Viele kleine Beiträge können aus Sicht von AOK-Regionaldirektor Helmut Schneider bei der Entlastung des Gesundheitssystems helfen.
Versorgung im Kreis EuskirchenWie AOK-Chef Schneider die Gesundheitskompetenz erhöhen will
„Wir müssen die Menschen aufschlauen.“ Das sagt Helmut Schneider, Regionaldirektor der AOK, die mit rund 65.000 Krankenversicherten rund ein Drittel der Bevölkerung im Kreis Euskirchen betreut. Was er damit meint? Die Gesundheitskompetenz der Menschen soll erhöht werden. Einen Arzt ersetzt das nicht, doch damit kann jeder einen kleinen Beitrag leisten, das hoch belastete und fragile System der medizinischen Versorgung ein wenig zu entlasten.
Das sagt er im Allgemeinen – und im Speziellen mit Blick auf die Veränderungen, die sich im Kreis nach der Schließung der Notaufnahme im Krankenhaus Schleiden ergeben: Auf den Rettungsdienst kommen dadurch mehr Einsätze zu, auf die Notaufnahmen, vor allem die im Kreiskrankenhaus Mechernich, mehr Patienten, ebenso auf die niedergelassenen Ärzte. Also auf alle, die ohnehin am Anschlag arbeiten. Geschehen kann dies aus Schneiders Sicht auf mehreren Ebenen.
Schneider: Prävention ist auch im Kreis Euskirchen die wichtigste Säule
Die mit großem Abstand wichtigste Säule ist für Schneider die Prävention. Und die beginnt für ihn bereits bei den Jüngsten. Idealerweise gibt es künftig durchgängige Konzepte von den Kitas über die Schulen bis zur Erwachsenenbildung.
„Themen wie Ernährung, Bewegung, Stressreduktion, die Vermeidung von Suchtmitteln und Nachhaltigkeit kann man auch kindgerecht vermitteln“, so Schneider. In den Kitas herrsche eine große Bereitschaft, dass Mitarbeiter sich entsprechend fortbilden und die Programme durchführen.
Doch dann? „In den Grundschulen wird es schwieriger, die Programme zu platzieren. In den weiterführenden Schulen wird es noch schwerer. Die Zeitbudgets werden einfach immer kleiner“, so Schneider. In Bonn stehe ein Pilotprojekt von Kitas bis zu weiterführenden Schulen kurz vor dem Start, sagt Schneider. Wenn das gut läuft, soll es großräumiger ausgerollt werden.
Er und seine Kollegen fordern, dass das Thema Gesundheit und Prävention in die Lehrpläne aufgenommen wird. Ein eigenes Fach Gesundheit müsse es ja nicht sein, da die Inhalte auf verschiedene Fächer, von Biologie über Sozialkunde bis hin zu Wirtschaft, verteilt werden können. Auch wenn dies immer wieder bei den Landespolitikern angesprochen werde, sei das doch ein ganz dickes Brett, das zu bohren sei.
Und eine wichtige Gruppe ist auch dann nicht abgedeckt. „Die Eltern zu erreichen, ist irre schwierig“, sagt Schneider. Die gehörten seiner Meinung dazu, wenn bei den Kindern entsprechende Projekte durchgeführt werden. In erster Linie blickt er da auf die „vulnerable Gruppe der sozio-ökonomisch Schwächeren“, die – das zeigten die Gesundheitsreports – tendenziell kränker seien.
„Dr. Google“ und die Kunst, im Netz verlässliche Informationen zu finden
Daran, zu recherchieren und sich selbst einen Überblick zu verschaffen, findet Schneider überhaupt nichts Verwerfliches. „Dr. Google haben wir doch alle schon genutzt“, sagt er: „Die Kunst ist aber, verlässliche Informationen zu finden.“ Gerade online seien viele unseriöse und kommerzielle Angebote zu finden, die für Schneider gerade beim Thema Krebserkrankungen bis hin zum Verwerflichen reichen.
Daher hat die AOK einen Flyer „Suchen und finden“ aufgelegt. Der ist laut Schneider in fünf Sprachen und an zahlreichen Stellen ausgelegt und enthält neben Tipps zu seriösen Internetseiten auch eine Checkliste, wie vertrauenswürdige – und damit im Umkehrschluss auch unseriöse – Inhalte im Netz zu identifizieren sind. Die Informationen sind auch auf der Homepage der AOK hinterlegt.
Wo muss ich hin? Viele Fälle gehören nicht in die Notaufnahme
Nein, ein seit drei Wochen bestehendes Zwicken im Rücken ist definitiv weder ein Fall für den Rettungsdienst noch für die Notaufnahme. Das leuchtet den allermeisten wohl ein. Doch es gibt ja die zahlreichen Fälle, die genau dann akut werden, wenn der Hausarzt eben nicht geöffnet hat. Und da gehört es für Schneider zur Gesundheitskompetenz zu wissen, wer der korrekte Ansprechpartner ist. Logisch: Alle akuten Notfälle, alles, das auf eine lebensbedrohliche Lage hindeutet, ist ein Fall für die 112, den Rettungsdienst, die Notaufnahme.
Doch für ganz viele andere Fälle ist eben der unter 116 117 erreichbare ärztliche Bereitschaftsdienst zuständig. Eine Nummer, die offenkundig immer noch nicht flächendeckend bekannt ist, für die auch Schneider wirbt. Und ja, auch dazu verbreitet die AOK ein Merkblatt, wer wann der richtige Ansprechpartner ist.
Eine Zuckersteuer könnte Helmut Schneider sich vorstellen
Die Gesundheitskompetenz der Erwachsenen zu stärken ist für Schneider und seine Kollegen eine schwierige Aufgabe. Gerade die, bei denen es am nötigsten sei, seien mit Appellen und Aufklärung kaum zu erreichen. Geht es übers Portemonnaie?
Bonussysteme haben die Krankenkassen bereits, etwa, was den Bereich den Vorsorge angeht. „Die haben aber nicht den durchschlagenden Erfolg.“ Und Malussysteme, etwa mit Aufschlägen bei Risikosportarten? „Das ist nicht zielführend“, sagt Schneider – abgesehen davon, dass das gesetzlich verankert werden müsste. Und: „Mit der Praxisgebühr hatte man es versucht, das hatte aber keine Steuerungswirkung.“ Eher das Gegenteil sei der Fall gewesen, da Menschen mit wenig Geld zuweilen bis zum nächsten Quartal gewartet haben und sich ihre Erkrankung bis dahin verschlimmerte.
Eines könnte Schneider sich vorstellen: „Eine Steuerungswirkung hätte eine Zuckersteuer.“ In Ländern wie Großbritannien, wo diese Abgabe, etwa auf Softdrinks, eingeführt worden sei, habe die Industrie auf den Umsatzrückgang reagiert und ihre Produkte verändert.
Ein Gesundheitszentrum in Schleiden könnte kurze Wege bieten
Die eine, große Lösung der Misere im Gesundheitswesen wird es nicht geben, solch ein Wolkenkuckucksheim baut niemand. Es werden wohl die vielen kleinen Puzzlestücke sein, die Wirkung zeigen. Ein mögliches davon hat Helmut Schneider (AOK) bereits in der Infoveranstaltung in Vogelsang zur medizinischen Versorgung im Schleidener Tal skizziert: die Idee eines Gesundheitszentrums in Schleiden. Auch das würde nur am Tag arbeiten und nicht die gewünschte Rund-um-die-Uhr-Versorgung bieten.
Doch für Schneider ist es ein Baustein der Versorgung, da es für die Patienten kurze Wege bietet und in vielen Fällen den gesamten Therapiezyklus abbilden kann. Zudem könne es interessante Arbeitsplätze bieten, da etwa Abrechnung, Organisation und Einkauf zentral erledigt werden.
Organisiert werden könne das nicht nebenher, für den Aufbau brauche es einen projekterfahrenen Netzwerker, der das Modell bedarfsgerecht entwickeln könne. Klar ist: Leute solchen Kalibers haben ihren Preis. Schneider: „Bei einer solchen Einrichtung darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass Kapitalinteressen dahinterstehen. Sondern nur, dass es um gute medizinische Versorgung geht.“
Abgesehen davon, dass er nicht davon ausgeht, dass ein derartiges Zentrum dicke, schwarze Zahlen schreiben könnte, blickt er beim Geld in Richtung Öffentliche Hand. Die Krankenkassen kommen laut Schneider nicht infrage, da sie weder Träger sein noch in derartige Organisationen investieren dürfen. Also der Kreis und die Kommunen: „Sie müssen dafür das Geld in die Hand nehmen.“ Wenig Hoffnung macht er, dass das mal flott gemacht sei. Auch wenn alle Beteiligten daran arbeiteten, gebe es noch keinen Zeitplan.