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Gesund JoggenLaufschuhe ein Mal im Jahr wechseln

Lesezeit 4 Minuten

Läufer haben oft eine besondere Beziehung zu ihren Schuhen. Doch irgendwann ist auch der beste Schuh hinüber.

Herr Dr. Walther, geht man ein gesundheitliches Risiko ein, wenn man mit alten Joggingschuhen läuft?

Markus Walther: Sportschuhe verlieren nach 600 bis 1000 Kilometern etwa 50 Prozent ihrer Dämpfung. Abhängig ist dies unter anderem vom Gewicht des Sportlers und vom Untergrund. Zusätzlich werden Schuhe im Laufe der Zeit immer härter, da die Schäume in der Sohle altern. Beschleunigt wird der Alterungsprozess, wenn die Schuhe in der Sonne stehen oder in der Waschmaschine gereinigt werden. Als Faustregel gilt, dass man Schuhe einmal im Jahr wechseln sollte. Sportler, die mehr als 20 bis 30 Kilometer pro Woche laufen, verwenden ohnehin meist mehrere Schuhe parallel. Schmerzen in Fuß, Knie oder Rücken können ein Hinweis darauf sein, dass die Schuhe einen Großteil ihrer Dämpfungseigenschaften verloren haben. Spätestens wenn der Schuh nicht mehr gerade am Boden steht, da eine Seite stärker abgelaufen ist als die andere, gehört der Schuh entsorgt. Die hieraus resultierende ungleichmäßige Belastung der Gelenke kann zu Überlastungsbeschwerden führen.

Markus Walther ist Chefarzt an der Klinik München-Harlaching und Präsident der Gesellschaft für Fußchirurgie.

Hersteller verändern ihre Sportschuhe ständig – was ist Marketing, was wirkliche Innovation?

Walther: Vor etwa 30 Jahren wurde das Konzept „Stützen, Dämpfen, Führen“ für Sportschuhe entwickelt. Man dachte, der Schuh müsse zunächst mal den Fersenaufprall dämpfen und dann den Fuß abstützen, um eine Überpronation zu verhindern – also ein übermäßiges Absinken des Längsgewölbes, direkt wenn die Ferse auf dem Boden gelandet ist. Beim darauffolgenden Abstoßen, so das Paradigma, sollte der Fuß dann geführt werden. Die aktuelle Forschung kann das jedoch nicht bestätigen.

Was besagen die neuesten Untersuchungen?

Walther: Starke Dämpfung reduziert nicht das Verletzungsrisiko – im Gegenteil. Wir gehen heute davon aus, dass die Dämpfung eines Schuhs nur so stark sein sollte, dass sie den Härte-Unterschied zwischen Asphalt und Steppe ausgleicht. Auch die Pronation will man heute nicht mehr durch stützende Elemente verringern. Das Einsinken des Längsgewölbes ist ein natürlicher Mechanismus, den wir brauchen, um den Aufprall abzufangen – das Fußgewölbe ist ein natürlicher Stoßdämpfer. Studien haben gezeigt, dass besonders ein breiter Fersenabsatz das Verletzungsrisiko erhöht.

Warum?

Walther: Der Fersenabsatz des Schuhs verändert die Kraftverhältnisse am Fuß. Der Abstand der Gelenke zum Boden nimmt zu: sowohl durch die Breite als auch die Höhe des Absatzes – je nachdem, in welcher Position der Fuß gerade steht. Meist wird der Fuß mit der Außenseite zuerst aufgesetzt. Im Moment des Bodenkontaktes erzeugt ein breiter Absatz deshalb einen großen Hebelarm.

Welches Gelenk wird dadurch überlastet?

Walther: Es gibt das obere Sprunggelenk, es bewegt den Fuß nach oben und unten, das untere Fußgelenk dagegen kippt den Fuß nach links und rechts. Gerade auf das untere Sprunggelenk haben alle verbreiterten Absätze einen ungünstigen Effekt.

Und dicke Absätze?

Walther: Der Abstand von der Ferse zum Gelenk beträgt circa zwei Zentimeter und wenn dazu noch zwei Zentimeter Absatz kommen, haben Sie eine Verdopplung des Hebelarms beim Fersenaufsatz. Die meisten Menschen setzen ihren Fuß zuerst mit der Außenseite der Ferse auf. Je größer nun der Fersenabsatz, desto stärker die Kräfte, die den Fuß nach innen kippen – viel stärker als beim Barfußlaufen.

Man sollte darauf achten, dass Laufschuhe nicht eine Riesenferse haben?

Walther: Ja. Alle großen Sportschuhhersteller versuchen derzeit, die Hebelarme des Schuhs so gering wie möglich zu halten. Eingesetzt werden weiche Materialien oder gegeneinander verschiebbare Kunststoffschichten, um keine Hebelarme entstehen zu lassen, denn die sind der Feind einer natürlichen Fußbewegung.

Viele Sportgeschäfte bieten Laufanalysen, um den richtigen Schuh zu finden – taugen die etwas?

Walther: Wir haben einige Studien zu dem Thema gemacht. Man kann einen Sportschuh erst gut beurteilen, wenn man ihn ein bisschen einläuft, nur durch Hineinschlüpfen geht das nicht. Das heißt, auf ein Laufband zu gehen, oder mal um das Geschäft herum zu joggen, wenn man Laufschuhe kaufen will, ist sehr sinnvoll. Die Laufanalysen, wie sie in Sportgeschäften stattfinden, geben meist nur einen groben Überblick. Ihre Qualität hängt neben den Geräten stark von der Ausbildung der Menschen ab, die die Untersuchung durchführen – und die ist sehr inhomogen.

Das heißt, das Ganze hat keine Aussagekraft?

Walther: Man kann aus einer professionellen Laufanalyse sehr viel herauslesen – nur reden wir dann von Analysegeräten im Wert von mehreren hunderttausend Euros und einer Datenanalyse durch einen Ingenieur, Mathematiker oder Biomechaniker. Das sind die Rahmenbedingungen für eine Laufanalyse im Rahmen von wissenschaftlichen Arbeiten.

Im Sportgeschäft trifft man nicht selten einen Schuhfachverkäufer, der mal ein Wochenendseminar in Ganganalyse gemacht hat. Die Systeme, mit denen man wirklich viel herausfinden kann, sind für ein Schuhgeschäft zu teuer. Wir konnten aber im Rahmen einer Studie zeigen, dass das Gefühl des Läufers, wenn er mit dem Schuh einige Minuten läuft, ähnlich zuverlässig ist wie extrem aufwendige Messungen.

Das Gespräch führte Frederik Jötten