach einem Ausraster kann man sich fragen: Was löst diese Situation in mir aus? Ist mein Verhalten angemessen oder kommt da Altes wieder hoch?“ Eltern könnten auch lernen, weniger auszurasten, indem sie schwierige Situationen im Kopf vorher durchspielen.
Fünf exemplarische Trigger-Situationen für Eltern – und wie sie gut mit ihnen umgehen können:
Situation 1 – Hausaufgaben stehen an oder es muss Gitarre geübt werden. Das Kind macht ein riesiges Drama, es schludert oder bockt. Irgendwann flippen die Eltern aus.
„Eltern, die das regelmäßig triggert, rate ich, zu überlegen, wie das früher bei ihnen selbst war. Wie wurden sie bei den Hausaufgaben unterstützt?“ Manchmal übernehme man ungefiltert eine frühere Lernerfahrung, etwa nicht raus zu dürfen, bevor die Aufgaben fertig sind. „Hat man selbst immer leicht gelernt, wird man vielleicht schnell ungeduldig, wenn das Kind ein riesiges Drama macht“, erklärt Willenborg. „Wenn ich selbst mir dagegen immer alles hart erarbeiten musste und mein Kind die Aufgaben schnell dahinhuscht, kommt die Angst, dass es zu unordentlich ist – dabei ist das Kind vielleicht einfach cleverer.“ Eltern sollten sich daran erinnern, dass sie nicht mehr selbst am Schreibtisch sitzen, sondern das Kind, mit all seinen Fähigkeiten.
„Viele Eltern üben hier auch deshalb Druck aus, weil sie ihre Kinder vor Konsequenzen schützen möchten“, sagt Willenborg, „dabei kann es auch wirksam sein, die Kinder erleben zu lassen, was passiert, wenn sie die Hausaufgaben nicht machen.“ Für manche Eltern sei gerade das schwierig. „Doch warum ist es ihnen wichtig, dass das Kind immer übt? Wollen sie, dass es unbedingt Abitur macht? Oder ist es ihnen peinlich, wenn der Lehrer nachfragt?“
Situation 2 – Das Kind soll sein Zimmer aufräumen oder das Katzenklo sauber machen. Nach mehrmaliger Aufforderung passiert nichts. Die Eltern explodieren.
„Auch hier kommt es unter Umständen wieder auf die Biografie an“, sagt Bastian Willenborg, „wenn man autoritär erzogen wurde, kann diese Situation einen auch deswegen triggern, weil das Kind einfach nicht gehorcht.“ Sei man dagegen antiautoritär aufgewachsen, tue man sich vielleicht schwer, Regeln zu formulieren.
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„Hauptproblem ist oft die Inkonsequenz der Eltern.“ Oft ließen sie den Kindern immer wieder etwas durchgehen und rasteten beim fünften Mal plötzlich aus – dann komme die Wucht der anderen Male gleich mit. „Ich rate, so wenige Regeln wie möglich einzuführen, aber die konsequent umzusetzen – am besten schon ab einem frühen Alter.“ Klappe etwas nicht, dürfe das direkt angesprochen werden. „Klappt etwas nie, erwarten die Eltern vielleicht einfach zu viel.“ Hier könne es helfen, das Kind in den Dialog nehmen.
Situation 3 – Alle müssen los: in die Kita, zur Schule, zur Arbeit. Die Kinder trödeln und kommen einfach nicht. Die Eltern brüllen irgendwann los.
Auch in einer solchen Situation sei wieder entscheidend, welche Sorge der Eltern dahinter stecke. „Ist es mir unangenehm, zu spät zu kommen? Hatte Pünktlichkeit in meiner Familie damals einen hohen Stellenwert? Ist da die Ungeduld der eigenen Mutter mit im Raum?“ Wenn man solche Gedanken von sich weghalte, könne man ruhiger bleiben. Es helfe auch, eine gewisse Toleranz dafür zu entwickeln, dass man eben ab und an zu spät komme.
„Natürlich können uns Zeitdruck und Stress enorm fordern. Aber wenn man selbst angespannt ist, überträgt sich das auch auf das Kind.“ Starte man etwas ruhiger, gehe es oft schneller als gedacht. „Kleine Kinder wollen ihre Schuhe oft alleine anziehen und brauchen dafür ewig. Da sollte man einfach mehr Zeit einplanen.“ Wenn es aber mal richtig eilig sei, müsse man das Anziehen eben übernehmen und vielleicht Geschrei in Kauf nehmen. Bei Grundschulkindern könne man auch schon an die Vernunft appellieren.
Situation 4 – Die Familie ist im Restaurant oder in der U-Bahn. Die Kinder sollen leise sein, albern aber laut herum. Mama und Papa pfeifen sie harsch zurecht.
„Verhalten sich die Kinder sozial unangemessen, kommt möglicherweise die Scham der Eltern heraus, sie wollen nicht auffallen“, sagt Bastian Willenborg. „Dabei schwingt vielleicht auch mit, wie wichtig den eigenen Eltern damals Benehmen und Höflichkeit war.“
Eltern sollten hier zunächst einmal prüfen, ob die Situation und das was sie von den Kindern erwarteten, auch altersangemessen und zumutbar seien. „Für ein Kleinkind ist ein feines Lokal vielleicht nicht die richtige Umgebung und es kann im Bus nicht unbedingt leise sein.“ Bei älteren Kindern könne man solche Situationen zuvor üben oder besprechen: „Mir ist es wichtig, dass wir im Restaurant essen und ich weiß, dass ihr das könnt.“
Situation 5 – Ein Elternteil kündigt an, in Ruhe etwas erledigen zu müssen. Nach fünf Minuten wollen die Kinder schon wieder etwas oder die Geschwister streiten. Mama oder Papa rasten aus.
„Zunächst hängt es vom Alter ab, ob ein Kind versteht, dass Papa seine Ruhe braucht. Dreijährige können das noch nicht“, sagt Willenborg. „Bei größeren Kindern darf man durchaus ärgerlich reagieren, wenn sie die Bitte der Eltern nicht respektieren.“ Fahre man aber total aus der Haut, sollte man wieder schauen, was dahinter stecke. Oft habe es mit der Tagesform zu tun, wie man reagiere. „Manchmal braucht man einfach Pause und Raum für sich und hat das Bedürfnis, dass niemand an einem zieht.“ Dann helfe es, mal aus dem Raum zu gehen oder zeitnah Betreuung zu organisieren.
„Und wenn man wirklich etwas Wichtiges erledigen muss und selbst schon an der Kante ist, dann ist es auch in Ordnung, mal die Medienzeit der Kinder zu verlängern. Denn letzten Endes ist ein Wutausbruch der Eltern schlimmer als ein bisschen länger iPad.“