Kampfsport in KölnCapoeira verbindet Kampf mit Ästhetik
Kalt ist es in dem Übungsraum, in dem zweimal pro Woche beim Capoeira-Training eigentlich geschwitzt wird. Doch es wird gleich wärmer, als Mestre (Meister) Sorriso seinem Namen alle Ehre macht und mit einem breiten Lächeln im Gesicht die Trainingsfläche betritt.
Sorriso bedeutet auf Portugiesisch soviel wie Lächeln und ist seit 30 Jahren der Spitzname des Brasilianers Rivair Paulino. Die Namensgebung im Capoeira ist eine feste Tradition. Dabei bekommt der Capoeirista von seinem Lehrer einen Spitznamen, der eine seiner meist körperlichen Eigenschaften widerspiegelt. Vor etwa 50 Jahren diente dieser in Brasilien dazu, die Kämpfer durch Anonymität vor der Polizei zu schützen. Denn Capoeira war damals eine Beschäftigung, die meist Kriminellen zugeschrieben wurde. Mittlerweile hat Capoeira einen Wandel erlebt und ist in Brasilien nach dem Fußball zur zweitgrößten Sportart aufgestiegen. Das steigende Ansehen in der Gesellschaft führte dazu, dass mittlerweile überall Capoeira gelehrt wird, es allerdings keine gemeinsamen Regeln oder Graduierungen gibt. So existieren verschiedene Verbände, aber kein einheitliches Regelwerk.
Kampfsport, Musik und Tanz
In Europa wurde der Sport vor etwa 15 Jahren populär. Vor allem Youtube-Videos haben den Bekanntheitsgrad maßgeblich gesteigert. Während dieser Zeit begann auch Mestre Sorriso, diese ästhetische Kampfkunst zu unterrichten. Einen festen Ort hatte er allerdings lange Zeit nicht, bis er vor drei Jahren eine alte Autowerkstatt in Lindenthal zu einer Sport- und Tanzschule umwandelte. „Für meine Zwecke ist der Standort ideal, da der Ort abgeschieden ist, so dass sich keine Nachbarn wegen der Lautstärke beschweren.“ Capoeira ist eben nicht nur Kampfsport, sondern auch Musik, Gesang, Akrobatik, Tanz und Körperausdruck.
Seit zwei Jahren gibt der Mestre hier Capoeira-Training, unter anderem betreut er zwei Kindergruppen. Etwa 20 bis 30 Jahre dauert es, bis man den Titel eines Mestre erringt. Der Körper wird langsam auf die Anforderungen des Sports vorbereitet, denn gerade der akrobatische Teil des Capoeira ist sehr anspruchsvoll. Trotzdem ist das Verletzungsrisiko relativ gering – was bei den eingesprungenen Drehkicks oder Handständen nicht unbedingt zu erwarten ist. „Während meiner Zeit als Trainer hat sich noch nie ein Schüler verletzt“, sagt Sorriso. „Es hat auch etwas mit Respekt zu tun. Du achtest darauf, mich nicht zu verletzen, also achte ich auch auf dich. Das gehört zu den ersten Fertigkeiten, die ein Capoeirista im Training lernt“, fährt er fort.
Das Training besteht aus einem ausgiebigen Aufwärmtraining und dem anschließenden Üben der erlernten Tritte oder Abwehrmanöver. Voraussetzung ist dabei der Ginga, der Grundschritt, bei dem abwechselnd ein Bein vor- und anschließend zurückgestellt wird; die Arme werden abwechselnd vor den Kopf gehalten. Zum Ende eines jeden Trainings wird eine Roda (ein Kreis) gebildet, in dem die Kämpfer gegeneinander antreten. Doch werden die Bewegungen dort meist nur angedeutet – aus Respekt dem Partner gegenüber.
Richtige Kämpfe fänden nur unter Aufsicht statt. „Dennoch ist Capoeira als Kampfsport sehr effizient“, sagt Mestre Sorriso. Eines ist ihm dennoch sehr wichtig und spiegelt auch die Philosophie des Capoeira wider: „Auch wenn Capoeira ein Kampfsport ist, spielen wir in der Roda. Männer und Frauen spielen gemeinsam – unabhängig von Alter oder Größe.“ Selbst der Rang, den der Capoeirista innehat, spielt bei diesem Teil des Trainings keine große Rolle. Jeder Außenstehende als Teil der Roda kann durch ein Zeichen einen der zwei „Kämpfenden“ ersetzen und so seinen Gegner wählen.
Ein weiterer Aspekt des Trainings ist das Erlernen der typischen Instrumente und des Gesangs. So gehören das Berimbau, eine Art einsaitiger Bogen, auf dem mit einem dünnen Stock die Saite zum Vibrieren gebracht wird, das Pandeiro (Tamburin) und die Atabaque, eine Trommel, zum Standardrepertoire. Das Berimbau zu spielen, das als „Seele des Capoeira“ bezeichnet wird, ist oftmals dem Mestre vorbehalten. Es ist das Hauptinstrument und gibt den Rhythmus vor. So entsteht die Energie im Kreis. Das gemeinsame Musizieren wird durch weitere Percussion-Instrumente und Händeklatschen unterstützt.
Darin sieht Sorriso auch die Besonderheit von Capoeira. In keiner anderen Kampfkunst hat Musik einen solchen Stellenwert innerhalb des Trainings. Man spricht schon fast von einem Kampfsport, der als Tanz getarnt ist. Zudem steht hierbei die Ästhetik im Vordergrund und nicht etwa die Anzahl und Härte der Schläge und Tritte. „Darüber hinaus“, betont Sorriso „sind wir eine Gemeinschaft und trennen nicht Männer von Frauen und Große von Kleinen.“
Keine Gewinner und Verlierer
Dass Capoeira mehr ist als nur Kampfsport findet auch der Kölner Tarek Alsaleh, der mit seiner Organisation Bidna Capoeira (arabisch für „Wir wollen Capoeira“) Kindern in Flüchtlingslagern in Syrien und Libanon den Sport näherbringt: „Capoeira transportiert Werte, die im Leben wichtig sind. Es gibt keine Gewinner und Verlierer, im Capoeira-Kreis sind alle gleich. Ich habe bei meinem Hilfsprojekt erlebt, was Capoeira bewirken kann, welche Hoffnung es jenen Menschen gibt, die Hoffnung am meisten brauchen.“
Eine sinnvolle Einteilung nach Leistungsstand ist bei diesem spielerischen Sport schon mit drei verschiedenen Altersklassen gegeben. „Bei uns trainieren die ganz Kleinen im Alter von vier bis sieben Jahren gemeinsam, dann gibt es die Jugendlichen von acht bis zwölf Jahren.Danach steht es ihnen frei, sofort in die Erwachsenengruppen zu wechseln“, erklärt Sorriso. Besonders wichtig ist ihm dabei zu betonen, dass jeder, der körperlich einigermaßen fit ist, diese Sportart ausüben kann.
Auf die Frage nach der Stellung des Capoeira in Köln sagt Sorriso schmunzelnd: „Zwar ist es heutzutage sehr harmonisch unter den circa zwölf Akademien, doch dies war keinesfalls immer so. Mittlerweile haben wir erkannt, dass wir zusammenarbeiten müssen, um den Sport bekannter zu machen.“ Zu diesem Zweck haben sich die Capoeira-Mestres zusammengetan und regelmäßig stattfindende Vorführungen und Tage der Offenen Tür ins Leben gerufen. „Ich bin überall willkommen und versuche das auch meinen Schülern vorzuleben, indem ich sie lehre, was Respekt heißt“, macht Sorriso deutlich. „Der Sport vermittelt Freude und bringt Kinder zum Lachen“, findet Alsaleh. Vielleicht ist das auch der Grund für Sorrisos ansteckendes Lächeln.