Tropfsteinhöhlen in NRWGeheimnisvolle Entdeckungsreise in die Unterwelt
Manchmal fühlt sich Stefan Niggemann wie der erste Mensch auf dem Mond. Dann setzt er vorsichtig Fuß um Fuß auf einen Boden, den vor ihm noch niemand betreten hat, und schaut sich seine Fußspuren im Lehm an. „Das ist ein Erlebnis, das Sie sonst nirgendwo auf der Erde mehr haben können.“ Eines, das die kalten Füße und zerschundenen Hände rechtfertigt, die klammen, lehmverschmierten Klamotten und die zahlreichen blauen Flecken, die ihm der Abstieg in die Tiefe beschert.
Unterwegs mit Höhlenforscher Stefan Niggemann
Stefan Niggemann, ein Mann von Ende 50 und promovierter Geologe, ist Höhlenforscher. Schon als Kind zog es ihn in Schlupfwinkel und dunkle Gänge. Er baute sich Höhlen aus Decken, Matten und Kissen und suchte mit dem Fernglas die Kalksteinbrüche gegenüber seines Elternhauses im sauerländischen Letmathe nach Löchern im Fels ab.
„Mit elf oder zwölf fiel mir ein Kinderbuch über Höhlen in die Hände“, erinnert er sich. „Danach war klar: Das wollte ich auch machen.“ Nachschauen, was sich unter der Oberfläche der Erde verbirgt. Vordringen in Welten, die noch niemand vor ihm gesehen hat.
Dechenhöhle: Einziges Höhlenmuseum in NRW
Seit 2006 ist Niggemann Geschäftsführer des einzigen Höhlenmuseums in NRW und der benachbarten Dechenhöhle in Iserlohn-Letmathe. Die wurde 1868 durch Zufall beim Bau der Eisenbahnlinie von Hagen nach Iserlohn entdeckt. Zwei Bauarbeitern war ein Hammer in eine Erdspalte gerutscht. Als sie das verlorene Werkzeug herausholen wollten, entdeckten sie ein unterirdisches Zauberland, das aussah wie aus Eis gemacht.
Glitzernde Welten entdecken
Glitzernde Zapfen, die aus dem Boden und von der Decke wuchsen. Meterhohe Wände, die feucht im Schein ihrer Lampen glänzten. amellen aus Kalzit, die leise tönten, wenn man mit der Hand dagegenschlug. „Diese neue Höhle übertrifft an Schönheit der Tropfsteingebilde, an Zahl der Kammern und gewölbten Säle alles, was bis jetzt entdeckt wurde“, schwärmte der Naturforscher Johann Carl Fuhlrott, der das gerade entdeckte Naturwunder 1869 besichtigte.
Beliebtes Ausflugsziel Tropfsteinhöhle
Eineinhalb Jahrhunderte später ist die Tropfsteinhöhle oberhalb des Grüner-Bach-Tals ein beliebtes Ausflugsziel für Familien und Schulklassen. LED-Lampen tauchen die hohen Wände in farbiges Licht. Von der Decke hängen armdicke Stalaktiten, von denen stetig das Wasser tropft. Es gibt stille kleine Seen und eine Bühne, auf der gelegentlich musiziert wird.
Höhlensysteme von 30 km Länge?
Die Dechenhöhle gehört, wie man inzwischen weiß, zu einem weit verzweigten, bis heute nicht zur Gänze erforschten Höhlensystem, welches das Kalksteingebirge zwischen Hagen und dem Hönnetal bei Balve durchzieht und es in seinem Inneren ein wenig aussehen lässt wie einen Schweizer Käse. „Wir kennen bislang nur einen Bruchteil der realen Höhlengänge“, sagt Niggemann. „Es könnte ein Höhlensystem von 30 Kilometern Länge existieren. Leider sind viele Verbindungen zwischen den einzelnen Höhlen durch neu entstandene Täler gekappt worden. Jetzt arbeiten wir daran, diese Verbindungen zu finden.“
Nirgendwo sonst in NRW gibt es so viele Karsthöhlen wie im nördlichen Sauerland und im angrenzenden Bergischen Land, wo vor rund 380 Millionen Jahren ein flaches Meer die Landschaft bestimmte. Und nach seinem Verschwinden gewaltige Kalksteinvorkommen, durchsetzt mit versteinerten Muscheln, Schwämmen, Seelilien und Korallenstämmen hinterließ.
Die Region gehört zu den höhlenreichsten Gebieten Deutschlands. Geschaffen wurde die geheimnisvolle Unterwelt von einsickerndem Grundwasser, das sich beharrlich durch den vergleichsweise weichen und wasserdurchlässigen Kalkstein fraß. Und im Laufe von Jahrmillionen ein Netzwerk aus Gängen und Höhlen schuf.
Höhlenbären, Riesenhirsche und Waldnashörner
Hier lebten einst Höhlenbären, Riesenhirsche und Waldnashörner. In der Balver Höhle wurde 1938 der mehr als vier Meter lange Stoßzahn eines Wald-Elefanten gefunden. Vielleicht gehörte das wertvolle Stück Elfenbein, das wenige Jahre später verloren ging, ja auch einem Mammut. In der Kluterthöhle in Ennepetal fanden sich Keramikscherben aus dem 11. Jahrhundert. In der Sonderhorst-Spaltenhöhle stieß man auf Relikte aus der Bronzezeit.
Immerhin: Knapp 1000 der unterirdischen Schatzkammern in NRW sind inzwischen bekannt. Was nicht zuletzt Männern wie Stefan Niggemann zu verdanken ist. Der erinnert sich noch gut an die Entdeckung der nahe gelegenen Hüttenbläser-Schachthöhle am 31. Dezember 1992.
An jenem eiskalten Donnerstag sei er mit der „Speläo-Gruppe Letmathe“ vom „Verein für Höhlenkunde in Westfalen“ unterwegs gewesen. „Wir sind oben an der Kante durch den Wald gegangen und haben gezielt danach geguckt, ob irgendwo Dampf aus dem Boden aufsteigt.“ Der „Atem“ einer Höhle ist nur an frostigen Wintertagen zu sehen, wenn die aufsteigende warme Höhlen mit der um etliche Grad kälteren Außenluft zusammentrifft.
Schließlich sei man fündig geworden. Niggemann strahlt noch heute, wenn er daran denkt. „Aus einem Loch im Boden stieg eine große Dampfsäule auf. Sie sah aus wie ein Kraftwerksturm. Wir haben ein paar Steine beiseitegeräumt. Plötzlich polterte es. Eine Öffnung wurde frei , und wir konnten runtersteigen.“ Das Höhlensystem ist 4,5 Kilometer lang und liegt in rund 40 Meter Tiefe. Öffentlich zugänglich ist es nicht.
Kluterthöhle zählt zu den 15 größten Höhlen in Deutschland
Andere Höhlen wie die Klutert-, die Balver-, die Heinrichs- und die Bilsteinhöhle gehören längst zu den Attraktionen des Sauerlandes. Die fast sechs Kilometer lange Kluterthöhle, die zu den 15 größten in Deutschland zählt – und während des Zweiten Weltkriegs als Luftschutzraum genutzt wurde –, bewirbt sich derzeit um die Anerkennung als „nationales Naturmonument“. Den Innovationspreis „KulturReiseLand NRW“, verliehen vom Dachverband „Tourismus NRW“, hat sie bereits 2018 erhalten.
Auch die NRW-Stiftung „Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege“ weiß um das touristische Potenzial der Höhlen. Sie hat in den vergangenen Jahren gleich mehrere Projekte gefördert, unter anderem Felsensicherungsarbeiten in der Balver Höhle und die Einrichtung des Deutschen Höhlenmuseums. Die Heinrichshöhle in Hemer hat eine neue Lichtanlage bekommen. Das Bärenskelett, das hier gefunden wurde, konnte mit Hilfe der Stiftung restauriert werden.
Niggemann ist dankbar für solche Initiativen. „Höhlen haben in Deutschland keine große Lobby“, klagt er. Zwar zeigten Biologen, Archäologen und Klimaforscher zunehmend Interesse an den verborgenen Welten im Inneren der Erde. „Aber es gibt keine staatlichen Institutionen, die sich um die Erforschung und den Schutz von Höhlen kümmern.“ Das bleibe weitgehend organisierten Höhlenforschern überlassen. Männern wie Niggemann eben.
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