Lundahl & Seitl in BonnFaszinierende Kunstreise durch virtuelle Erinnerungen
„Du hörst das Seehaus-Gemälde“, ploppt es auf dem Bildschirm auf, und tatsächlich quillt dann gleich das Meeresrauschen an unser Ohr. Ein geheimnisvoller „Sammler“ navigiert den „Besucher“ via Textnachrichten auf dem Smartphone durch die Ausstellung – gerade stehen wir vor Paul Adolf Seehaus’ nächtlichem „Leuchtturm mit rotierenden Strahlen“ – und spielt zu jedem Werk eine kleine Komposition aus Geräuschen auf unsere Kopfhörer.
Während die Wellen sanft an der Küste zerbrechen, nähern sich die Schritte eines anderen „Besuchers“, und dann fragt der „Sammler“ wieder via Smartphone nach: „Hörst du den Klang des Mondes?“
Schwedisches Künstlerduo Christer Lundahl und Martina Seitl
Im Kunstmuseum Bonn lässt das schwedische Künstlerduo Christer Lundahl und Martina Seitl die Tradition des Spaziergangs mit Künstler wieder aufleben, wenn auch in multimedialer Form. Beide haben ein knappes Dutzend Werke aus der hauseigenen Sammlung in einen Saal gehängt, dazu einen fiktiven Dialog geschrieben und zu jedem Werk eine eigene Klangcollage komponiert: Durch Max Ernsts „Grätenwald“ fegt ein magnetischer Sturm, bei Stephan Hubers Gebirgsmodellen schmelzen gurgelnd die Gletscher ab, und vor Hubers Landkarte einer „Geografie der Liebe“ schlägt das Herz wie verrückt im Leib.
Multimediale Reise
Aber das ist nur das Vorspiel, „bald wird alles Sinn ergeben“, verspricht der Sammler per Textnachricht und lotst uns zu einer verborgenen Tür. Hinter dieser sollen wir zu den Kopfhörern noch eine blickdichte Brille aufsetzen und den Smartphone-Bildschirm in eine Tasche vor unseren Augen stecken.
Es ist ein Virtual-Reality-Aufsatz, doch betreten wir mit ihm keine andere Welt, sondern holen die Bilder der Ausstellung noch einmal zurück – oder zumindest will uns die Stimme in unserem Ohr dazu animieren. Während wir uns, ein dezentes Farbenspiel vor Augen, blind vorantasten und die Geräusche aus dem Vorraum wiederkehren hören, erinnern wir uns an die Aufforderung, uns alle Werke ganz genau einzuprägen.
Erinnerungen sind stets subjektiv
Und jetzt, stellt sich heraus, geht es darum, inwiefern wir uns die gerade gesehenen Kunstwerke vergegenwärtigen können und welche inneren Bilder wir von ihnen mit nach Hause nehmen. Oder anders gesagt: Lundahl & Seitl bringen uns die Erkenntnis nahe, dass Erinnerungen stets subjektiv und durch Umwelteinflüsse gefärbt und damit auch nur eine andere Form von virtueller Realität sind.
Meditationsübungen im Museum
Das klingt komplizierter, als sich dieses Kunsterlebnis anfühlt. Eine beruhigende Stimme sagt „Du bist im Berg“, „Du bist in deinem Körper“, das Ganze hat etwas von einer Meditationsübung oder auch – ausreichende Besucherzahlen vorausgesetzt – von Pogo-Tanz in Superzeitlupe. Einmal wird man ermuntert, sich die eigene Hand vor die Augen zu halten: „Siehst du die Schatten deiner Hand?“, und tatsächlich bildet man sich beinahe ein, durch den Lichtschein vor den Augen hindurch etwas zu erkennen. Eine Neigung zu psychotischen Schüben wäre jetzt sicher hilfreich, um das Erfahrungspotenzial der Ausstellung voll ausschöpfen zu können. Aber auch so ist es ein Erlebnis, das man nicht missen möchte.