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Sport machen mit Online-VideosFit werden dank Youtube und Co. – funktioniert das?

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Mit Matte und Handy: Sport in den eigenen vier Wänden

Wuppertal – Auch während des Corona-Lockdowns im vergangenen Frühjahr hatte die Enkelin von Professor Theodor Stemper einen festen Fitness-Zeitplan. Nach dem morgendlichen Homeschooling musste sie um 12 Uhr „Reif“ machen, wie sie ihrem Opa erklärte.

Hinter „Reif“ steckt die 24-jährige Karlsruherin Pamela Reif, die auf Youtube zahlreiche Fitnessvideos veröffentlicht hat. Rund fünf Millionen Menschen folgen ihr dort und machen ihre Workouts.

Doch ist das auch empfehlenswert?

„Aus sportwissenschaftlicher Sicht sind Reifs Videos gut gemacht“, schätzt Stemper ein, der bis zu seinem Ruhestand im Sommer Professor am Institut für Sportwissenschaft der Universität Wuppertal war. „Die Bewegungen sind bis auf ganz wenige Ausnahmen sauber ausgeführt.“ Die unterlegte Musik spreche die Zielgruppe an und motiviere junge Menschen zum Sport. So wie Stempers Enkeltochter.

Reif ist nur eine von vielen, die auf Youtube Fitnessvideos hochladen. Weitere bekannte Beispiele sind „Fitnessblender“, Lilly Sabri oder die Deutsche Gabi Fastner. Ihre Videos tragen Namen wie „Online Winter-fit“ oder „Full Body Workout“.

Profiteure der Krise

Die Fitness-Youtuber haben davon profitiert, dass viele in der Corona-Krise den Sport angesichts geschlossener Fitnessstudios oder fehlender Trainingsmöglichkeiten im Verein in die eigenen vier Wände verlegt haben und dort ihre Clips anschauen.

Dass die Angebote frei verfügbar und kostenlos sind, ist aber kein Zeichen schlechter Qualität: Bei den Instruktoren im Netz können sich Nutzer in aller Regel gut aufgehoben fühlen, obwohl selten etwas über ihre sportspezifischen Ausbildungen zu erfahren ist.

„Durch die Demokratisierung des Internets sind die Schlechten sofort weg und die Guten werden gepusht“, sagt Professor Lars Donath von der Deutschen Sporthochschule in Köln. „Es ist beeindruckend, wie gut diese Angebote sind.“

Fehlende Interaktivität als Nachteil

Dennoch gibt es Kritikpunkte: So wird zwar manchmal der Schwierigkeitsgrad eines Trainings im Titel des Videos deutlich gemacht. Jedoch vermisst Sportwissenschaftler Stemper zum Beispiel bei Pamela Reif Hinweise zur Kontrolle der Belastung.

Lars Donath ergänzt, dass es bei den Youtube-Workouts auch kaum Rückmeldungen der Trainerinnen und Trainer gebe. Diese Interaktivität fehlt im Unterschied zum Sport im Verein oder Studio, wo Instruktoren Haltung und Ausführung korrigieren können. In den meisten Videos dagegen werde eben „von A bis Z durchgeturnt“, sagt Stemper.

Selbstkontrolle im Spiegel oder mit Smartphone

Der stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbands Gesundheitsstudios Deutschland (BVGSD) empfiehlt daher, sich selbst im Spiegel zu kontrollieren und zu schauen, ob man die Übungen so wie im Video ausführt. Außerdem, so Stemper, könne man sich selbst per Smartphone filmen und beide Videos vergleichen.

„Was man aber nicht machen sollte, ist, während der Übungen auf dem Boden ständig auf den Computer-Monitor zu schauen, um zu sehen, wie sich die Instruktorin gerade bewegt“, sagt Stemper. Dazu müsste man immer wieder Kopf oder Oberkörper drehen, um besser hinsehen zu können. „Dann kommt es zu Fehlhaltungen und in der Folge möglicherweise zu schmerzhaften Fehlbelastungen.“

Nach langer Sportpause nicht auf Youtube

Nicht jedes Angebot passt für jede Altersgruppe. Gerade ältere Menschen, die möglicherweise zehn oder zwanzig Jahre keinen Sport mehr getrieben hätten, sollten zunächst eher in einen Verein oder ein Fitnessstudio gehen und am besten dort bleiben, empfiehlt Stemper. Dort würden sie Unterstützung erhalten.

Bereits ab einem Alter von etwa 30 Jahren sollte man sich grundsätzlich fragen, „ob man genügend Vorerfahrung hat und noch ausreichend im Training ist“, meint der Experte. Zur Sicherheit könne man vorher für einen Check-up zum Arzt gehen.

Dazu passt, dass etwa Gabi Fastner in einer Untersuchung von Stiftung Warentest zu Online-Fitnessangeboten zwar dafür gelobt wurde, dass „Anleitungen und Durchführungen der Trainings überzeugten“. Die Tester bemängelten aber das Fehlen von Risikohinweisen.

Bei jungen Menschen bis zum Alter von 20 oder 25 Jahren bestehe allerdings keine allzu große Gefahr, sich bei Fastner, Reif und Co. zu überfordern, erklärt Stemper. Sie hätten, sofern sie gesund seien, häufig noch einen guten Kontakt zum Sport, etwa durch Schulsport.

Mit Yogamatte und genügend Platz

Der heimische Trainingsbereich vor dem Bildschirm sollte nur sicher gestaltet sein, so Stemper. Sich etwa auf einem rutschigen Teppich zu bewegen, ist keine gute Idee. Hier legt man besser eine Yoga- oder Gummimatte drunter. Zu eng sollte es ebenfalls nicht sein: Ausgestreckte Arme und Beine brauchen Platz.

Für zu Hause am besten geeignet sei funktionelle Gymnastik, sagt Donath. „Da trainiert man nur mit dem eigenen Körpergewicht oder kleinen Geräten.“ Mehr brauche man nicht.

Ohne Plan und Ziel kaum Erfolg

Während der Einschränkungen im Frühjahr hat sich der Kölner Sportwissenschaftler seinen Keller sportgerecht eingerichtet und neben seinem Ruder-Ergometer zum Beispiel Sling-Trainer an die Decke gebohrt. „Ich habe nicht viel gemacht, aber jeden Tag immerhin 20 Minuten“, erzählt Donath.

Nach dem Lockdown sei jedoch schnell wieder der „Alltags-Autopilot“ mit regelmäßigeren Bürozeiten und Besprechungen gestartet. Da sei ihm klar geworden, dass man sich einen Plan machen und feste Zeiten frei halten müsse, um dabei zu bleiben.

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Darüber hinaus sei es gut, sich Ziele zu setzen, sagt Donath. „Man braucht den unbedingten Willen, durchzuhalten. Deshalb sollte man sich bewusst machen, warum man Sport macht und sich einen Plan erstellen.“ Das gelte besonders bei Online-Angeboten, die einem im Unterschied zu Vereins- oder Studioangeboten naturgemäß keine konkreten Zeiten fürs Training vorgeben.

Stempers Enkelin lag also richtig: Um 12 Uhr „Reif“ machen. (dpa/tmn)