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Kampfsport in KölnAikido ist die Kampfkunst des Verzeihens

Lesezeit 5 Minuten

Aikido-Übung

Diese Hände. Würde man Hans-Jürgen Klages mit geschlossenen Augen die Hand schütteln, könnte man glauben, man sei an einen Riesen geraten. Dabei ist der 63-Jährige gar nicht übermäßig groß. Doch der Mann hat in den vergangenen 45 Jahren täglich Greifen, Ziehen, Drücken und Stoßen in Kampfsituationen geübt. Das hinterlässt Spuren.

Aikido heißt die Kampfkunst, die Klages’ Handmuskulatur geformt hat. Der Begriff ist ein Kunstwort, aus dessen japanischen Silben sich praktischerweise das Wesen dieser Bewegungslehre ableiten lässt: „Ai bedeutet Harmonie, was das technische Prinzip deutlich macht: Aikido ist nicht konfrontativ, sondern hat auch einen harmonischen Aspekt“, sagt Klages, der in Köln seit 30 Jahren ein Aikido-Dojo leitet. „Ki“ steht für jene Lebensenergie, die in der chinesischen Medizin mit „Chi“ (sprich: Tschi) bezeichnet wird. Und „do“ bedeutet wie in anderen Kampfkünsten einfach „Weg“: „Man soll eben nicht in erster Linie das Ziel sehen, sondern den Weg dorthin. Deshalb gibt es im Aikido auch keine Wettkämpfe“, erklärt Klages.

Die gebe es aber auch deshalb nicht, weil die Kampfkunst unter Wettkampfbedingungen viel zu riskant würde, erklärt der Kölner Aikido-Lehrer Bodo Rödel, Autor mehrerer Fachbücher zum Thema. So gibt es im Aikido starke Hebel am Genick oder an Ellenbogen und Handgelenken. „Würde man aus dem Training einen Wettkampf machen, wäre die Verletzungsgefahr zu hoch“, sagt Rödel.

Harmonie im Kampf

Die „Kampfkunst des Verzeihens“, wie Aikido oft bezeichnet wird, kann also im Ernstfall durchaus effektiv sein. Dabei wurde die jüngste asiatische Selbstverteidigungslehre ursprünglich aus pazifistischen Gründen erfunden. Ihr Gründer Morhei Ueshiba (1883-1969) war bereits als Meister mehrerer Kampfsportarten in Japan populär, als ihn plötzlich eine Art Erleuchtung überkam. „Ihm fiel auf, dass allen Kampfkünsten gemein war, dass Gewalt mit Gegengewalt beantwortet wurde“, sagt Hans-Jürgen Klages. Weil das seinem Menschenbild zuwiderlief, wandte sich Ueshiba irgendwann von den traditionellen Selbstverteidigungskünsten ab. Und machte sich Gedanken, wie er Harmonie in den Kampf integrieren konnte. Was daraus entstand, nannte er später Aikido.

Ein Kampf im Aikido läuft immer nach demselben Prinzip ab: „Man blockt die angreifende Energie nicht ab, sondern nimmt sie auf, überführt sie in eine Kreis- oder Spiralenform und endet mit einem Wurf“, erklärt Klages. In jeder Übung gibt es einen Angreifer, der greift, schlägt, tritt und den Verteidiger (Uke) von vorn oder von hinten attackiert. Zur Abwehr – also als eigentliche Aikido-Techniken – dienen Würfe und Haltetechniken, mit denen der Uke den Angreifer fixiert. Zuerst müsse der Verteidigende lernen, die beste Position zu einem Angriff einnehmen, sagt Klages. „Man darf nicht stehen bleiben, sondern muss sich bewegen.“ Anschließend beginne das, was der Kölner Aikido-Lehrer die „Konstruktion der Technik“ nennt: „Dabei ist die Idee, den Angreifenden aus dem Gleichgewicht zu bringen und schließlich mit einem Wurf zu enden.“

Entspannte Bewegungen

Im Aikido suche man immer nach der idealen Technik, sagt Bodo Rödel. „Die Übenden versuchen eine Technik so auszuführen, wie sie im Idealfall sein sollte.“ An den Fehlern, die unweigerlich auftreten, versuche man konstant zu arbeiten. „Im Idealfall lässt der Aikido-Übende einem Angreifer irgendwann keine Chance für einen zweiten oder dritten Angriffsversuch.“

Wichtig ist im Aikido vor allem Beweglichkeit. Deshalb können auch vor allem Frauen und kleine Menschen von dieser Art der Selbstverteidigung profitieren. Gründer Morhei Ueshiba etwa war selbst nur 1,58 Meter groß. „Viel Muskel ist eher hinderlich, weil das kompakt und unbeweglich macht“, sagt Klages. In den Anfängerstunden gehe es deshalb erst einmal darum, den Körper „aufzutauen“, ihn weich und beweglich zu machen. „Anfänger rollen immer erst wie ein Würfel, da tut es dann hier und mal da weh. Nach und nach werden diese Würfelkanten abgerundet und man rollt irgendwann wie eine Kugel – ganz entspannt.“ Im Übrigen setze die Kampfkunst ja explizit nicht auf Körperkraft, sondern auf Ki.

Worin diese ominöse Kraft besteht, kann auch Klages nur mit Umschreibungen erklären. Ki sei „eine Art geistige Kraft oder Willenskraft“. Am besten könne man Ki erkennen, wenn man Kämpfe von erfahrenen Aikidoka betrachtet: Dabei wirbeln die Verteidiger ihre Angreifer oft so mühelos durch die Luft, dass man glauben könnte, sie seien Superman (siehe Kasten rechts).

Bodo Rödel hat eine etwas nüchternere Erklärung für Ki. „Gemeint ist nicht, dass wirklich eine Energie fließt“, sagt er. Vielmehr solle das Konzept verdeutlichen, dass im Aikido entspannte Bewegungen in einem natürlichen Bewegungsradius wichtig sind. „In der modernen Sportwissenschaft würde man wohl von gelungener Impulsübertragung sprechen.“

Kein Wettkampfsport

Wettkämpfe finden im Aikido nicht statt. Dafür gibt es Prüfungen, um sogenannte Kyu-Grade zu erwerben, mit denen der Lernfortschritt dokumentiert wird. „Einen komplizierten Bewegungsablauf wie im Aikido kann man nur kleinschrittig erlernen“, sagt Klages. „Da sind diese kleinen Zwischenstufen hilfreich.“ Wer die Prüfung zum ersten Dan, dem Meistergrad, ablegt, muss rund 180 Techniken ausführen und benennen können. Erst dann ist es Übenden erlaubt, im Training den Hakama, einen schwarzen Hosenrock, über ihrem weißen Judo-Anzug tragen.

Ob Klages, der 1969 als einer der ersten in Deutschland mit Aikido beschäftigte, sich schon mal auf der Straße verteidigen musste? „Noch nie“, sagt er. Aber frustriert sei er darüber nicht. In Japan gebe es ein Sprichwort: „Man lernt, mit großer Perfektion ein Schwert zu ziehen. Aber wenn man in die Situation kommt, tatsächlich ein Schwert zu ziehen, ist man noch nicht so weit.“ Der Mann mit den großen Händen ist schon ziemlich weit.

Sehen Sie hier einige Übungen im Video