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RätselLösen macht glücklich

Lesezeit 5 Minuten

Unser Gehirn will Unvollständiges vervollständigen – auch bei Rätseln wie den Sudokus.

Es gibt sieben Häuser, in jedem Haus wohnen sieben Katzen. Jede Katze frisst sieben Mäuse, von denen wiederum jede sieben Kornähren gefressen hat. In jeder Ähre sind sieben Samen. Wie viele Objekte sind es?“ Auch wenn es so aussieht: Das ist keine Mathematik-Aufgabe aus einem Schulbuch, sondern vermutlich eines der ältesten Rätsel der Welt. Der schottische Ägyptologe Alexander Henry Rhind fand es 1858 auf einer ägyptischen Papyrusrolle, die etwa aus dem Jahr 1650 vor Christus stammte. Und da der altägyptische Rätselverfasser Ahmes freimütig zugab, er habe es aus einer noch älteren Quelle abgeschrieben, darf man wohl annehmen, dass das Rätsel fast 4000 Jahre alt ist.

Kein Zweifel. Rätsel faszinieren uns Menschen – immer schon und immer noch. Keine Tageszeitung, keine Zeitschrift, die heute für ihre Leser nicht zum Zeitvertreib Kreuzworträtsel oder Sudokus abdruckt. Rätselhefte stehen wie selbstverständlich im Kiosk neben Mode-Hochglanzblätter und Nachrichtenmagazinen. Längst ist das Rätsellösen auch nicht mehr nur das banal wirkende Hobby sonderlicher Menschen und älterer Herrschaften. Die Rätsel-Fangemeinde wird in Deutschland immer größer und – dank der, gemessen an Rhinds Papyrusrolle, neuen Rätselarten wie Sudoku – auch jünger.

Evolutionärer Drang, Erklärungen zu schaffen

Doch was fasziniert uns an der Raterei, die für einen Außenstehenden vielleicht wie eine eintönige Wissensabfrage im Kästchen-Raster erscheinen mag? „Menschen haben schon immer die Tendenz gehabt, Rätsel zu lösen“, sagt Diplom-Psychologe Christof Schuster aus Stuttgart. „In uns steckt ein evolutionärer Drang, Erklärungen zu schaffen, Lösungen zu finden und so der Welt einen Sinn zu geben.“

Auch Deutschlands bekanntester Rätselmacher Stefan Heine erklärt sich die stete Nachfrage nach Rätseln mit der „uns innewohnenden Neugier, Rätsel lösen zu wollen, um neue Dinge zu entdecken.“ Unter anderem das unterscheide den Menschen ja auch vom Tier. Darüber hinaus aber reiße uns das Lösen etwa eines Sudokus oder eines Buchstabenrätsels für einen Moment völlig aus dem Alltag heraus und ermögliche uns regelrecht abzutauchen. Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum Heine selbst inzwischen nicht nur Rätsel macht, sondern auch leidenschaftlich gerne löst. „Ich habe nicht mein Hobby zum Beruf gemacht, sondern mein Beruf ist zu meinem liebsten Hobby geworden“, erklärt der 43-jährige Hamburger, der mit dem Team Deutschland amtierender Sudoku-Weltmeister ist.

120 Rätselarten

Was Heine und ein Freund ursprünglich mit einem Kummerkasten - und Horoskop-Service für Anzeigenblätter begonnen hatten, hat sich im Laufe der Jahre zu einem Rätselservice entwickelt, der landauf, landab rund 350 Zeitschriften und Tageszeitungen mit Rätseln nahezu jeder Art beliefert.

„Wir haben 120 verschiedene Rätselarten im Programm“, erklärt Heine. Buchstabenrätsel, Personenrätsel, Zahlenrätsel, Um-die-Ecke-gedachte Rateaufgaben und, und, und – und eben auch „klassische“ Kreuzworträtsel. Die so zu kreieren, dass ältere und jüngere Rater gleichermaßen auf ihre Kosten kommen, ist ein gar nicht so leichtes Unterfangen. „Wer von den jungen Leuten kennt schließlich heute noch inzwischen verstorbene Showmaster wie Hans Rosenthal?“, so Heine. Erst nach einer gewissen Bedenkzeit habe es deshalb auch Eurovision-Song-Contest-Gewinnerin Lena in den Fragekatalog der Kreuzworträtsel geschafft. Warum im selbigen aber immer noch ausgerechnet der „Apostel der Grönländer“ und ein südamerikanisches Nagetier auftauchen, mag für den Rater vielleicht ein Rätsel sein, für den Macher aber sind „Egede“ und „Aguti“ geradezu ein Muss: „Die Namen haben gängige Konsonanten und viele Vokale“, erklärt Heine lachend – für den Rätselmacher also perfekte Verbindungsworte.

Lösung muss logisch sein

Auch das Erstellen vor allem der schwierigen Sudokus erfordert Können und kostet Heine bisweilen auch schon mal eine Nachtschicht. „Am liebsten mache ich die Sudokus und löse sie dann selbst“, erzählt Heine. Er müsse schließlich sicher sein, dass es eine Lösung gibt, die auch auf logischem Weg zu erreichen ist. Und da kann es schon mal eineinhalb Stunden dauern, bis Heine seine eigene Sudoku-Nuss geknackt hat. Die Zeit muss sein. „Ohne richtige Lösung fühle ich mich einfach nackt“, gesteht der Heine, den seine drei noch kleinen Kinder für einen „Brezelmacher“ halten.

Für den Stuttgarter Diplom-Psychologen und Coach Christof Schuster ist dieses „Nacktheitsgefühl“ Heines keineswegs überraschend. „Unser Gehirn hat die Tendenz, etwas Unvollständiges zu vervollständigen – ganz automatisch“, erläutert er. Sehen wir etwa nur ein markantes Teil von einem bekannten Bauwerk, vervollständigen wir es in Gedanken automatisch. Genauso wollten wir beim Rätselraten etwas anfangs Unklares „rund“ machen und es beenden.

Werden wir an diesem Beenden einer Aufgabe gehindert, führt das, so Schuster, zu einem durchaus kuriosen psychologischen Effekt: Der sogenannte Zeigarnik-Effekt besagt, dass man sich an unterbrochene, unerledigte Aufgaben besser erinnert als an abgeschlossene. Nach dieser Theorie baut eine angefangene Aufgabe eine spezifische Spannung auf. Diese Spannung wird dann mit dem Abschluss der Aufgabe abgebaut. Bei einer Unterbrechung wird dieser Spannungsabbau unterbrochen. Man bleibt, wie Heine es sagen würde, nackt, aber durch die fortlaufende Spannung ist der Inhalt später leichter verfügbar.

Nichtsdestotrotz aber mögen wir es viel lieber, wenn wir mit einer erledigten Aufgabe Erfolg haben, der unser Belohnungssystem anwirft und uns in einen Glückszustand versetzt. „Bei Rätseln zum Beispiel gibt es einen Anfang und einen klaren Weg zum Ende“, erklärt Schuster. Lösen wir das Rätsel, freuen wir uns, die innere Spannung geht runter, die Belohnung, das Glücksgefühl, ist da.

An der Grenze der eigenen Fähigkeiten

Gute Karten, so Schuster, habe man auch, beim Rätselraten eine sogenannte „Flow-Erfahrung“ zu machen. Flow (engl. fließen, rinnen, strömen) bezeichnet das Gefühl der völligen Vertiefung und des Aufgehens in einer Tätigkeit. „Es muss sich um Aufgaben an der Grenze der eigenen Fähigkeiten handeln, die aber noch beherrschbar sind“, erklärt der Diplom-Psychologe. Beim Lösen eines Kreuzworträtsels etwa gebe es permanent klare Rückmeldung über die Resultate – dieser Zustand befriedigt.

Da mag es auch nicht wirklich verwundern, dass Sänger Achim Reichel 1989 in einem seiner Lieder gestand: „Und am Ende löste ich dann wieder Kreuzworträtsel die ganze Nacht“ – und damit auch einen Hit landete.

Rätsellösung: 7+72+73+74+75 = 19607