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Attila HildmannVegane Küche für Anfänger

Lesezeit 5 Minuten

Herr Hildmann, erinnern Sie sich noch an Ihren letzten echten Burger? ATTILA HILDMANN Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, das ist schon über 13 Jahre her. Auf jeden Fall trauere ich dem Geschmack nicht nach.

Weshalb haben Sie persönlich dem Fleisch entsagt? HILDMANN Es gab zwei einschneidende Ereignisse für mich. Mein Vater starb an einem Herzinfarkt, vermutlich auch deshalb, weil sein Cholesterinspiegel zu hoch war. Ich selber hatte damals 35 Kilo mehr als jetzt und einen hohen Cholesterinwert. Außerdem gab es gerade die Aufregung um BSE. Irgendwann habe ich mich dann gefragt, ob ich persönlich Tiere töten könnte, um sie zu essen. Die Antwort war nein.

Glauben Sie, dass rein pflanzliche Ernährung heilen kann? HILDMANN In meiner Vegetarierzeit war mein Cholesterinwert zeitweise noch schlechter als in meiner Fleisch-Zeit, weil in der klassischen vegetarischen Küche viel Käse und Sahne verwendet werden. Als Veganer verzichtet man auch auf diese Dinge. Wir haben gerade einen 30-tägigen Test mit 100 Probanden gemacht. Bei denen wurden Beschwerden wie Migräne oder Reizdarm deutlich besser. Im Schnitt nahmen alle fünf Kilogramm ab. Ein Diabetiker brauchte 40 Prozent weniger Insulin. Bei mir selbst ging die Akne von einem Tag auf den anderen weg. Heilen ist vielleicht zu viel gesagt, helfen kann vegane Ernährung aber definitiv.

Fühlen Sie sich manchmal komisch, wenn Sie auf einer Feier immer eine „Extrawurst“ brauchen?HILDMANN Ich kann jedem Veganer nur raten, sich am besten einen schönen Quinoa-Salat mitzubringen. Lasst die anderen probieren, und lasst sie vor allem in ihre Wurst beißen. Man sollte sich und andere nicht einengen, und auf keinen Fall anstrengende Grundsatzdiskussionen vom Zaun brechen. Oft fragen mich Veganer, wie sie sich verhalten sollen, Hauptsache nicht wie soziale Zombies, die allen den Appetit verderben.

Man kann also Veganer sein, ohne militant oder kompliziert zu sein?HILDMANN Das ist ja genau der Veganismus, für den ich stehe. Jahrzehntelang war die Bewegung ja wegen ihrer spaßbefreiten Vertreter und dem Sektengehabe eher abschreckend. Ich habe diese Ideologie bewusst durchbrochen. Für mich stand immer der Spaß am Essen im Vordergrund. Aus meiner Sicht muss niemand 100 Prozent vegan leben. Es reicht auch, wenn man langsam anfängt und hier und da noch ein gutes Stück Biofleisch vom Metzger einschiebt. Gerade auch wenn es um Protest gegen Massentierhaltung geht, bringt es mehr, wenn viele Menschen kleine Schritte tun, als wenn einige von jetzt auf gleich zu Hardcore-Veganern werden.

Wie bringen Sie einen eingefleischten Normalesser dazu, sich vegan zu ernähren?HILDMANN Es gibt hochwertige pflanzliche Eiweißprodukte wie etwa Tofu, aus denen man wunderbar eine Bolognese oder eine Frikadelle machen kann und die wie das Original schmecken. Für Anfänger oder solche, die nicht auf den Fleisch-Geschmack verzichten wollen, eine gute Alternative.

Der Vegane Vorratsschrank

Welche Zutaten gehören in den veganen Vorratsschrank?HILDMANN Weißes Mandelmus ist ein wunderbarer Sahne-Ersatz. Es ist ein tolles Naturprodukt und enthält viel Kalzium. Dann gehören Nüsse und Samen zu einem leckeren Salat für mich einfach dazu. Aus Tofuprodukten lässt sich viel machen, außerdem Quinoa. Das ist ein glutenfreies Pseudo-Getreide, das aus Südamerika stammt. Es enthält viel mehr Mineralien als andere Getreide und ist glutenfrei. Statt Ei empfehle ich für Kuchen gequetschte Bananen oder Apfelmus, zusammen mit Sojamehl sorgen beide für gute Bindung. Auch Amaranth, das Kraftkorn der Inka, ergibt zusammen mit Obst und Sojajoghurt ein leckeres Frühstück, das sogenannte Amaranth-Pop.

Veganismus scheint gerade jetzt richtig in zu sein. Welche Rolle spielt der Pferdefleisch-Skandal?HILDMANN Ich habe eine Chronologie der Lebensmittelskandale seit BSE gesehen. Da sieht man, dass eigentlich alle drei Monate irgendetwas in den Medien war, also ein permanentes Hintergrundrauschen. Ich glaube also nicht, dass der aktuelle Skandal unbedingt ursächlich ist, Veganismus in den Mainstream zu rücken. Je entspannter die Protagonisten auftreten, umso besser, denn es nützt gar nichts, den Leuten ein schlechtes Gewissen zu machen. Sie sollen einfach neugierig werden und selbst herausfinden, dass gutes Essen auch ohne Tier geht.

Fühlen Sie sich auf einer Mission wie etwa Jamie Oliver, der das englische Essverhalten von Grund auf reformieren möchte?HILDMANN Nein, mir ist eigentlich scheißegal, was andere tun. Jeder kann essen, worauf er Lust hat. Veganer auf dem Missionierungstrip empfinde ich als anstrengend und nervtötend. Aber Tatsache ist, dass zu viel rotes Fleisch das Darmkrebsrisiko erhöht. Ich versuche nur Antworten zu geben auf die Frage: Wie kann ich mich genussvoll ohne Tierprodukte ernähren?

Ist vegane Ernährung eher Frauensache? HILDMANN Ich registriere immer mehr männliche Interessenten. Für mich selber war Fleisch früher auch so ein Männlichkeitssymbol, wenn es beim Grillen etwa darum ging, wer das größte Steak bekommt. Inzwischen weiß ich, dass das pubertärer Quatsch ist. Aber genau deshalb versuche ich durch mein Erscheinungsbild zu signalisieren: Kerle, auch ohne Fleisch kann man einen guten Körper haben. Ich fühle mich jedenfalls wohler mit cholesterinfreien Arterien. Obst und Gemüse sind außerdem gut für die Potenz.

Apropos, was grillt der Veganer?HILDMANN Wer noch den Geschmack einer echten Bratwurst auf der Zunge hat, für den sind Sojawürste wohl eher nichts. Ich empfehle Buletten aus Quinoa oder Räuchertofu mit frischem Gemüse, aufgespießt als Schaschlik mit einer köstlichen Marinade.

Das Gespräch führte Lioba Lepping