Kampfsport in KölnBoxen, ein anspruchsvoller Sport
Köln – Boxen, das ist ein Sport für harte Männer (und spätestens seit Weltmeisterin Regina Halmich, die Stefan Raab die Nase brach, auch für harte Frauen), so will es das Klischee. Die grundlegenden Bewegungsabläufe sind nicht all zu kompliziert, Gerade, Seitwärts- oder Aufwärtshaken, mal mit links und mal mit rechts.
Erst wenn es in die Feinheiten geht, wird es kompliziert. Dann entscheiden über Sieg oder Niederlage die Beinarbeit, technisch ausgefeilte Kombinationen, Deckung, Reaktionsvermögen, Schnelligkeit, Schlagkraft und die Kunst, sich auf die Strategie des Gegners einzustellen.
Der Weg zur Boxkunst eines Wladimir Klitschko oder gar Muhammad Ali ist weit und jenen Kämpfern mit sehr viel Talent, Härte zu sich selbst und Durchhaltevermögen vorbehalten. Erste Erfolgserlebnisse mit entsprechendem Adrenalinkick sind allerdings auch für den Laien sehr schnell möglich.
Nichts für Weicheier
Alexander Soppa (22) und Christian Opel (26) haben das erlebt, als sie vor zehn Jahren bei den ehemaligen Profiboxern Torsten (Olympiasieger 1992) und Rüdiger May mit dem Boxtraining begannen. Schon beim ersten Zugucken habe er „leuchtende Augen“ bekommen, sagt Soppa. „Ich wollte, ich wollte, ich wollte.“ Er wollte damals boxen und nicht länger Fußballspielen. Heute geht er sogar so weit: „Fußballer sind doch alles Weicheier, die fallen wegen jedem Scheiß hin.“ Das Klischee lässt grüßen, beim Boxen dürfen Männer sich fühlen, wie Mann sich eben gern fühlt. Mutig, stark und in der Lage, sich Kraft der eigenen Muskeln durchzusetzen.
So vermögen zwei Männer im Ring, Schweiß gebadet und blutend, bis heute ein Millionenpublikum zu elektrisieren. Mitfiebern, mitleiden, auch dem Underdog kann in Lucky Punch gelingen – davon lebt das Profiboxen. Die Nähe zu zwielichtigen Gestalten aus dem Rotlicht- und Gangstermilieu übt dabei einen zusätzlichen Reiz auf das Publikum aus. Auch wenn Männer wie Henry Maske, Axel Schulz oder die Klitschko-Brüder das Boxen in Deutschland aus der extremen Schmuddelecke heraus ins glitzernde Showprogramm des Fernsehens geführt haben.
In der Mitte angekommen
Heute wird nicht mehr nur in Hinterhof-Gyms geboxt, der Sport ist längst nicht mehr nur die Chance zur Aggressionsbewältigung und zum sozialen Aufstieg für junge Männer ohne Aussichten auf irgendwas. Boxen hat sich als Fitnesstraining etabliert, in Studios genauso wie in den Box-Vereinen, für Manager, für Hausfrauen, für Jedermann.
Alexander Soppa und Christian Opel haben vor einigen Jahren kurz damit geliebäugelt, eine Wettkampfkarriere zu starten, beide haben einen Amateurkampf bestritten. Letztlich war ihnen die berufliche Ausbildung aber doch wichtiger, seither trainieren sie im ohnehin eher auf ein Training für Hobbykämpfer ausgelegten Gym der Familie May. „Das Boxen fordert mich ganz“, sagt Elektrotechniker Opel. „Das ist ein perfekter Ausgleich nach der Arbeit.“ Am Ende seines Studiums sei er kaum noch zum Trainieren gekommen. „Jetzt fühle ich langsam wieder mehr Spannung in meinem Körper, ich bin nicht mehr so schnell von allem ausgelaugt.“
Opel kommt oft mit seinem Vater Paul (56), einem ehemaligen Kraftsportler, zum Training. „Ich bin mit Cassius Clay groß geworden“, sagt Paul Opel. Er schwärmte für den „Größten“, der sich später Muhammad Ali nannte. Und er wollte auch boxen. „Aber damals war das noch mehr mit Halbwelt verbunden, deshalb durfte ich nicht.“ Heute ist er begeistert vom „absolut ganzheitlichen“ Training, mit dem er wieder etwas Beweglichkeit in seinen vom vielen Gewichte stemmen eingeschränkten Bewegungsapparat bekommen hat.
Anspruchsvoller Sport, kein stupides Kloppen
Auch ohne die Vorbereitung auf Amateur- oder Profikämpfe komme keine Langeweile auf. Jeder könne mit so viel oder wenig Härte boxen wie gewünscht. Mit Kopftreffern oder ohne, ganz nach Belieben. „Für diejenigen, die den Drang haben, sich ein bisschen auf die Nase zu kloppen, findet sich immer wer“, sagt Opel.
Aber, und das ist Opel Senior wichtig: „Boxen ist keine wilde Schlägerei, es braucht eine gezielte Schulung von Schlagtechniken.“ Eine Einheit bei einem der Mays an sogenannten Pratzen lässt erahnen, wie kognitiv anspruchsvoll und gleichzeitig körperlich fordernd Boxen ist. Bei der Pratzenarbeit sind die Hände mit Polstern geschützt und man gibt dem Gegenüber vor, welche Schläge und Schlagkombinationen er darauf abfeuern soll.
Mit der Führhand – links, wenn der linke Fuß vorn steht, was im Boxen als Normalauslage bezeichnet wird, andersherum beim Rechtsausleger – muss der Gegner auf Distanz gehalten und seine Deckung beschäftigt werden. In den Haken steckt mehr Kraft, aber eine Lücke zu finden, um sie anzubringen, ist abseits des Pratzentrainings gar nicht so einfach. Dazu die ständige Anspannung in den Waden durch das federnde Stehen auf dem Vorderfuß – die Beine brennen sowieso noch vom Seilspringen zum Aufwärmen.
„Fliegen wie ein Schmetterling und Stechen wie eine Biene“, so hat Muhammad Ali sein Tun im Seilgeviert gern beschrieben. Und nicht nur ihn hat die hohe Kunst dieses brachialen Sports zur Dichtung animiert. Hemingway, Norman Mailer, Brecht, Georges Simenon, Wolfgang Hilbig, Wolf Wondratschek: Das große Interesse von Literaten für das Boxen ist legendär. So einfach, und so kompliziert ist dieser Sport.