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Buch für die StadtDem kolonialen Erbe getrotzt

Lesezeit 5 Minuten
Hargeisa Buchmesse

Besucherinnen der Buchmesse von Hargeisa in Somalia

Köln – Allgemein von „Afrikanischer Literatur“ zu sprechen, heißt, mit kolonialem Blick eine Art von Homogenisierung vorzunehmen. Dies kann bei 54 Ländern und mehr als 2000 Sprachen, die es auf dem Kontinent gibt, nicht funktionieren. Hinzu kommt die Frage, für welches Publikum die Autorinnen und Autoren schreiben, für ein europäisches, für das ihrer Herkunftsländer? Natürlich gibt es große Sprachen, die in mehreren Ländern gesprochen werden, doch in Bildungssystemen, Politik und eben auch in der Literatur grätscht das koloniale Erbe hier sozusagen permanent hinein. Wir gehen hier irrtümlich von „Nationalsprachen“ aus.

Bei der Publikation auf dem europäischen Markt geht es darum, wie man schreibt und für welche Leserschaft und wie viele muttersprachliche Redewendungen und Begriffe die Übersetzerin oder der Übersetzer und der Verlag erhalten. Die Zeiten des Glossars sind glücklicherweise vorbei. Das war von den Herausgebern zwar gut gemeint, lief aber darauf hinaus, dass man die „afrikanische Kultur“ erklärte, und zwar aus westlicher Perspektive. Muttersprachliche Sätze einfließen zu lassen, auch wenn ein anderssprachliches Publikum sie nicht versteht oder sich erschließen muss, zeugt hingegen von Selbstbewusstsein.

Literarisch oder publizistisch starke Länder sind meist auch die ökonomisch starken, wie in Europa auch. Traditionell gehört die Regenbogennation Südafrika dazu, wo auch in mehreren Landessprachen publiziert wird: Afrikaans, Englisch, Zulu, Xhosa etc.; aber auch Nigeria, Kenia, Simbabwe und Ghana verfügen über eine vitale Literatur- und Verlagslandschaft. Außerdem gibt es einen starken Anteil mündlich überlieferter Literatur, nicht zuletzt in der Musik. Was uns erreicht, hängt oft vom internationalen Renommee der Schriftstellerinnen und Schriftsteller ab. Dabei sind wir in Deutschland in der speziellen Situation, dass die Bücher zuerst aus dem Englischen, Portugiesischen oder Französischen übersetzt werden müssen. Das bedeutet eine zusätzliche Schleife in der Produktion. Ökonomische Faktoren spielen also keine unerhebliche Rolle, sie sagen allerdings wenig über Reichtum und Vielfalt der literarischen Szene in den einzelnen Ländern aus.

Zum Weiterlesen

Christa Morgenrath/ Eva Wernecke (Hrsg.): „ Imagine Africa 2060 – Geschichten zur Zukunft eines Kontinents“, Peter Hammer Verlag, 192 S., 20 Euro

Wenn Nadifa Mohamed sagt, dass sie sich weder als britische noch als somalische noch als eine Autorin der „New World Literature“ empfindet, so gilt das für viele Autorinnen und Autoren– sie schreiben ja auch absolut individuelle Geschichten. Wir von „stimmen afrikas“ verwenden grundsätzlich den Plural, Literaturen. Früher sprach man von „Schwarzafrika“ und vom „subsaharischen Afrika“, von Exilliteratur, Migrantenliteratur und so weiter. Neuerdings auch „afroeuropäisch“ – aber eigentlich verfügen wir über keinen treffenden Begriff jedenfalls keinen, in dem sich alle Autorinnen und Autoren wiederfinden. Ich denke, es ist wichtig, „sprachbewusst“ zu sein und den Betreffenden das Recht zur Selbstbezeichnung einzuräumen und zu fragen, wie sie genannt werden möchten. Die „Black Lives Matter“-Bewegung macht uns – jetzt endlich auch in Deutschland – auf diese sensiblen Fragen aufmerksam.

Wir haben in unserer Arbeit für „stimmen afrikas“ immer sehr darauf geachtet, die Frauen in den Vordergrund zu rücken, das ist jedoch leider nicht repräsentativ, wie man klar sagen muss. In unserem Buch „Imagine Africa 2060“ versammeln wir zur Hälfte Frauen und zur Hälfte Männer, aber jenseits davon ist der männerdominierte Blick leider ähnlich vorherrschend wie in Europa. In der Literatur der Frauen geht es vielfach um die Benachteiligung von Mädchen und Frauen hinsichtlich Selbstbestimmung, Bildung, Beruf. Auch der Begriff des Feminismus ist inzwischen wieder populär. Daran hat Chimamanda Ngozi Adichie großen Anteil, sie hat den Begriff des Feminismus auch für viele schwarze Frauen neu gefüllt und definiert. Wir konnten Adichie auch in Köln begrüßen, das VHS-Forum im Rautenstrauch-Joest-Museum war so voll, dass gar nicht alle Interessierten hineinkamen. Da saßen Frauen aus dem Senegal und Somalia, aus Nigeria und Kenia im Publikum, sie kamen aus Köln, Dortmund und Frankfurt etc..

Eine der ersten feministischen Autorinnen, die international wahrgenommen wurde, war 1980 die Senegalesin Mariama Ba, die unter anderem über die Polygamie schrieb. Das war ein Skandal und eben auch ein Tabubruch, über die Unterdrückung der Frauen zu schreiben. Polygamie wird in vielen Teilen Afrikas praktiziert. Zeitgenössische Autorinnen schreiben dazu auch über die Schläue der Ehefrauen. Das heißt, eine Generation später gibt es auch einen humorvollen, satirischen und teils selbstkritischen Blick auf das Thema. Der Fächer wird breiter.

Der Roman ist eine literarische Gattung, die viele Afrikanerinnen und Afrikaner zusammen mit den jeweiligen Sprachen von den europäischen Kolonialmächten adaptieren und so auch in Europa veröffentlicht werden konnten. Glücklicherweise gibt es inzwischen zahlreiche einheimische Verlage, etwa auch für Schulbücher, die Erzählungen oder Lyrik publizieren, die gerade auch in den oralen Kulturen Afrikas eine wichtige Rolle einnehmen. Romane aus weiblicher Feder haben, wie auch Nadifa Mohameds „Der Garten der verlorenen Seelen“, meist weibliche Heldinnen, die sich weigern, Opfer zu sein. Sie verhandeln Schicksale von Ärztinnen, Geflüchteten, Soldatinnen und Revolutionärinnen, Studentinnen und Straßenkindern. Chimamanda Ngozi Adichie, Yaa Gyasi, Aya Cissoko oder Hemley Boum zeigen mutige Frauen, die unkonventionelle Wege gehen, für Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit kämpfen und dies nicht nur für sich, sondern, damit alle ein besseres Leben haben. Eine zentrale Rolle dabei spielt, wie überall, die Bildung, von der Mädchen viel häufiger ausgeschlossen sind als Jungen.

Wenn Mädchen Zugang zu Bildung haben und dabei von ihren Familien beziehungsweise männlichen Partnern unterstützt werden, können sie durchaus in Führungspositionen aufsteigen, und dort zeigen sie den Männern dann auch, wo’s langgeht. Mädchen sind sehr selbstbewusst und zielstrebig, wenn sie eine Chance auf ein Studium bekommen. Was dagegen arbeitet, ist unter anderem die „Teenage Pregnancy“, das heißt, Mädchen werden in der Regel unfreiwillig als Minderjährige schwanger.

Die Auswirkungen der Kolonialzeit sind von Land zu Land sehr unterschiedlich; die Briten haben eine andere Politik verfolgt als die Franzosen oder Portugiesen, das ist bis heute wirksam: in den politischen Systemen, in den Religionen und Sprachen. Oder auch der CFA-Franc, die Währung in acht westafrikanischen Ländern, die früher am Franc und heute am Euro hängen, das muss man sich mal vorstellen! Und auch zahlreiche wirtschaftliche und militärische Beziehungen zwischen Europa und Afrika lassen bei genauem Hinsehen koloniale Spuren erkennen. Deswegen ist gar nicht hoch genug zu schätzen, was Schriftstellerinnen wie Nadifa Mohamed oder Yvonne Adhiambo Owuor leisten, wenn sie aus historischer Perspektive ihre eigenen Geschichten erzählen.